Weblog & Podcast von Volker Strübing

Tatort Schweden: OP ruft Dr. Kuttner

Datum: 23.08.10
Kategorien: Zumutungen

Der Titel ist vielleicht ein bisschen unklar, aber wer es schafft, diesen etwas lang geratenen Beitrag zu Ende zu lesen, wird schon merken, was das bedeutet oder zumindest, was er davon hat.
Dies ist meine erste und ganz bestimmt letzte Tatort-Kritik. Alle 4 Wochen oder so sehe ich mir einen Tatort an, obwohl ich in 3 von 4 Fällen fasssungslos bin, was für ein Mist mir da vorgesetzt wird. Eins der Flagschiffe deutscher Fernsehunterhaltung, eine nationale Institution, eine absolute Katastrophe. Unbegreiflich. (Naja, nicht ganz: Als ich vom Tatort-Drehbuch-Skandal las, dachte ich: “Ach soooo…”)

(Oder sind die meisten gut und ich habe immer Pech beim Einschalten?)

Mein Eindruck ist folgender: Ein Tatort darf kein einfacher Krimi mehr sein, sondern muss in eine der folgenden Kategorien passen:

1. Gesellschaftsdramen, bei denen in 90 Minuten mindestens 4 gesellschaftliche, soziale und politische Themen abgehandelt werden. Es gibt da wahrscheinlich eine Losbox, aus der der Autor dann beispielsweise die Zettel “Giftmüll”, “Killerspiele”, “Zwangsprostitution” und “nicht rollstuhlgerechte Bahnhöfe” zieht und dann die Geschichte darum aufbaut. Am Ende war es dann meistens doch der Gärtner.

2. Komödien für Leute, die es mit Humor nicht so haben. Na gut, vielleicht bin ich aus persönlichen Gründen ein bisschen ungerecht: Ich hatte zusammen mit Heiko Werning eine Lesung in Münster, an dem Sonntag, an dem der erste Münster-Tatort lief. Außerdem las eine Querstraße weiter zur selben Zeit Wiglaf Droste. Mein Herz ist noch immer voller Dankbarkeit für das wackere halbe Dutzend Leute, dass den Weg zu uns fand …

3. Thriller. Wie “Thriller geht” meint man von den Amerikanern und Skandinaviern gelernt zu haben. Hat man aber nicht. Auf dünnen Streichholzbeinchen steht ein riesiges abstruses Beziehungsgeflecht, meist nur mit irrwitzigen Zufallskonstruktionen vor dem völligen Zusammenbrechen bewahrt, alle Bilder sind vollkommen überzeichnet, Deutschland wird zur Geisterbahn; bizarre Morde, Amnesien, Doppelgänger sind quasi Alltag (und kommen auch schon mal alle zusammen in nur einer Folge vor), die Mottenkiste des Thrillergenres wird geplündert (Larven im Mund waren doch damals ein ziemlicher Hit, oder? Dann lasst es uns doch mal mit einem Wurm im Ohr versuchen! Und sagt dem Musiker, er soll irgendwas mit jammerigen Kinderstimmen machen, naja, so Standardpsychopathenfilmmucke halt, der weiß dann schon …)

“Hauch des Todes” sollte wohl in die dritte Kategorie gehören (Laborarzt zur Kommissarin: “Isch bin für de Wurm zuschtändisch, Sie für de Logik”) – tasächlich war es aber die erste wirklich gelungene Komödie aus der Tatort-Reihe. Den meisten Zuschauern dürfte das leider entgangen sein, deshalb will ich versuchen, es zu erklären. Danach kann man sich das Teil in der ARD-Mediathek nochmal mit ganz neuen Augen ansehen. (Hier ist der Bezug zu Kuttner – was ich jetzt beschreibe, wäre ein tolles Thema für seine Videoschnipsel – ich wünschte ich könnte sowas auch machen und vor allem: so gut wie er. Vielleicht hat er aber auch schon einen Videoschnipselvortrag dazu gemacht.)

Mitte der 90er habe ich ziemlich oft als Komparse bei Fernsehserien gearbeitet. Als GZSZ noch dreistellige laufende Nummern hatte, saß ich regelmäßig im Hintergrund in Daniels Bar rum und unterhielt mich mit dem mir zugeteilten Komparsenkollegen. Lautlos, denn wir durften nur die Münder bewegen aber nichts sagen, was wir mit übertriebener gestischer Untermalung auszugleichen versuchten. Häufig war ich auch bei Krankenhausserien, vor allem bei “OP ruft Dr. Bruckner” eingesetzt. Das war irre: Die Schminkerinnen und Ausstatter sind manchmal vollkommen ausgerastet. Komparsen gab es genug und alle bekamen schreckliche Wunden und dramatische Verbände verpasst und wurden dann auf dem Flur verteilt, durch den Dr. Bruckner zu eilen hatte, während er seinen Groschenromandialog herunterspulte und nichts davon mitbekam, dass in Deutschland gerade ein Bürgerkrieg zu wüten schien, mindestens aber ein Vulkan ausgebrochen war. Einmal ließ der Regisseur, ein unangenehmer Mann, der den Hass auf sein verpfuschtes Leben (eigentlich wollte er doch anspruchsvolle Filme drehen!) an den Mitarbeitern ausließ, die Komparsen antreten, schritt die Reihen ab, zeigte auf mich und sagte: “Der kippt um und kriegt ne Beatmung, der sieht schon so aus!” und seine Schergen lachten pflichtschuldig. Ich kriegte ein Nachthemd, musste mich auf den Krankenhausflur legen (es wurde in einem stillgelegten Krankenhaus gedreht) und ein anderer Komparse, ein Agrarwirtschaftsstudent, wurde dazu auserkoren, mich zu beatmen. Beinahe hätte es am Set einen echten medizinischen Notfall gegeben. Der Diplombauer stülpte mir die Maske übers Gesicht und schaffte es, immer dann zuzudrücken, wenn ich ausatmen wollte und umgedreht. Dr. Bruckner rannte ungerührt an mir und ganzen Horden Schwerstverletzter vorbei und leierte seinen Groschenromandialogtext runter … schade, dass ich das nie im Fernsehen gesehen habe.

Jedenfalls: Damals habe ich gelernt, bei Filmen und Serien auf die Komparsen im Hintergrund zu achten. Damit kann man das Fernseherlebnis oft erstaunlich aufwerten. Je schlechter ein Film ist, desto mehr Spaß macht üblicherweise das Beobachten der Komparsen im Hintergrund.

Der “Hauch des Todes”-Tatort war in dieser Hinsich mit Abstand das beste, was ich je gesehen habe. Guckt ihn euch mal an, achtet vor allem bei den Szenen am … äh … Tatort und im Polizeigebäude auf die Leute, auf die man eigentlich nicht achten soll. Das lenkt übrigens auch gut von den hölzernen Erklärdialogen ab, die so lebendig aufgesagt werden, als sei dies die erste Probe einer nicht gerade zu Hoffnung Anlass gebenden Schultheatergruppe (ganz schlimm: der Kommissar mit den fettigen Haaren und die Pathologin). Was da sinnlos rumgerannt und telefoniert und herumgeschleppt und gestikuliert wird ist wirklich atemberaubend und zum Schreien komisch, danke dafür an das “Hauch des Todes” Team!

Wenn man sich auf die Komparsen konzentriert fällt einem noch etwas auf: Bei der Mordkommission von … wo auch immer der Tatort gespielt hat arbeiten jede Menge Schwarze mit Glatze. Kein einziger türkischstämmiger Mitarbeiter, aber mindestens ein Drittel Schwarze mit Glatze. Sollte das so ein bisschen amerikamäßig wirken? Wenn ja, dann geht das ziemlich schief. Es kommt einfach kein “The wire”-feeling auf, wenn im Vordergrund die Sekretärin rumschwäbelt. Vielleicht waren ja gerade Schwarze-mit-Glatze-Sonderangebotswochen bei der Komparsenagentur? “Jetzt Schwarz buchen statt schwarz ärgern” oder “Jetzt schwarze Darsteller buchen und schwarze Zahlen schreiben” – ich kann mir vorstellen, wie sie das in ihrem Newsletter angepriesen haben, ich war ja nicht umsonst mal Werbetexter.

Hier kann man sich den Film angucken (aber nur zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr): http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/5237276?pageId=487890&moduleId=602916

Und was hat das nun alles mit Schweden zu tun? In Schweden habe ich gerade mit Freunden Urlaub gemacht und wir haben unseren ganz persönlichen Skandinavien-Pschychothriller erlebt. Aber davon schreibe ich vielleicht ein andermal.

(VS)

Nachtrag: Gerade bei Monstersandcritics.de gelesen: Die “Standardpsychopathenfilmmucke” wurde in diesem Fall von einem Typen namens Brahms geschrieben. Wohl nicht ausdrücklich für diesen Film. Zitat: “Fürwahr gespenstisch, wie Lars Montag die beklemmende Atmosphäre dieser Kulisse im Film als Stil prägendes Motiv einsetzt. Ein anderes sind die immer wieder zu hörenden Klänge aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms – Montag hat Teile davon eigens von einem elfjährigen Kind einsingen lassen.””

10 thoughts on “Tatort Schweden: OP ruft Dr. Kuttner

  1. Man hat den Mörder auch sofort erahnt als er zum ersten mal zu sehen war. Nun weiß ich ja wenigsten wie der Tatort doch noch amüsant werden könnte falls die Story mal wieder total Durchschaubar ist.

  2. Ich hab mal zwei gute gesehen (also seit 2000, Schimmi fand ich z.B. schon immer gut oder die mit Manfred Krug, hier zu empfehlen: Undercover Camping), der eine hieß “Weil wir böse sind”, den Titel des anderen habe ich leider vergessen.

  3. Danke für die “Filmempfehlung” des Tages! Das war ja mal sehr erheiternt!^^
    Mein Lieblingsmotiv war übrigens KIND MIT TUBA.

  4. Moin,

    ich bin ein riesiger Tatort-Fan. Das vorneweg. Und ich bin auch der Meinung, das die Reihe “Tatort” mit das beste ist, was das deutsche Fernsehen zu bieten hat. Ich sitze jeden (!!!) Sonntag vor dem Fernseher und schaue mir alles an, was die mir vorsetzen. Oftmals kann ich damit sehr gut leben, in einigen Fällen gab es sogar sehr positive Überaschungen (z.B. die saarländischen Folgen, von 0 (Palu) auf Hundert (Kappl/Deininger)). Ich möchte auch sagen, dass ich es sehr gut finde, wenn dei “Sekräterin im Hintergrund rumschwäbelt”. Das gehört dazu, das ist ein typisches Tatort-Stilmittel.

    Und dann das: Die Sommerpause geht zu Ende mit einem Odenthalt – Tatort… Da kommt ja selten was bei rüber. Diese ganzen psycho-gedudel und Dialoge die sich im Wort-Hülsen-Geboßel verlieren. Verstärkt nur noch durch das Geseiere, was der Täter von sich gibt. Übirgens, sah der nicht original aus wie Dieter-Thomas Kuhn? Ich hoffe, dass die ARD und der SWR nach 50 mal Lena Odenthal zur Besinnung kommen und die Olle mal endlich abschießen.

    Gruß Ecky

  5. @eckytb: Lächerlich war ja nicht die schwäbelnde Sekretärin. Lächerlich war der Versuch, es um himmelswillen nicht wie eine schwäbische Amtsstube, sondern wie die Zentrale der New Yorker Polizei an einem besonders hektischen Tag (11.September oder so) aussehen zu lassen.

  6. ludwigshafen liegt in der pfalz. dort spricht mal pfälzisch (pälzisch). schade, dass die sekretärin diesen dialekt nicht originalgetreu wiedergeben kann. was sie spricht hört sich nach einer mischung aus hessisch und schwäbisch an.

    böser dieter thomas kuhn :-)

  7. Muss zu meiner Schande gestehen, dass ich 20 Jahre nach der Wende immer noch Probleme mit der Zuordnung von Städteh zu Bundesländern und der Lokalisierung vieler Dialekte habe. Alles mit “sch” statt “ch” kommt dann in die große Schwäbisch-Schublade.

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