Ich weiß noch ungefähr, was ich am 4. Juli 1996 gemacht habe: Ein paar, wahrscheinlich recht schlechte, Texte ausgedruckt, die ich extra für diesen Tag geschrieben hatte, also meine ersten Texte überhaupt, und zur aller ersten Show der ganz neuen Lesebühne „LSD – Liebe Statt Drogen“ geradelt. Volker war auch dabei. Damals hieß die Veranstaltung allerdings noch Supernova, fand im Restaurant Nova statt und zwar Donnerstags. Aber damals gab es ja noch nicht mal den Begriff Lesebühne. Kein Wunder, es gab ja auch kaum Lesebühnen. Dr. Seltsams Frühschoppen und das Mittwochsfazit kannte ich nicht. Nur die Reformbühne Heim und Welt. Von der ließen wir uns auch inspirieren. Inspirieren, für die Fremdwortbleppos, bedeutet: wir kopierten das gesamte Konzept. 1:1. Lediglich mit uns anstatt mit denen und unseren anstatt derer Texte. Wir waren ja auch viel besser, nehme ich an. Trotzdem machte die Reformbühne weiter. Nicht nur deshalb blieben sie Vorbilder für uns. Nach uns gründeten sich noch viele neue Lesebühnen. Die bekanntesten sind sicher die Surfpoeten, die Chaussee der Enthusiasten, die Couchpoetoes. Es gibt aber viel mehr, sie fallen mir bloß gerade nicht ein, denn mein Gehirn ist alt. Vor 15 Jahren begannen wir. Und wir haben keine Woche ausfallen lassen. Nur ein einziges mal ist das Publikum weggeblieben, ausgerechnet bei unserem zehnjährigen Jubiläum. Ich sage nur: Scheiß-Fußball! Aber ansonsten war jede Woche ein mal LSD. Selbst am 11.9.2001. Selbst als ich ein Jahr lang als Künstler pausierte, ging ich oft als Zuschauer hin. Weil wir so gut waren. Unsere besten Leute verließen uns. Aber noch bessere stießen neu dazu. Wir hatten eigentlich immer das beste Publikum, dass man sich wünschen kann. Stammpublikum. Gewonnen durch Kontinuität und Mundpropaganda. So wie alle Berliner Lesebühnen. Was wären wir ohne Publikum? So ziemlich jede in Berlin ansässige Zeitung und alle Stadtmagazine haben immer wieder mehrseitige Berichte über uns, unsere Show und unsere Gäste nicht geschrieben sondern über was anderes. Falls wir doch mal in irgend einer Zeitung erwähnt wurden – Praktikanten und Volontäre sollen ja auch Fehler machen, um daraus zu lernen – war das kurz darauf meist einer anderen Zeitung ein Beleg dafür, dass es sich bei den Berliner Lesebühnen um einen Hype handelte, der glücklicherweise aber schon vorbei war. Wir machten weiter, unser bezauberndes Publikum machte weiter. Zusammen wurden wir in der Zeit immer jünger, schöner, klüger und sexyer. Kaum zu glauben aber wahr. Ich weiß schon, was ich morgen machen werde: Ein paar, wahrscheinlich recht schlechte, Texte ausdrucken, die ich extra für diesen Tag schreiben werde, also meine allerneuesten Texte, und zur allerneuesten Show der Berliner Lesebühne „LSD – Liebe Statt Drogen“ radeln. Im Schokoladen. Unser 15. Volker ist auch dabei. Komm doch auch Du!
(Andreas Krenzke)
Da ist ja so ziemlich jede Zeile richtig.
Ist mir zu weit zum radeln und fürs Auto is mir der Sprit zu teuer.