Weblog & Podcast von Volker Strübing

Das Märchen von der globalisierungskritischen Hexe

Datum: 3.04.09
Kategorien: Uncategorized

(Den folgenden Text habe ich Anfang 2008 geschrieben, in einem Zug meiner Videokamera vorgelesen und das Video bei Youtube hochgeladen. Da es mehrere Bitten um den Text gab, kommt er hier nochmal zum Selberlesen.)

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=DpniYfOOwmk]

Im Märchenwald, im Märchenland, da lebte einst eine Hexe. Keine Sorge, es war eine gute Hexe; dies ist kein Schauermärchen á la Hänsel und Gretel. Die Hexe ernährte sich überwiegend vegetarisch. Nur wenn das Geld am Monatsende knapp wurde, streckte sie ihre Suppe mit Kinderfleisch, wobei sie peinlich genau darauf achtete, nur böse Kinder zu essen. Oft brachten die Leute aus den umliegenden Dörfern ihre missratenen Gören sogar selbst zur Hexe und bekamen von ihr zum Dank Kräuter und Pülverchen gegen Rückenschmerzen, Erektionsprobleme und Spam-Mails. Letztere funktionierten nicht besonders gut, aber die Leute erkannten den guten Willen der Hexe an, denn es waren gute Leute.

Einen kleinen Fehler hatte sie jedoch, die gute Hexe aus dem Märchenwald im Märchenland: Sie war schrecklich altmodisch. Tausend Haushaltswarenvertreter hatten schon an ihrer Tür geklingelt und ihr beibringen wollen, wie schonend und fettarm kleine Kinder mit einem modernen Elektroherd zuzubereiten wären, doch die Hexe kochte weiter über einem kleinen, qualmenden Holzfeuer. Die Haushaltswarenvertreter aber hatte sie allesamt in Kröten verwandelt, welche sie mit einem altmodischen Besen erschlug, sodann trocknete und schließlich ihre Mumien zu einem Pulver zerrieb. Dasselbe Pulver übrigens, aus dem sie ein Mittel gegen Spam herzustellen hoffte. Vielleicht hätte sie die Sinnlosigkeit dieser Bemühungen erkennen können, wenn sie sich ein wenig intensiver mit Spammails beschäftigt hätte, doch sie war so altmodisch, dass sie keinen Computer und kein Internet in ihrem Hexenhaus duldete. Einzig ein alter Schwarzweißfernseher diente ihr als Fenster zur modernen Welt, doch der empfig nur einen albanischen Shoppingkanal und die Hexe schaltete ihn nicht sehr häufig ein.

Kurz: Die Hexe war komplett ahnungslos und wusste nichts von dem, was draußen in der Welt vor sich ging. Von Globalisierung hatte sie noch nie gehört und so verwunderte es sie sehr, als eines Tages ein Herold des Königs bei ihr klingelte und ihr mitteilte, dass sie den Märchenwald binnen eines Monats zu verlassen habe, da er gerodet werden müsse, um Platz für Parkplätze zu schaffen.
„Nanu?”, staunte die Hexe. „Es gibt doch im ganzen Märchenland nicht genügend Autos für soviele Parkplätze!”
Der Herold lächelte milde. Mit diesem Einwand hatt er gerechnet. „Nun, natürlich haben Sie Recht. Doch wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Die Parkplätze sind für den Export bestimmt. Der Autoboom in China bedeutet auch für die weltweite Parkplatzindustrie einen enormen Aufschwung. Und in der chinesischen Mittelschicht sind Parkplätze aus dem Märchenland sehr beliebt, da die dortige Parkplatzbranche noch nicht in der selben Qualität liefern kann. Das Märchenland muss diese Chance nutzen! Wir dürfen das Feld nicht der Konkurrenz und den Produktfälschern überlassen!”
Er schaute ihr tief in die Augen und sagte mit warmer Stimme: „Das sehen sie doch sicher ein, oder?”
Gar nichts sah die Hexe ein! Sie verwandelte den Herold in einen Frosch, den sie erschlug und trocknete und zu einem Pulver zerrieb. Dieses Pulver nun wirkte Wunder gegen die Migräne, die der Herold höchstselbst bei ihr verursacht hatte.

Schon eine Woche später stand der nächste Herold vor ihrer Tür.
„Wer da?”, rief sie aus dem Fenster und der Herold antwortete: „Der Herold des Königs!”, und dann erklärte er ihr, dass sie in drei Wochen den Märchenwald verlassen müsse, da er gerodet werde, um Platz für Parkplätze zu schaffen, und dass sie den Wirtschaftsstandort Märchenland nicht gefährden dürfe und überhaupt.
Aber ach! Die Hexe blieb stur und – SCHWUPPS! – fand sich der Herold in eine Kröte verwandelt und kurz danach erschlagen, getrocknet und zu Pulver zerrieben als Bestandteil eines Wunder wirkenden Migränemittels wieder.

Allein, es verging keine Woche, da klingelte der nächste Herold und teilte ihr mit, das sie ihr Haus verlassen müsse, aus den bekannten Gründen. Er stellte ihr eine großzügige Entschädigungszahlung in Aussicht und eine schöne neue Wohnung in der großen Stadt, wo es, wie er mit verheißungsvoller Stimme anmerkte, viel mehr böse Kinder gäbe als in den Dörfern rund um den Märchenwald. Zudem seinen die Stadtkinder viel dicker, weil sie immer bei Mc Donalds äßen.
Na, da kam die liebe Hexe natürlich kurz ins Grübeln. Allerdings konnte sie derzeit nicht über mangelnden Kindernachschub klagen, denn es hatte sich herumgesprochen, dass sie ein Wundermittel gegen Migräne erfunden hatte und inzwischen reisten aus dem ganzen Lande von Kopfschmerzen und bösen Kindern geplagte Mütter an, um ihre missratenen Gören gegen das Pulver einzutauschen. Die Hexe hatte schon hundert Bäume gefällt und Kundenparkplätze eingerichtet – ganz billige aus Polen übrigens, denn die einheimischen waren viel zu teuer. Dem Herold jedenfalls erging es wie seinen Vorgängern und er machte sich als Kopfschmerzpülverchen wenigstens einmal wirklich nützlich.

Und als am nächsten Tag der nächste Herold erschien, hörte sie ihn gar nicht mehr an, sondern verzauberte ihn auf der Stelle. Dem Herold war’s Recht, denn so blieb es ihm erspart, vor der Hexe herumzustammeln und nach Worten zu suchen. Der König nämlich hatte ihm nur aufgetragen zur Hexe zu gehen und irgendwas zu erzählen. Der König nämlich war ein weiser König und hatte erkannt, dass der Mirgänemittelmarkt viel zukunftsträchtiger war als der für Parkplätze und das Pulver der Hexe zudem weltweit konkurrenzlos. So ernannte er in einem fort Herolde, die er einzig zum Zwecke der Pulverisierung zur Hexe schickte, was auch die Arbeitslosenzahlen nachhaltig senkte.

Bald schon hatte die Hexe alle Bäume des Märchenwaldes gerodet umd Platz zu schaffen für noch mehr Parkplätze, für Lagerhallen und eine große Marketingabteilung. Aus aller Welt trafen böse Kinder ein – meist gefriergetrocknet, weil man sie so besser und billiger transportieren konnte – soviele, dass die Hexe sie gar nicht alle essen konnte, weshalb sie neben ihrem Hexenhaus ein Spezialitätenrestaurant einrichtete.
Das Märchenland aber florierte und gedieh und manchmal des Abends, wenn die Hexe auf ihrem Berg frisch verdienten Goldes saß, an einem Böse-Kinder-Knochen nagte und den albanischen Shoppingsender auf einem 290-cm-Plasmafernseher verfolgte, schüttelte sie schmunzelnd den Kopf und dachte: „Wie habe ich nur so skeptisch gegenüber der Globalisierung sein können!”

(V.S.)

3 thoughts on “Das Märchen von der globalisierungskritischen Hexe

  1. Wahnsinn Volker!!
    Jedes mal, wenn ich mir eines deiner Werke anschaue, habe ich das Gefühl, dass du die Welt wirklich verstanden hast und dazu noch weist, wie man damit umzugehen hat.
    Gib uns mehr von deinem Humor, die Welt hat’s nötig will ich meinen.

    Grüße aus aus einem Kaff in Baden-Württemberg. :)

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