Weblog & Podcast von Volker Strübing

Die FAZ erklärt die Welt

Datum: 19.07.06
Kategorien: Nachrichten aus der Scheinwelt

Am Sontag habe ich mir für die 8,5h Bahnfahrt von Konstanz seit langem mal wieder eine Sonntags-FAZ gekauft. Das Weltbild ist wegen seiner Schizophrenie sehr interessant. Einerseits wird die Freiheit des Menschen beschrieen, wo sie für die Freiheit des Marktes wichtig ist, oder, als „Selbstverantwortung“ verklärt, die Gesellschaft von der Verantwortung für den Einzelnen entbindet. Schönes Beispiel war ein Artikel, der sich gegen gesetzliche Rauchverbote wandte („Heute entscheiden die Menschen selbst, ob sie im Restaurant rauchen, passivrauchen oder nicht rauchen wollen.“ – oh Mann, der Autor war noch nie im Zosch!)

Andererseits wird der Mensch als Sklave der naturgesetzlichen Marktgesetze betrachtet, und man scheut sich nicht, ihm die persönlichen Freiheiten zu nehmen, die der freien Entfaltung des Marktes oder den Interessen der Unternehmen entgegenstehen.

Sehr interessant auch die Serie „Erklär mir die Welt“. Diesmal zum Thema „Warum gibt es eigentlich Zinsen?“ Als Kritiker der Zinswirtschaft kommen Luther und Aristoteles zu Wort, als gäbe es seit 450 Jahren niemanden mehr, der ernsthaft etwas dagegen haben könnte. Die Segnungen des Zinses werden an folgendem Beispiel erläutert: Eine junge Familie kauft auf Kredit ein Haus. Die Familie muss zwar im Laufe der Zeit durch Zins und Zinseszins das Doppelte oder mehr zahlen, dafür steht ihnen das Haus aber auch jetzt, wo sie es brauchen, zur Verfügung und nicht irgendwann, wenn sie alt und die Kinder längst aus dem Haus sind. Der Kreditgeber verdient mit seiner guten Tat Geld, die Bauwirtschaft freut sich und alle sind zufrieden. Tatsächlich ist gegen dieses Beispiel auch nichts einzuwenden. Aber: Ist eine solche Situation, in der alle profitieren, wirklich die Regel, oder nur ein glücklicher Sonderfall?

Auf das Argument, Zins ermögliche es Leuten, die über Geld verfügen, ohne eigene Leistung immer mehr Geld zu verdienen, wird nicht eingegangen.

Aber was erwarte ich? Die FAZ ist nunmal so einseitig wie jede Zeitschrift … und wie dieses Weblog. Auf alle Fälle tut es gut, da ab und zu drin zu schmökern, anstatt immer nur Sachen zu lesen, die die eigene Meinung bestätigen.

Bin schon gespannt auf den nächsten „Erklär mir die Welt“-Artikel. Nächsten Sonntag. Zum Thema: „Warum Vollbeschäftigung möglich ist“. Ich hoffe, sie erklären dann auch, warum Vollbeschäftigung überhaupt nötig sein sollte. Bis dahin halte ich mich an die Surfpoeten und ihren Geldberg.

(Die FAZ erklärt die Welt II: “Warum Vollbeschäftigung möglich ist”)

(Die FAZ erklärt die Welt III: “Warum ist Reichtum keine Sünde?” )

5 thoughts on “Die FAZ erklärt die Welt

  1. Unlängst aus ähnlichen Gründen den “Spectator” gelesen. Am Cover war ein Artikel darüber beworben, dass die Reichen in GB immer reicher würden. Das Ganze dann so mit dem Unterton geschrieben, dass die Ansammlung von Reichtum ja früher eher schwierig gewesen sei, es jetzt aber mehr Pfundmillionäre gebe denn je, die alle eher dezent wären und ein, äh, normales, durchschnittliches Leben führten. Zwar wurde dann noch auf Blair hingehauen, dass nämlich seine Regierung den Ausgleich zwischen Arm und Reich verbockt hätte, aber schlecht wäre das implizit nur aus so merkwürdigen ideologischen Verblendungen heraus, denn tatsächlich, ja, das mit den mehr Reichen sind gute Nachrichten. Man fühlte sich bei diesen Überlegungen durchaus in Intelligenz und Sprachkraft gut aufgehoben, kam aber trotzdem im Schlamm raus.

  2. Reichtum ohne Arbeit.
    Zinseszins wird an Kapitaleigner gezahlt und muß von Menschen erwirtschaftet werden, die Kredite abtragen. Diese Gewinne ohne Arbeit treiben die Verarmung von Regierungen und Privatpersonen wesentlich voran.

    Und was das Haus betrifft: Dort ist genug Platz für ein Kindermädchen, weil die Mutter arbeiten geht und der Vater Überstunden macht, um die Zinsen zu erwirtschaften.

    Hans Kolpak
    Biß der Woche

  3. Zinsen bekommt man ja nicht nur weil man sein Geld eine sehr lange Zeit nicht nutzen kann, sondern weil man auch das Risiko eingeht das Geld nicht wieder zu bekommen (deswegen zahlt man ja auch mehr Zinsen wenn die Bonität schlecht ist). Die Frage wichtige Frage ist: Würde die Marktwirtschaft noch funktionieren wenn es keine Zinsen gäbe? Wer würde den sein Geld auf die Bank bringen, damit diese es weitergibt wenn nicht jeder dafür Zinsen bekommen würde? Dieser Weg der Buchgeldbildung ist doch einer der Hauptantriebe der Wirtschaft.

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