Weblog & Podcast von Volker Strübing

Wir kamen in Frieden, obwohl Krieg draufstand

Datum: 27.04.13
Kategorien: Uncategorized

Soviel Berlin! Ich bin schon wieder hingefahren. Letzte Woche war es ein Privatausflug, der natürlich trotzdem dem Ziel diente, die Achse Bayreuth-Berlin zu stärken, in dem ich in Berlin in meinen Geburtstag hinein- und in Bayreuth aus ihm hinausfeierte. Diesmal war ich in hochoffizieller Mission unterwegs: Als Berliner, der derzeit in Bayreuth lebt, fuhr ich von Bayreuth nach Berlin, um in der Bayrischen Landesvertretung an einer Veranstaltung über Jean Paul, einen aus dem preußischen Oberfranken stammenden Dichter, der in Berlin geheiratet hat und dann nach Bayreuth gezogen ist, teilzunehmen.

Es gab für mich auf dieser Reise viele Premieren, vieles zu lernen, zu erleben und zu bestaunen. Das fing schon an mit dem Bus, der uns nach Berlin brachte:

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Ich hatte die Fahrzeuge dieses Unternehmens neulich schon bestaunt. Es ist schon ein Vorteil, wenn man als Unternehmer einen griffigen Namen hat. „Bustouristik Strübing“ wäre nicht besonders einprägsam, und auch ein Explosionsblitz im Logo hätte daran nichts geändert. Andererseits können natürlich auch griffige Namen problematisch sein. Unterwegs sah ich zum Beispiel einen Bus von Brust-Busreisen, was man sich ebenfalls gut merken kann, aber trotzdem ein irgendwie unangenehmer Name ist. Brüste sind zwar deutlich erfreulicher und nützlicher als Kriege, aber „Brust“ ist ein sehr hässliches Wort. Vor allem in Zusammensetzungen: Brust-Tee, Brust-Karamellen usw., das klingt alles sofort nach Auswurf, Schleim und Husten. Hmm, gerade fällt mir auf, dass „Krieg“ nun auch nicht gerade ein schönes Wort ist, aber als Busaufdruck macht es schon was her.

In Berlin stieg eine Reiseführerin zu, und ich kam in den Genuss, mir meine Heimatstadt endlich einmal zeigen und erklären zu lassen. Leider konnte ich nur die ersten zwanzig Minuten der Stadtrundfahrt mitmachen, aber schon da gab es jede Menge Neues. Zum Beispiel erfuhr ich wieder mal, wie der Berliner Volksmund dieses oder jenes Gebäude angeblich nennt – als Berliner weiß man das ja normalerweise nicht. Ich nenne das jetzt mal „Reiseführerpoesie“. Und die Besucher der Stadt wären sicher enttäuscht, wenn sie wüssten, dass wir zur Gedächtniskirche einfach Gedächtniskirche sagen.

Dank der Tour habe ich das erste Mal das Holocaust-Mahnmal gesehen; man muss eben erst nach Bayreuth ziehen, wenn man Berlin kennenlernen möchte. Für den Freitag stand auch noch ein Besuch im Reichstag auf dem Programm; super, da war ich auch noch nicht!

Wir kurvten also mit unserem Bus, auf dem ganz groß „Krieg“ stand um das Mahnmal. Dieses schien, dem Gemurmel im Bus nach zu urteilen, bei den meisten nicht besonders gut anzukommen. Ich selbst kann gar nicht sagen, wie ich es finde. Sagen wir es so: Ich finde es nicht. Nicht „nicht gut“ und nicht „nicht schlecht“, sondern einfach nicht. Nicht schön und nicht hässlich, weder besonders angemessen, noch unangemessen. Ich finde es auf alle Fälle besser, als den Bayreuther Gedenkstein für die von den Nazis deportierten und ermordeten Sinti:

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Als ich ihn zufällig entdeckte, fragte ich mich, wie damals wohl die Sitzung im Rathaus gelaufen war. „Hm, ich finde, Bayreuth bräuchte noch so’n Gedenkstein für die ermordeten Sinti.“ – „Super Idee! Ich weiß auch schon ne Stelle hinterm Bahnhof, wo er nicht weiter stört!“

Na gut, das war ziemlich ungerecht. Und lag wohl an meiner eigenen langen Leitung: Es hatte etwas gedauert, bis ich kapierte, dass es ja durchaus sinnvoll ist, in Bahnhofsnähe an die Deportationen zu erinnern. Wie sinnvoll solche Gedenksteine generell sind, ist eine andere Frage und damit zurück zum Holocaustmahnmal, dessen Sinn ja auch sehr kontrovers diskutiert wurde. Beim langsamen Vorbeifahren war zu beobachten, dass es gerne zum Picknicken und Versteckspielen genutzt wird. Die Reiseführerin erklärte, es fordere die Besucher auf, sich ihre eigenen Gedanken zu machen, statt ihnen irgendwas aufzudrücken.

„Die sehn aber ned aus, als würden ‘s nachdenken!“, rief eine Mitreisende und zeigte aus dem Fenster auf die Stelen, auf denen sonnenbebrillte Hostelhonks mit Club-Mate-Flaschen in den Händen sich die Sonne auf den verkaterten Schädel scheinen ließen. Ich musste dem zustimmen, fand es aber eigentlich gar nicht schlimm oder schrecklich pietätlos. Vielleicht taugt es nicht als „Mahnmal“, aber dem Schrecken einen lebendigen Ort mit lachenden Menschen entgegenzusetzen, finde ich nicht gar nicht so schlecht. (Wobei ich wohl eher Bäume gepflanzt hätte, als diese Steine aufzustellen.) Als Ergänzung zu echten Orten des Erinnern zumindest. Es ist ja ohnehin kaum vorstellbar, dass sich echte Betroffenheit einstellt, wenn man Touristengruppen zwischen Mittagessen und Kuhdammshoppingbummel durch ein Denkmal scheucht.

Ich wartete jedenfalls gespannt darauf, was „wir Berliner“ laut Reiseführerin angeblich zum Holocaust-Mahnmal sagen („Bermuda-Viereck“? „Hitlers letzte Rache“? „Mahnmal des verlorengegangen Touristen“?), aber da kam leider nichts.

Ich desertierte zwischenzeitlich von der Truppe (wie komm ich denn auf einmal auf diese Kriegsmetapher?) und fuhr in meine Pankower Wohnung, um mal zu gucken, ob sie noch da ist. Am Abend trafen wir uns alle wieder in der Bayrischen Landesvertretung in der Behrenstraße zu einem Jean-Paul-Abend. Eingeladen hatte Hartmut Koschyk von der CSU in Bayreuth, Parlamentarischer Staatssekräter im Bundesfinanzministerium und erst das zweite Mitglied des Bundestages, das ich je kennengelernt habe. Ich hoffe, es stört ihn nicht, damit jetzt sozusagen in einer Reihe zu stehen mit Claudia Roth, die ich einst in Augsburg auf der After-Show-Party eines Slams zum Thema Brecht traf. (Promimäßig war das mein bisher erfolgreichster Abend, da war nämlich auch Udo Jürgens, und wir haben immerhin 11 Worte oder so gewechselt.)

Die Details der Veranstaltung kann man hier nachlesen, da gibt es auch ein Foto von Hartmut Koschyk und mir, auf dem ich sehr staatstragend aussehe, wie ich finde. Eine Freundin meinte, ich sähe „leidend“ aus, aber das ist nicht richtig. Bei solchen Veranstaltungen ist die Leidensgefahr ja immer sehr hoch, aber das hat scho bassd (ich habe mich extra für diesen Satz über die Perfekt-Form von „bassd scho“ informiert). Es gab sehr schöne Musik, kurze Gesprächsrunden, drei Ausschnitte aus Jean-Paul-Werken, vorgetragen von Hans Jürgen Schatz, ich erfuhr auch noch etwas über den Bayreuther Volksmund, der Jean Paul „Dschiens Paul“ nennt, und erlebte eine große Überraschung: Die geplante Veranstaltungszeit wurde kaum überschritten.
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(Dieses Bild hat mit dem Text gar nichts zu tun, außerdem habe ich es in Bayreuth aufgenommen. Ich fand bloß, dass es mal wieder Zeit für eine kleine Bildoase in dieser Textwüste wurde. Und in Berlin hab ich  diesmal kaum fotografiert.)

Normalerweise sind ja solche Sachen, insbesondere wenn sie minutengenau durchgeplant sind, wie große Bauprojekte, nur dass bei den Veranstaltungen nur der Zeitrahmen explodiert, bei den Bauprojekten sowohl der Zeitrahmen als auch die Kosten, und jedesmal aufs Neue sind Bauherren oder Veranstalter vollkommen überrascht davon.

Hier blieb es tatsächlich bei zwei Stunden. Nun sind natürlich zwei Stunden an sich schon ziemlich lang. Ich bin ja langsam in dem Alter, wo man dauernd auf die Uhr schaut, weil man vor dem Tod noch was erledigen will, und die Zeit langsam knapp wird. Ich bin ein großer Freund des 90-Minuten-Zeitrahmens, der leider immer mehr aus der Mode kommt.

Manchmal möchte ich ins Kino gehen, aber wenn ich die Längenangaben der Filme lese, habe ich gleich keine Lust mehr. Wann haben Hollywood-Regisseure eigentlich verlernt, eine Geschichte in anderthalb Stunden zu erzählen? Es mag ja Filme geben die zwei oder drei Stunden dauern müssen, aber meistens geht man doch mit wundgesessenem Hintern aus dem Kino und wünscht sich, sie hätten einfach die langweiligen, überflüssigen Stellen weggelassen. Und wenn der Film dann nur noch 20 Minuten gedauert hätte! So hätte man wenigstens nicht unnötig Lebenszeit an einen Regisseur verschwendet, der einfach nicht zu Potte kommt. Ich wäre mittlerweile bereit, im Kino statt dem Überlängenzuschlag einen Normallängenzuschlag zu bezahlen, wenn ich dafür nur … aber ich schweife ein bisschen ab.

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(Und noch ein zusammenhangloses Bayreuth-Foto zum Augenausruhen für alle, die bis hierher durchgehalten haben.)

Unbedingt erwähnen und über alle Maßen loben muss ich die Pellkartoffeln die es anschließend im Bierkeller der Bayrischen Botschaft gab. Der Hammer. Ich wusste zwar, dass man bei Pellkartoffeln nicht viel falsch machen kann, aber dass man soviel richtig machen kann, war mir neu. Dazu Jean-Paul-Bier und Frankenwein – super.

Fortsetzung folgt (Arbeitstitel: „Battlerap im Bundestag und der traurige Nudelmann vom Paul-Löbe-Haus“)

One thought on “Wir kamen in Frieden, obwohl Krieg draufstand

  1. Vielen Dank für deine Texte, hier und auf Papier und in echt, ABER: für meine kleine Zwangsneurose muss ich um drei E’s bitten: bay/e/risch. Danke.

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