Weblog & Podcast von Volker Strübing

König von Deutschland

Datum: 13.09.08
Kategorien: Science Fiction

Ein Jahr ist es nun her, dass in Deutschland praktisch die Monarchie wieder eingeführt wurde. Schnipselfriedhof sprach aus diesem Anlass mit Enriko Jokisch – oder mit Ritschie I., wie viele ihn einfach nur nennen.

Schnipselfriedhof: Herr Jokisch, bitte gestatten Sie mir zuerst eine private Frage: Wie fühlt man sich so als „König von Deutschland“?

Richie I.: Na, voll geil! Ähm … also ich bin ja eigentlich gar nicht König. Ich bin der oberste und erste … ähm Präsentant des … äh … Dienerstaates.

Schnipselfriedhof: Sie meinen ihre offizielle Bezeichnung „Oberster Repräsentant des Volkes und erster Diener des Staates“?

Richie I.: Äh … genau.

Schnipselfriedhof: War das nicht eine schwierige Umstellung für Sie? Vor anderthalb Jahren waren sie noch arbeitslos; das ist doch ein recht großer Schritt, den sie da getan haben. Direkt von der Couch auf den Thron, um es mal salopp auszudrücken.

Richie I.: Naja, Thron … was heißt „Thron“? Meistens sitze ich immer noch auf der Couch. Is einfach bequemer, verstehste?

Schnipselfriedhof: Darf ich fragen, wie Sie persönlich sich geändert haben in diesem einen Jahr an der Spitze Deutschlands?

Richie I.: Ach weeßte, ich hab mich eigentlich gar nicht geändert. Bin ein einfacher Mann geblieben, ja? Mein Lieblingsessen ist zum Beispiel immer noch Buletten mit Kartoffeln und Erbsen.

Schnipselfriedhof: Man hört allerdings, dass Sie sich dieses jetzt stets von nackten Schönheitsköniginnen servieren lassen.

Richie I.: Ja, geil, was?! Naja, was hättich’n davon Kaiser zu sein, wenn mir weiterhin die Karin in ihrem Jogginganzug die Buletten bringt?

Schnipselfriedhof: Natürlich. Lassen Sie mich doch gleich die nächste Frage anschließen: Warum sind Sie denn eigentlich König geworden?

Richie I.: Na, einer muss es ja machen. Wenn das Volk ruft, muss man … äh … zurückrufen? Nee. Moment. Wie war das? Ach ja: „Frage nicht, was du für dein Land tuen kannst, sondern frage, was dein Land für dich tuen kann.“

Schnipselfriedhof: Umgedreht, oder?

Richie I.: Weeß icke …

Schnipselfriedhof: Nun ja, manche behaupten, dieser „Ruf des Volkes“ sei bloß ein blöder Scherz gewesen, der sich irgendwie verselbstständigt habe. Lassen Sie uns doch noch einmal auf die Umstände ihrer Machtübernahme zu sprechen kommen. Eigentlich haben Sie ja alles ihrem Sohn zu verdanken.

Richie I.: Der Kevin! Jaja, bin mächtig stolz auf ihn.

Schnipselfriedhof: Vielleicht erzählen Sie die Geschichte selbst noch einmal für unsere Leser.

Richie I.: Na, ich hatte den doch ßu seim 10. so’n Fotoapparat geschenkt, wo de ooch Videos mit machen kannst. Und dis hatter dann gemacht, also ‘n Video. Von mir. Und so kam dis alles.

Schnipselfriedhof: Ihr Sohn filmte Sie bei diversen Familienfeiern, am Stammtisch ihrer Kneipe und auf ihrer Couch beim Fernsehen; alles Gelegenheiten, bei denen Sie ihre Sicht auf die Dinge darlegten.

Richie I.: Genau.

Schnipselfriedhof: Dann schnitt er ihrer Aussagen zu einem 3-Minuten-Clip zusammen. In diesen 3 Minuten reden sie unter anderem über die Themen Steuer, Mindestlohn, Ausländer, Klimaerwärmung, Pisa, Terror, Jugendgewalt, GEZ, Islam, Frauen am Steuer, Doping, Russland, Kinderpornografie, Grafitti, falsch rum aufgsetzte Basecaps, Beamtenwesen, Hundekot, Universitäten, Drogen, Nichtraucherschutz, staatliche Kunstförderung, BSE, Aids, Vergangenheitsbewältigung, Latte Macchiato – oder Latto Maggiore, wie sie – offensichtlich stark alkoholsiert – formulierten, Managergehälter, Mietkosten und Eisbärenbabys.

Richie I.: Was die Menschen halt so bewegt.

Schnipselfriedhof: Im Video taucht 26 mal die Formulierung „Die da oben auf“, 18 mal „Dafür ham se Geld“, 17 mal „wenn ick was ßu saren hätte“, 14mal „mit uns könnses ja machen“ – wobei sie 12mal „aber die wern sich noch umgucken“ hinterhergeschoben haben, außerdem 9mal „40 Jahre hamse uns beschissen und jetzt schon wieder“, sowie 6 mal „Dafür bin ich 89 nich auf die Straße gegangen“ und 2mal „Dafür habich 89 nich besoffen auf die Straße gekotzt“

Richie I.: Mann, wat war ick hacke, hihi.

Schnipselfriedhof: Ihr Sohn hat das Video dann unter dem Titel „Papi weiß wo’s langgeht“ ins Internet gestellt.

Richie I.: Genau.

Schnipselfriedhof: Anfangs wurde es vor allem durch diverse Blogs und Satiremagazine im Internet verlinkt, die damit eine regelrechte Lawine lostraten. Innerhalb weniger Wochen hatten sie bei YouTube 40 Millionen Klicks.

Richie I.: Dis war was! Erst fand ich’s ja komisch – Kevin hatte mir ja garnüscht davon gesagt – und denne grinsen mich dauernd fremde Leute auf der Straße an und ich frag mich so, ob die alle schwul sind … also die Männer jetze … nich die Frauen … schwule Frauen gibt’s ja gar nicht … wär ja noch schöner … wobei man das heutzutage ja nich mehr wissen kann. Gibt doch so’n Schwulitätsgen und wenn das nun ‘ne Frau hat, weil se vielleicht so’ne Gen-Tomate gegessen hat, denn müsste se ja auch schwul werden … herrjeh! Ich muss da mal was machen wegen den schwulen Fauen! So gesetzesmäßig.
Ach so. Ich soll ja nicht dauernd „schwul“ sagen, sagen meine Berater. Wegen dem internationalen Ansehen, pah! Internationales Ansehen, pimpernationales Ansehen! Ich bin der König, ich kann sagen, was ich will! Schwul! Schwul! Schwul!

Schnipselfriedhof: Nun, um auf ihre Machtübernahme zurückzukommen … plötzlich tauchten überall Plakate und Graffittis mit ihrem Bild auf und Mottos wie: „Papi weiß, wo’s langgeht“ und „Papi for President“ und „König Richie wird’s schon richten“ auf. Dann waren sie zu Gast bei Stefan Raab und kurz darauf bei Anne Will, und Angela Merkel empfing sie, die Sportfreunde Stiller dichteten ihr Fußballied in eine King-Richie-Hymne um … mit dem Bier in der Hand und ner Flasche Billigwein / soll Richie unser König sein …

Richie I.: Ja! Super!

Schnipselfriedhof: … wobei die Sportfreund später behaupteten, das sei nur ironisch gemeint gewesen, wofür sie kürzlich zu 5 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden – die sie meiner Meinung nach schon für das Fußballied verdient gehabt hätten – aber ich schweife ab! – … jedenfalls … irgendwie, ohne, dass jemand genau sagen konnte, wie es eigentlich passiert ist, fegte diese Spaßlawine die parlamentarische Demokratie beiseite; Bundestag und Bundesrat lösten sich in einer weinseligen Sizung mit viel Schunkelmusik am Rosenmontag 2010 auf und übertrugen Ihnen die Macht im Staate.

Richie I.: Dis war’n geiler Tag. Soweit ich mich erinnere. Hatte natürlich auch einiges gepichelt.

Schnipselfriedhof: Ein weltweit einmaliger Vorgang. Nun, zumindest hat Deutschland damit bewiesen, dass es ein Land ist, in dem Humor eine wichtige Rolle spielt …

Richie I.: (guckt misstrauisch) Soll’n dis heißen? Dass wir Deutschen Humor haben, oder was?

Schnipselfriedhof: Naja, vielleicht eher, dass die Deutschen den Humor sehr, sehr ernst nehmen … Lassen Sie uns doch auf ihr erstes Amtsjahr zu sprechen kommen. Besonders stolz sind Sie ja auf ihr Programm zur Senkung der Arbeitslosigkeit.

Richie I.: Ja, dis hat eingeschlagen wie ‘ne Bombe. In nur einem Jahr von 5 Millionen auf fast keine!

Schnipselfriedhof: International hat das natürlich unselige Erinnerungen an einen anderen deutschen Staatsmann geweckt, der auch Autobahnen hat bauen lassen.

Richie I.: Ach apperlapapp. War doch nicht alles schlecht im Osten!

Schnipselfriedhof: Im Osten?

Richie I.: Na überhaupt früher! Dis mit den Autobahnen war doch cool. Dis mit den Juden war natürlich Scheiße …

Schnipselfriedhof: Was war Scheiße mit den Juden?

Richie I.: Na dis die soviel Geld hatten und soviel Einfluss … ach nee! Quatsch! Dis die so schlecht behandelt wurden und dis alles.

Schnipselfriedhof: Dis alles.

Richie I.: Genau! Jedenfalls habe ich über 3 Millionen Arbeitsplätze beim Autobahnbau geschaffen …

Schnipselfriedhof: Indem Sie kein Werkzeug ausgegeben haben …

Richie I.: So mussten halt mehr Leute mit anpacken.

Schnipselfriedhof: Und international fragt man sich auch, wozu es eine 12spurige Autobahn zwischen Krawinkel und Klein-Wuttgenhausen braucht …

Richie I.: Naja …

Schnipselfriedhof: Und 14 Spuren für die 3 Kilometer zwischen Hinterblindow und Oberbehrendorf. Zumal dieses Teilstück nur an einen kleinen Waldweg angeschlossen ist …

Richie I.: Wir müssen die Autobahnen halt dort bauen, wo Platz ist.

Schnipselfriedhof: Also vor allem in den Naturschutzgebieten.

Richie I.: Hippiekacke.

Schnipselfriedhof: Umstritten is auch ihr Umgang mit Ausländern …

Richie I.: Wer sich nicht anpasst, soll gehen, wo er herkommt.

Schnipselfriedhof: Für Ausländer oder Personen mit Migrationshintergrund besteht die Pflicht, sich dreimal pro Woche in einem Bierzelt zu betrinken. Bei Blasmusik oder deutschem Schlager.

Richie I.: Genau. Sonst könnse uns ja sonstewas erzählen, von wegen wie interniert sie sind.

Schnipselfriedhof: Integriert.

Richie I.: Herrjeh, du weißt ooch alles besser, wa? Soll ich vielleicht gehen, willste dich in Ruhe selbst interviewen?

Schnipselfriedhof: Entschuldigung. Was sagen Sie zur Massenflucht vor allem gut ausgebildeteter Deutscher in die Nachbarstaaten?

Richie I.: Das gibt sich. Bald bauen wir eine weitere Autobahn, einmal ringsum Deutschland. Und die stellen wir hochkant auf.

Schnipselfriedhof: Sie wollen eine neue Mauer bauen?

Richie I.: Einen antiglobalistischen Schutzwall.

Schnipselfriedhof: Nun, ob sie die Unzufriedenheit im Lande damit in Griff bekommen …

Richie I.: Ach, da mach dir mal keine Sorgen. Bald tritt ein Gesetz in Kraft, das schlechte Laune und Miesepetrigkeit unter Strafe stellt. Wir werden das glücklichste Land der Welt.

Schnipselfriedhof: Gut zu wissen. Ich muss dann mal los, Koffer packen. Vielen Dank jedenfalls für das Gespräch und abschließend eine dringende Bitte an alle Leser: Überlegen Sie um Himmels Willen ganz genau, bevor sie irgendwas ins Internet stellen.

(Volker Strübing)

12 thoughts on “König von Deutschland

  1. am Thema vorbei:

    Volker!!!!!
    Ich höre Dich gerade im Radio…., was ja schön ist, aber noch schöner wäre, wenn ich vorher gewusst hätte, dass Du in Bonn liest und ich Dir dabei jetzt zusehen könnte.

    Hmpf….

    Naja, mal weiter mithören
    (…und für eine Aktualisierung der Auftritts-Daten plädiere, so ganz nebenbei…)

  2. Korrektur meinerselbst:
    […] noch schöner wäre, wenn ich vorher gewusst hätte, dass Du in Bonn liest und ich Dir dabei am 08. 09. dabei hätte zusehen können[…]

    *vorsichhinerikativiert*

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