Weblog & Podcast von Volker Strübing

Stehaufmädchen

Datum: 8.11.17
Kategorien: Best of Schnipselfriedhof, Vater sein dagegen ...

(Aus der Reihe “Vater sein dagegen …”)

So einem Kind beim Wachsen zuzusehen ist sehr anders als … zum Beispiel einem Grünkohl beim Wachsen zuzusehen. Immerzu passiert etwas, fast jeden Tag werden neue Features freigeschaltet.

(Hier und auf den folgenden Fotos: Der Vater des Grünkohls der Tochter.)

Seit einer Woche kommt sie von alleine auf alle Viere, seit fünf Tagen schafft sie es, sich auf den Knien aufzurichten und sieht dann, während sie das Gleichgewicht zu halten versucht, ein bisschen aus, wie diese großen Wackeldinger – wie heißen die eigentlich? Ihr wisst schon, die, wo unten Luft reingeblasen wird und dann wobbeln sie mit Flatterärmchen hin und her … Jubellauch wäre ein guter Name … – sie sieht dann also ein bisschen aus wie Jubellauch, und vor vier Tagen hat sie das In-die-Hände-Klatschen entdeckt und praktiziert es bevorzugt beim Windelnwechseln (wo sich der Vater über ein bisschen Applaus sehr freut).

Vor drei Tagen hat sie mir das erste Mal mit ihren inzwischen 8 Zähnchen in die Nase gebissen, und gestern hat sie sich das erste Mal allein an einem Stuhl hochgezogen und auf ihren eigenen Füßen gestanden.

Bei dem Enthusiasmus, mit dem sie stundenlang vor sich hin plappert und ausprobiert, welche Geräusche sich mit so einem Mund machen lassen, ist rein aus statistischen Gründen (siehe: „unendlich viele Affen mit unendlich vielen Schreibmaschinen“) in den nächsten Tagen mit dem ersten sinnvollen Satz, vorzugsweise „Papa, ich hab dich lieb“, zu rechnen. Vielleicht hat sie ihn schon längst gesagt, aber auf ungarisch, so dass ich es nicht bemerkt habe.

(Streetlife Sondershausen ’72)

Kann es sein, dass wir ein Wunderkind haben? Ich weiß, das denken viele Eltern, aber bei den anderen ist es Einbildung. So schön ist die Vorstellung übrigens gar nicht. Wenn sie mit der körperlichen und geistigen Entwicklung so weiter macht, während ich im selben Maß abbaue, treffen wir uns in spätestens einem Jahr in der Mitte

Die Tochter weiß auf jeden Fall schon, was sie mal werden will: Augenärztin. Spezialgebiet Amputationen. In ihrem allmorgendlichen berufsvorbereitenden Praktikum (direkt in Anschluss an ihre meist kurz vor 6 beginnende Vormittagspressekonferenz) hat sie schon eine eigene revolutionäre Operationstechnik entwickelt, die darauf basiert, das Auge des Patienten erst mit der flachen Hand weichzuklopfen, bevor man es mit geschickten Fingern aus der Höhle herauspult. Großen Wert legt sie dabei auf eine gute Ärztin-Patienten-Beziehung. Mir ist jedenfalls noch nie auf derart angenehme, fröhliche Art ein Auge entfernt worden.

(Grünkohluropa und ich. Funfact: Bis zur Veröffentlichung dieses Beitrages brachte die Suche nach “Grünkohluropa” null Treffer. Wie auch die nach “Grünkohluroma” und  “Jubel-Lauch”. Wieder ein paar weiße Flecken weniger im Internet, gern geschehen.)

Evenuell entscheidet sie sich aber doch noch für ein Schauspielkarriere im Bereich Zombiefilme. Wie sie mir neulich ein Stück aus der Wange herausgebissen hat, hat mich sehr an eine Szene in Walking Dead erinnert.

Und wie selbstständig sie schon ist! Seit einiger Zeit wischt sie den Boden, indem sie sich wie einer dieser Staubsauge-Roboter zufällig durchs Zimmer schiebt, bis sie irgendwann überall einmal drübergerutscht ist. Wenn man ihr ein gut geschmiertes Butterbrot gibt, kann sie sich schon das Gesicht eincremen und die Haare zu einer Fußballerfrisur stylen.

Nichts ist mehr sicher. Ganz schlimm ist es mit meiner Brille. Ich hatte sie schon mal soweit, dass sie auf ein „Nein“ von mir von der Brille abließ. Heute begreift sie es als Herausforderung. Und das Schlimmste: Ich habe ihr dabei das Wort „Nein“ beigebracht, das sie sicher gegen uns verwenden wird, sobald sie es aussprechen kann.

Manchmal, ganz ganz manchmal wäre es schon schön, für ein paar Stunden einfach nur auf einen Grünkohl aufzupassen …

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