Weblog & Podcast von Volker Strübing

Kann mir bitte jemand erklären, was ich mit diesem Posting sagen will?

Datum: 16.10.07
Kategorien: Nachrichten aus der Scheinwelt, Seltsames, Unterwegs, Verschwörungen

Gestern Nacht beim Zähneputzen vor dem Schlafengehen haben meine Gedanken noch einen Purzelbaum geschlagen und eine ebenso falsche wie schöne Theorie aufgstellt, die ich unbedingt der Weltöffentlichkeit mitteilen muss!

Ich muss ein bisschen ausholen. Nachdem ich die letzten Tage vor allem damit zugebracht habe, im Wettstreit mit meinem Nachbarn vor dem Computer zu glucken oder bis an den Rand mit Büchern gefüllte Rollkoffer durch zugige Alsterstädte zu tragen, passierte gestern, was passieren musste: Beim morgendlichen Duschen rammte mir jemand einen rostigen Schraubenzieher oder etwas ähnliches zwischen die Schulterblätter. Von da an konnte ich mich nur noch wie ein 50erJahre-Roboter oder ein Zombie bewegen. Abends hatte ich dann einen Auftritt, den ich weder absagen konnte, noch wollte. Im Kookaburra wurde eine Mischmasch-Comedy-Show für den Bezahlsender Sat1-Comedy aufgezeichnet und ich durfte und sollte dort zwei Geschichten vorlesen. Inzwischen hatte ich mich ordentlich eingesalbt und mit Ibuprofen zugedröhnt (das übrigens tolle Träume macht, Mannomann! Nee, nüscht sexuelles!). Die Schmerzen hielten sich in Grenzen, solange ich mich nur weiterhin wie ein Kleiderständer bewegte. Da ich also vermutlich eine etwas merkwürdige Figur auf der Bühne abgeben würde, baute ich das in die Ansage ein. Ich sagte sowas wie: “Berühmt wurde ich ja für die Nummer, wo ich einhändig Handstand mache und mit der freien Hand eine Jungfau zersäge während ich mit den Füßen 5 brennende Meerschweinchen jongliere … das alles mit verbundenen Augen … auf dem Rücken eines Kamels … das von einem weißen Tiger über die Bühne gejagt wird. Aber dann habe ich mir heute morgen den Hals verrenkt und darum lese ich stattdessen eine Geschichte vor.” Ich fand das lustig und die Zuschauer fanden das zum Glück auch. (Abschweifung: Dieser Satz ist grammatikalisch und/oder ausdrucksmäßig falsch und unschön noch dazu. Ich fand das lustig und die Zuschauer auch klingt besser, ist aber inhaltlich falsch, weil ich ja nicht die Zuschauer lustig fand. Ich fand, dass das lustig war und die Zuschauer fanden das zum Glück auch ist korrekt aber hässlich. Sowohl ich als auch die Zuschauer fanden das lustig ist auch oll. Ach egal. Ich mach mal weiter mit dem, was ich eigentlich erzählen wollte. Abschweifung Ende.)

Und jetze kommts: Nach der Show, als ich mit schalumwickeltem Hals steif wie ein Legomännchen durch die Gegend stakste, sprachen mich mehrere Leute (bezeichnenderweise alles Fernsehmenschen) erstaunt an und sagten sowas wie: “Ach, Mensch, sag bloß: Das war gar nicht gespielt mit dem Hals?!”
Und darüber habe ich dann gegrübelt und mir folgende Theorie zurechtgelegt: Als Kinder des Medienzeitalters sind wir daran gewöhnt, dass Leute uns ein Leben vorspielen, dass nicht ihres ist. Gerade muss ich an die Spielberg-Verfilmung von Krieg der Welten denken, in der Tom Cruise für eine Millionengage einen ganz normalen Mann aus der Arbeiterklasse spielt und zwar so überzeugend, wie das kein ganz normaler Mann aus der Arbeiterklasse je hinbekommen würde.
Das Phänomen der Schauspielerei findet man freilich auch im sogenannten “echten Leben” (hier würde sich wieder eine Abschweifung anbieten, aber ich kann nicht den ganzen Tag für einen Weblogeintrag opfern …) Da gibt es die alternden Männer, die Teenager spielen oder irgendwelche popligen Mittelständler aus der Medien- oder Sanitärzubehörbranche, die mit teurem Mantel und teurem Handy lautstark den Weltenlenker geben; da gibt es lustig anzuschauende Gruftis, die selbst beim Kauf von Toilettenpapier und Gummibären bemüht sind, die Würde und Tragik eines gefallenen Engels auszustrahlen; da sind die Frauen, die mühelos zwischen der Rolle als Sexobjekt und der als toughe Geschäftsfrau hin- und herspringen usw. usf.
Der Unterschied zur Bühne oder zum Film ist natürlich, dass die Menschen im Leben eine Rolle spielen, von der sie meinen, dass sie ihrem Selbst enspricht. Manch einer wird eben nie erwachsen, mach einer hält sich für Gott oder einen gefallenen Engel.
Oh je … worauf wollte ich jetzt eigentlich hinaus?

Ach so. Also. Ich bin kein guter Schauspieler. Die einzige Rolle, die ich gut spielen kann, ist die, von der ich meine, dass sie meinem Selbst entspricht. Ich bin also auf der Bühne zwar nicht unbedingt ich selbst, aber doch ziemlich nah an dem dran, was ich auch bin, wenn ich nicht auf der Bühne stehe … äh … Also, ich kann erfundenes Zeugs erzählen, aber ich kann (und will) keine Bühnenfigur erfinden, die das dann erzählt, sondern benutze stets dieselbe Figur, die ich mir für das normale Leben zurechtgebastelt habe. Wenn ich also ohne schauzuspielern auf der Bühne stehe, falle ich damit aus dem bühnenüblichen Rahmen. Etwas, das aus dem Rahmen fällt, wirkt auf der Bühne aber zwangsläufig gekünstelt, gewollt, affektiert … also so, als sei es gespielt … äh … einem gutem Schauspieler mit gesundem Hals hätte man die Halsschmerzen wahrscheinlich viel eher geglaubt … hm … ach was weiß ich. Gestern Nacht erschien mir dieser Gedanke höchst logisch und wichtig. Dabei war ich nicht mal betrunken. Ibuprofen. Teufelszeug.

(Volker Strübing)

20 thoughts on “Kann mir bitte jemand erklären, was ich mit diesem Posting sagen will?

  1. Ich habe mal gelesen, dass im Film, immer wenn es schneit, künstlicher Schnee verwendet wird,
    nicht weil es praktischer ist (was es ohne Zweifel auch ist), sondern, weil echter Schnee im Film unecht aussieht.
    Hoffentlich geht’s dir inzwischen besser! Nicht, dass du dich doch noch in die neue Rolle einlebst.

  2. Kann ich dir leider nicht sagen. Aber wie du es sagst ist einfach klasse. Habe noch ein bisschen “rumgestöbert” auf der Seite, muss aber noch mal reinschauen, es gibt so viel. Hierfür hat es sich schon gelohnt den blog hier in wordpress zu eröffnen. Hätte die Seite sonst ja nie gefunden. Einfach toll. Werde meinen Bekannten von der Seite erzählen. Tschö

  3. Also ich würde das mal so zusammenfassen:
    Ein steifer Hals versaut einem die Grammatik, aber die Leute glauben fast lieber das Gegenteil, weil sie Verlade gewöhnt sind und da hilft dann nur noch, zu sich selbst zu stehen! ;-)
    Richtig?

    Gute Besserung wüsche ich noch!

  4. ich mag den gedanken auch… aber was mich über das ganze lesen beshcäftige war die frage wie ein rostiger Schraubenzieher in deine morgendliche dusche kommt UND vorallem zwischen deine schultrblätter..

    jaja… wer steht auf meinem Schlauch?

    liebste grüsse

    :)

  5. Was ich aber noch viel besser finde -abseits von Ibuoprofen-Räuschen etc.- ist, dass Volker am Freitag in LEIPZIG ist! Wie wärs: Soll ich uns mal ne Packung Aspirin mitbringen?

  6. Ein steifer Hals verdirbt Dir nicht den Schnipselfriedhof – das ist die Essenz meiner analytischen Deutungsversuche ;-)

  7. Den Gedanken hatte Erving Goffman auch schon. Der sagt: “Wir alle spielen Theater” und hat auch gleich ein Buch mit ebendiesem Namen geschrieben. Im Grundsatz läuft das darauf hinaus, dass wir alle Theater spielen (ach ne?). Das heisst, wir legen uns für jede Kommunikations-Situation eine eigene Rolle zurecht, d.h. für den Schwatz mit dem Nachbarn, für den Aufriss im Club, für das Arschkriechen beim Chef.

    Ausserdem unterteilt Goffman das Leben auch noch in Vorder- und Hinterbühne. So kann zB für einen Kellner das Restaurant die Vorderbühne sein und die Küche die Hinterbühne, auf der er mit seinen Berufskollegen lästert. Gleichzeitig ist aber auch die Küche als Hinterbühne wieder eine Vorderbühne, von der sich der Kellner wiederum auf die Hinterbühne zurückziehen kann, wenn er zB am Handy mit der Freundin über den stinkenden Koch lästert.

    *räusper*

    Wenn ich nicht soviel Angst hätte, dass mir ein HTML-Tag den Eintrag zerpflügt, würde ich sogar einen Link setzen, aber eben.

  8. Den Gedanken hatte Erving Goffman auch schon. Der sagt: “Wir alle spielen Theater” und hat auch gleich ein Buch mit ebendiesem Namen geschrieben. Im Grundsatz läuft das darauf hinaus, dass wir alle Theater spielen (ach ne?). Das heisst, wir legen uns für jede Kommunikations-Situation eine eigene Rolle zurecht, d.h. für den Schwatz mit dem Nachbarn, für den Aufriss im Club, für das Arschkriechen beim Chef.

    Ausserdem unterteilt Goffman das Leben auch noch in Vorder- und Hinterbühne. So kann zB für einen Kellner das Restaurant die Vorderbühne sein und die Küche die Hinterbühne, auf der er mit seinen Berufskollegen lästert. Gleichzeitig ist aber auch die Küche als Hinterbühne wieder eine Vorderbühne, von der sich der Kellner wiederum auf die Hinterbühne zurückziehen kann, wenn er zB am Handy mit der Freundin über den stinkenden Koch lästert.

    *räusper*

    Wenn ich nicht soviel Angst hätte, dass mir ein HTML-Tag den Eintrag zerpflügt, würde ich sogar einen Link setzen, aber eben.

  9. “Kommentar von hanni-steffi on Oktober 18, 2007 10:32 nachmittags ”
    nach mittag, ok.
    aber nachmittags? namiddach fühlt sich anders an als 23.36…

  10. Ibuprofen, geiles Zeug … ich nehms auch, wenn ich was gegen diverse WehWehchen brauch … ;)

    Was du “Rolle” nennst, würde ich “Maske” nennen …irgendwie bin ich auch mal darauf gestoßen, und ich dachte schon ich bin Paranoid oder sowas … oder liegt das an dem Medikament?

  11. Hallo Tobi, nee, ist wohl wirklich keine Alterssache. Ich hatte einmal im Leben einen Hexenschuss, so einen richtigen, dagegen war der verkorkste Nacken eine Wellness-Kur. Da habe ich eine halbe Stunde gebraucht, um aus dem bett zu kommen und eine ganze Stunde bis zum Arzt um die Ecke. Da war ich 23 oder 24 …

    Hallo Hanni-Steffi, aber Yoga dauert doch immer so lange und man muss sich konzentrieren und das Gehirn abschalten und so. Das ist doch außerdem so’ne uralte Technik, die man damals nur als Notbehelf erfunden hat, weil es noch keine Salbe und keine Schmerztabletten gab.

    Hallo Jayman, wahrscheinlich bist Du jam paranoid, aber Du wärst ja auch ziemlich verrückt, wenn Du es nicht wärst!

  12. Huhu Volker,

    du willst folgendes sagen (und hast es ja schon vorher getan, nur in anderem Kontext)

    Hyperrealität ist cooler als ganz normale Realität.

    Das ist übrigens eine Abstraktion von:
    Künstliches Erdbeeraroma aus Sägespänen schmeckt mehr nach Erdbeere, als Erdbeeren selber.

    Als Bühnenperson bist du rein rezeptiv für den Konsumenten immer erstmal hyperreal. Sind deine Texte ja auch! Sonst wären sie langweilig. (Es sei denn du schreibst Konzepttexte, die auf Befehl langweilig sind, aber wer sowas erleben will, soll sich mal ne Originalinszenierung von Beckets Warten auf Godot reinziehen.)
    Auf jeden Fall bist du ohne Rampenlicht dann erstmal einfach wieder real, ohne “hyper”, und der Konsument, der dich dann trifft, muss schon ein sehr gewitzter sein, um sofort wahrzunehmen, dass du ohne Rampenlicht ein Bursche wie er und seine Inge bist.
    Weeste wie ik meine? Äh, ich mein – weeste jetzt watte jemeint hast?

  13. hm…das ist doch mal ne schöne geschichte…
    hat sich glohnt. diese seite zu öffnen…
    hab mir auf youtube mecklenburg angeguckt und fands witzig! schön gemacht…besser wärs natürlich gewesen, du hättest ein neues lied komponiert und nicht nur den text geändert…(obwohl es dadurch natürlich nicht schlechter wird….)

    mit freundlichem gruße,
    der Ulle

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