Weblog & Podcast von Volker Strübing

Rotterdam – erster Bericht

Datum: 20.06.06
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam, Unterwegs

Wenn ich jemandem erzaehlt habe, ich fahre fuer eine Woche nach Rotterdam war die Reaktion entweder: „Boh, super! Rotterdam ist so schoen!“ oder „Oh Gott, du aermster – eine Woche in dieser haesslichen Stadt?!“

Jetzt, nach 3 Tagen, habe ich mir endlich ein eigenes Urteil gebildet: Rotterdam ist seltsam. Viele graue Betonkloetze, Plattenbauten wie in Marzahn mitten im Stadtzentrum, leuchtend gruene Wiesen als Strassenbahntrassen, merkwuerdige avantgardistische Neubauten, Moechtegernwolkenkratzer und Reste einer einstmals wohl wunderschoenen Altstadt am Wasser.

Auf alle Faelle eine Stadt, die Poeten willkommen heisst (geladene Poeten zumindest ;-) Das Poetry International Festival ist grossartig. Eine fantastische Gelegenheit, Dichter aus der ganzen Welt zu treffen, sie zu hoeren, mit ihnen zu sprechen und zu trinken.

Ich hab ein Hotelzimmer mit … seltsamem Ausblick und Badewanne, wir fruehstuecken morgens auf der Dachterasse, das Theater, in dem die meisten Veranstaltungen stattfinden ist nur 2 Minuten zu Fuss entfernt, und dort gibt es den ganzen Tag ueber die Gelegenheit sich zu treffen, Kaffee (oder spaeter Bier) zu trinken, zu entspannen oder aufgeregt hin- und herzurennen.

Alles ist sehr, sehr nett. Kalle Haglund, der schwedische National Slam Champion meinte: „It’s so nice … there must be something dark behind it …“

Am Sonntag hatten wir, die Slampoeten, unseren ersten Auftritt, keinen Slam, nur eine kurze Show in einem riesigen Buchladen. Ich war extrem nervoes. Es sollte das erste Mal werden, dass ich einen Text auswendig vortrage – das erste Mal seit dem „Osterspaziergang“ in der Schule. Und es gab und gibt ein zweites Problem: Das Zeitlimit betraegt drei Minuten! Leider habe ich das erst vor anderthalb Wochen erfahren und alle Sachen, die ich zum uebersetzen eingeschickt habe, sind viel laenger. Die meisten Sachen die ich ueberhaupt GESCHRIEBEN habe, sind viel laenger. Ich bin jetzt also die ganze Zeit damit beschaeftigt, Geschichten zu verstuemmeln … Fuer Sonntag hatte ich mir meinen „Ich will Klone“-Text rausgesucht. Bei dem war es kein Problem, da er aus mehreren, sich nicht aufeinander beziehenden Abschnitten besteht, von denen ich einfach ein paar weglassen konnte. Ausserdem wurden im Buchladen (im Gegensatz zu allen anderen Veranstaltungen) die Uebersetzungen nicht auf eine Leinwand projiziert, so dass es kein Problem mit der Synchronisierung gab.

Unsere „Buehne“ war im Untergeschoss, am Boden eines grossen quadratischen Treppenschachtes, so dass man uns von allen Etagen aus sehen und gegebenenfalls auf den Kopf spucken konnte. Beides schien aber nicht allzuviele Leute zu interessieren. Ein paar Zuschauer standen bei uns herum, ansonsten war es wohl eher eine Veranstaltung fuer uns selbst. Ohne Uebersetzung habe ich von den meisten nichts verstanden, so konnte ich mich ganz auf den Klang der Worte und die Performance konzentrieren.

Mein Favorit nach diesem ersten Auftritt: Mike McGee aus den USA. Okay, er war auch der einzige dem ich folgen konnte. Er ist toll. Sehr lustig, sehr intelligent, sehr beeindruckend. Und sehr nett, aber das sind sie – sind wir – ja alle (siehe oben).

Jedenfalls: Mein erster Auftritt ohne Textblatt: Es hat funktioniert! Die erste Minute war grauenvoll, die zweite okay und in der dritten hat es richtig Spass gemacht. Ich bin sogar ein bisschen hin und her gelaufen und habe mit den Armen gewedelt – hey! Never did it before!

Es gab sogar ganz ordentliches und – wie ich mir einrede – ernstgemeintes Lob von den Kollegen, das auch nicht revidiert wurde, als sie Stunden spaeter das Booklet mit den Uebersetzungen in die Hand bekamen.

War ein gutes Gefuehl. Nach all der Angst und den Zweifeln in den letzten Wochen war ich nun halbwegs sicher, dem deutschsprachigen Poetry Slam keine Schande zu machen.

Jetzt sieht das leider schon wieder anders aus. Gestern Abend fand die Vorrunde im Rotown Café statt, und ich hab sie total vermassel. Bin vorletzter geworden. Im ersten Set habe ich ein Gedicht gemacht – auswendig – und den Text der letzten Strophe vergessen. Bin sinnlos rumgehampelt, bis er mir wieder einfiel und ich weiter machen konnte. Auch davon abgesehen war es wohl eher eine traurige Performance, es muss so ausgesehen haben, als wolle ich eine Show abziehen, sei aber zu feige dazu, was ja letztlich auch zutraf. Mann, war mir das peinlich. Hab in dieser ersten Runde die mit Abstand niedrigste Punktwertung von allen eingefahren.

In der zweiten Haelfte habe ich vorgelesen, das war besser, auch wenn niemand etwas verstehen konnte und der VJ die Uebersetzung einfach nur durchscrollte, denn ich war zu schnell, als dass er sie mit meinem Vortrag haette synchronisieren koennen. Immerhin habe ich den 5-Minuten-Text aus dem Finale in Leipzig mit leichten Kuerzungen in 3 Minuten untergebracht.

Viel reissen konnte ich damit freilich nicht mehr. Naja, immerhin hat es dann fuer den 7. Platz gereicht :-(

Die Platzierung vom Montag entscheidet ueber den Startplatz am Donnerstag im Finale. Ich werde dort also als zweiter ans Mikro treten.

Gestern, waehrend und nach der Show, ging es mir sehr schlecht. Es ist immer hart, auf der Buehne zu versagen, aber hier ist es soviel schlimmer, wegen all der Erwartungen, die in mich gesetzt werden. Da sind zum einen die Veranstalter, die mich eingeladen haben in dem Glauben, dass es eine Bereicherung fuer das Festival sein wird, wenn ich dabei bin. Und zum anderen natuerlich die deutschsprachige Slam-Poetry-Gemeinde, die ich hier repraesentiere – zumindest in den Augen der anderen. (Bin uebrigens seltsamerweise ueberhaupt der einzige Deutsche auf dem ganzen Festival. Mike McGee: „Volker! You are representing 80 million people!“ Ich: „Yes! And they don’t even know!“)

Es waere graesslich zurueckkommen und sagen zu muessen: Sorry, ich fuerchte, ich habe kein gutes Licht auf den Slam in Deutschland geworfen …

Habe jetzt zwei Tage Zeit, zu ueberlegen, was ich aus dem Disaster von gestern mache. Aber wahrscheinlich wird das wichtigste sein, die Verantwortung zu vergessen und zu versuchen, mich auf einen schoenen Slam zu freuen.

Ich weiss im Moment wirklich nicht, was ich tun soll. Zuhause verlasse ich mich auf die Geschichte, auf die Idee, aber das bringt nicht viel, wenn die Leute einen schlecht oder gar nicht verstehen und versuchen muessen, den Text parallel auf einer Leinwand in Englisch mitzulesen. Ein ganz wichtiger Punkt hier ist „die Show“, aber die ist sicher nicht meine grosse Staerke. Noch wichtiger: Der Klang, der Rhythmus, die Poesie – aber Scheisse! Ich bin nunmal in erster Linie Geschichtenerzaehler.

Oh, sorry, ich merke gerade, dass ich dabei bin, mich herauszureden …

Viele Gruesse aus Rotterdam – drueckt mir die Daumen!

3 thoughts on “Rotterdam – erster Bericht

  1. Das überraschende Zeitlimit tut mir sehr leid. Ich glaube, dass bei einem Festival dabeisein alles ist. They do not speak your language – Du bist also ein Exot! Bunte Hüte tragen!

  2. Auch wenn das eine oder andere mal nicht so klappen sollte, du bist auf dem richtigen Weg.
    Erwarten dich Sonntag zum Grillen!

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