Halle ist schön. Jena auch, aber Halle ist schöner, es hat sogar eine Hochstraße! In Halle war ich zur Wörterspeise eingeladen. Eigentlich ein Slam, aber im Sommer gibt es ein Spezialprogramm, wir waren nur zu dritt, Katja Hofmann, Nikita Gorbunov und ich, es gab keine Abstimmung und viel Zeit zum Singen (Nikita) bzw. Vorlesen (icke). Desweiteren eine Fragerunde, bei der Nikita und mir die Fragen gestellt wurden, die das Publikum zuvor auf Zettel geschrieben hatte. Ich wurde unter anderem gefragt, was ich von Katzen halte und wie die Welt aussähe, wenn es die Farbe grün nicht gäbe. Letzteres wollte ich mir nicht vorstellen und nutzte die Gelegenheit für ein leidenschaftliches Plädoyer für die Farbe Grün. Später, passenderweise beim Pfeffitrinken auf einem Balkon, diskutierten wir die Frage noch einmal. Die Vermutung wurde aufgestellt, dass das Fehlen der Farbe Grün auch das Fehlen von Blau und Gelb bedeuten würde, aus denen sich Grün ja zusammensetze, das also mithin alles rot wäre. Ich gab jedoch zu bedenken, dass eine Welt denkbar wäre, in der andere Farbgesetze herrschen und Grün aus dem einfachen Grund fehle, dass sich Blau und Gelb wie Öl und Wasser einfach nicht mischen würden. Dann schwiegen wir nachdenklich, aber nicht allzu lange, denn es gab noch andere Dinge zu besprechen, zum Beispiel ob man nach ausgiebigem Pfeffigenuss ohne Zähneputzen ins Bett dürfe.
(Apropos Grün: Am nächsten Morgen musste ich lange über dieses Plakat nachdenken. Seit wann grünt denn kein Strom mehr für Halle? Und warum nicht? Und wie sah das früher aus, als der Strom noch für Halle grünte?)
(Ich weiß nicht warum, aber dieses Schaufenster stimmte mich traurig.)
Die Wörterspeise hat viel Spaß gemacht und fand an einem sagenumwobenen Ort statt, der Goldenen Rose oder so, Deutschlands ältestem Herrenhaus – so eine Art Club für Männer, heutzutage aber Personen jederlei Geschlechts zugänglich. Schon Mozart und George Bush sen. haben die Lokalität besucht. Einer von beiden, ich weiß nicht mehr welcher, habe sich gemeinsam mit einer Dame in einem der oberen Zimmer vergnügt, so wurde kolportiert, weshalb man dieses jetzt nicht mehr betreten dürfe, um eventuelle Rückstände der sozusagen übersprudelnden Freude besagter Herrschaft, aus denen diese sich wie die Saurier in Jurassic Park klonen ließe, nicht zu gefährden. Ich nehme an, dass mir die Hallenser/Halloren/Hallunken hier einen großen Bären aufgebunden haben, aber das taten sie mit diesem niedlichen Hallenser Anhaltinisch, dem man beinahe alles verzeihen kann.
Besonders gut gefällt mir an Halle, dass es eine Straßenbahnendhaltestelle namens “Frohe Zukunft” gibt. Ich würde aber nie dorthin fahren, da sich die Frohe Zukunft bestimmt als gruseliges Neubaugebiet oder deprimierende Kleingartenanlage entpuppen würde. Außerdem hatte ich sowieso keine Zeit für einen Abstecher in die Frohe Zukunft, weil ich weiter musste – nach Jena Paradies, das ist doch auch was!
(Endstation Zukunft.)
In Jena war ich zum Songslam eingeladen. Ich weiß nicht mehr, in welchem seltsamen Geisteszustand ich diese Einladung angenommen habe – ich habe (vom LSD-Schlusslied abgesehen) seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Bühne gesungen und schon gar kein neues Lied geschrieben. Nun musste ich jedenfalls ran, und immerhin: Es war ein Grund, die Gitarre wieder auszupacken und der Abend hat mir Lust gemacht, mich doch mal wieder an einen Song zu setzen. Der Songslam fand im alten Jenaer Volksbad direkt am Bahnhof Jena Paradies statt, ein passender Ort bei diesen Temepraturen, nur hatte man seltsamerweise das Schwimmbecken abgedeckt und Stühle darauf gestellt. Ich hätte es ja schön gefunden, wenn die Zuschauer die ganze Zeit hätten schwimmen müssen. Gewonnen haben Tillmann Birr und Julius Fischer, die das sehr sehr gut gemacht haben, wobei ich einschränkend sagen muss, dass ich sie im Verdacht habe, heimlich Singen und Gitarrespielen zu üben. Nachweisen kann ich natürlich nichts.
(Während in Halle kein Strom mehr grünt, ist in Jena das Ende der Fahnenstange in Sachen Individualisierung erreicht.)
Zu gewinnen gab es eine Flasche Sekt und ein Bild, dass der Moderator Christian Meyer auf der Straße gefunden hatte und das offenbar Vater Abraham zeigt, als er mit seiner Oboe das Schlumpflied erfand. Als an sich lobenswerte Geste und Ausdruck der Hochachtung für alle teilnehmenden Künstler wurde das Bild noch auf der Bühne in sechs Teile zerbrochen. Ich war sehr traurig, weil ich mir die Frau oder den Mann Mitte älteren Semesters die oder der das Billd einst im Volkshochschulkurs Portraitmalerei oder so mit viel Enthusiasmus und Herzblut gemalt hatte. Im Backstageraum versuchte ich es wieder zusammenzusetzen, aber Julius hatte sich schon mit dem Gesicht aus dem Staub gemacht, weshalb ich mit einem orangenem Handtuch und meiner Brille improvisieren musste:
(Man muss ja nicht alles verstehen.)
In Frohe Zukunft war zu DDR Zeiten ein Jugendstrafvollzug, und da ging es am Ende ganz gut ab: http://www.was-aufs-ohr.de/slct_lang.php3?id=781 – heute ist da immer noch eine JVA, die Hallenser verdrängen das Kapitel zum größten Teil.
Ich war anfangs auch über Frohe Zukunft erheitert, vor allem, als ich erstmals erfahren habe, dass dort ein Altersheim ist. Irgendwann kam mir das dann mit dem Knast zu Ohren, kein Hallenser, den ich fragte, wusste von der Vergangenheit.
Seitdem hat Frohe Zukunft ein sehr komischen Beigeschmack (der Stadtteil kann ja nichts dafür).
jfyi