Weblog & Podcast von Volker Strübing

Kaffee ohne Hitler

Datum: 18.10.13
Kategorien: Nachrichten aus der Scheinwelt, Zumutungen

Ich bin ein großer Freund des Deutsche-Bahn-Kaffees, und dies sage ich ohne jede Ironie. Die Bahn mag ihre Probleme haben mit der Wagenreihung, mit Klimaanlagen und der deutschen Sprache (kürzlich wurde in einer Ansage statt des ohnehin schon schlimmen „Personenschadens“ das seltsame Wort „Personenüberfahrung“ benutzt), aber Kaffeekochen, das kann sie, die Deutsche Bahn. Ein einfacher, ehrlicher Filterkaffee, nicht zu bitter, mit angenehmer Säure, wie man ihn in Cafés kaum noch bekommt, denn allenthalben wird mit sündhaft teuren Maschinen Espresso mit Wasser verdünnt. Mit Kaffee hat das nichts gemein, es handelt sich vielmehr um verdünnten Espresso. Bloß weil beides aus Kaffeebohnen hergestellt wird, ist es doch längst noch nicht dasselbe! Wenn ich einen Wein bestelle, will ich ja auch nicht, dass man mir einen Weinbrand mit Wasser verdünnt und dann sagt: Wieso? Wird doch beides aus Trauben gemacht!

Bevor mich jemand falsch versteht: Ich habe nichts gegen Heißgetränke auf Espressobasis! Einige meiner besten Freunde sind Heißgetränke auf Espressobasis! Aber reden wir nicht drumherum: Ihnen fehlt das Verwöhnaroma eines guten Tante-Gisela-Geburtstagsfiltertütenkaffees oder einer ehrlichen Tasse Türkischem.

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(Und in Wiener Kaffeehäusern im Herbst hab ich schon gleich garnichts gegen Heißgetränke auf Espressobasis! Aber trotzdem.)

Der Kaffee der Deutschen Bahn ist, wie bereits erwähnt, ein nahezu perfektes Getränk. Ab etwa der sechsten Tasse Kaffee am Tag muss ich jedoch aus Rücksicht auf die Magenschleimhaut auch den besten Kaffee mit Milch verdünnen. Mit Milch, nicht mit Kaffeesahne aus diesen doofen Döschen, wo immer die Sahne rausspritzt oder der Zuppel … aber das ist ein anderes Thema, mit dem ich mich schon oft genug auseinandergesetzt habe.

Im Bordrestaurant arbeiten zum Glück in aller Regel verständige Menschen. Selten war es ein Problem, im Zug um ein wenig normale, kalte Milch zu bitten. „Na klar“, sagten die Männer und Frauen hinter der Theke; sie waren oft zwischen Ende 40 und Anfang 60, und dann zogen sie den Schlauch des Milchaufschäumers aus dem Tetrapack Milch, der neben der Kaffeemaschine stand, und stellten mir die Milch zur freien Verfügung neben meinen Kaffeepott, und ich, von soviel gesundem Menschenverstand und lebensbejahendem Pragmatismus beglückt, gab ein angemessenes Trinkgeld.

In letzter Zeit setzt die Bahn leider vermehrt auf jugendliche Untote, vielleicht in der Hoffnung, sich ein cooles Image zu geben, weil doch Zombies so modern sind.

„Kann ich einen Schluck normaler Milch dazu haben?“, sagte ich zu einem von ihnen.

„Da sind Kaffeesahnedöschen, nehmen sie sich soviel sie wollen.“

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„Nein, danke, ich hätte lieber normale Milch.“

„Also einen Milchkaffee?“

„Nein, nein, einfach einen Schluck ganz normaler Milch zu meinem ganz normalen Kaffee.“

„Das geht nicht. Ich kann ihnen keine normale Milch zu einem normalen Kaffee geben.“

Ich schaute den jungen Mann verwirrt an und vergewisserte mich sorgfältig, dass er über alle zur Erfüllung der von mir geäußerten Bitte nötigen Sinnesorgane und Greifwerkzeuge verfügte, und sagte schließlich mit einem aufmunternden Tonfall, der ihm den Mut geben sollte, über sich selbst hinauszuwachsen: „Doch, das können sie!“ Gern hätte ich ihm noch eine Hand auf die Schulter gelegt, doch das wäre vielleicht zuviel gewesen.

„Nein, das kann ich nicht! Die normale Milch ist eine andere Kostenstelle!“

„Häh? Aber das merkt doch keiner! Oder malt Bahnchef Grube Striche an den Füllstand der Tetrapacks und verrechnet den Verbrauch mit den verkauften Milchkaffees? Ich will doch nur einen Schluck! Das ist wahrscheinlich sogar billiger als wenn ich mir sechs doofe Döschen nehme!“

„Ich habe meine Anweisungen!“

„Das hat Eichmann auch gesagt!“, antwortete ich und war sehr stolz auf mich, weil ich mir doch vorgenommen habe, weniger Hitler-Vergleiche zu machen und offenbar auf einem guten Weg bin.

Auf einer anderen Zugfahrt, als ich einen Kaffee bestellte – es war erst der dritte oder vierte, weshalb ich nicht in die Verlegenheit kam, nach Milch zu fragen –, entschuldigte sich der Bahnbarrista, dass er mir leider keinen Deckel geben könne.

„Aber da sind doch Deckel“, sagte ich und zeigte auf einen großen Stapel.

„Ja, aber die sind für die großen XL-Becher, Sie haben ja nur einen kleinen Kaffee.“

„Na, dann gießen Sie doch meinen kleinen Kaffee in einen großen Becher. Das schaukelt auf der Strecke so, ich hab keine Lust, den schönen Kaffee auf allerlei Mitreisende zu verplempern.“

„Nein, das geht nicht. Ich kann Ihnen keinen kleinen Kaffee in einem großen Becher geben!“

Und wieder einmal schaute ich verwirrt drein. „Doch, das können Sie“, sagte ich schließlich in beruhigendem Ton. „Umgedreht wäre es schwierig.“

„Nein“, sagte er.

„Doch“, sagte ich.

„Mhh, Mhh“, sagte er.

„Wohl“, sagte ich.

„Nö“, sagte er.

„Aber hallo“, sagte ich.

„Herrje, jetzt kippense dem doch endlich seinen Kaffee in einen großen Becher und tun’se n Deckel drauf, andere wollen auch noch bestellen“, sagte ein kluger älterer Herr hinter mir.

„Nein, nein, nein, das geht nicht! Die großen Becher sind ‘ne andere Kostenstelle!“

Da war sie wieder, die Kostenstelle, das moderne Glaubensbekenntnis, das finale Argument, der Todesstoß für Verstand und Mitmenschlichkeit. „Selbst wenn ich wollte, ich hab meine Anweisungen!“

„Das hat Eichmann auch gesagt!“

„Wer ist denn dieser Eichmann? Sie sind heute schon der dritte der mir so kommt!“

„Er hatte auch viel mit Zügen zu tun.“

„Ein Kollege? Muss ich direkt mal gucken, ob er bei Facebook ist.“

„Krieg ich jetzt den großen Becher?!“

„Nein! Für mich geht’s hier um den Job!“

„Sie werden gefeuert, wenn sie mir einen kleinen Kaffee in einem großen Becher geben?“

„Lachen Sie nur, aber die wollen Personal abbauen, denen ist jeder Vorwand recht …“

Und plötzlich konnte ich ihm gar nicht mehr böse sein, sondern eine tiefe Traurigkeit überkam mich, ein Mitleid mit ihm und einer Welt, in der Menschen unter Androhung des Jobverlustes dazu gezwungen werden, zu behaupten, es sei unmöglich eine Flüssigkeit aus einem kleineren in ein größeres Gefäß umzugießen. Mir fiel ein, was mir ein Kollege neulich erzählte hatte: Auf einer Zugfahrt hatte der Ansager statt der Standardsprüche ein paar gutgelaunte improvisierte Ansagen gemacht, alle Reisenden hatten sich gefreut, und mein Kollege hatte beschlossen, der Bahn mal einen Lobesbrief zu schreiben. Warum sollte man immer nur meckern? Man musste doch auch mal die guten Dinge würdigen. „Nein, bloß nicht“, hatte der Zugbegleiter erschrocken gerufen, als er ihn nach seinem Namen fragte. „Dafür kann ich abgemahnt werden! Wir dürfen eigentlich nur die vorgegebenen Sachen sagen!“ Ist das nicht traurig? Alle schreiben sich Freundlichkeit auf die Fahnen, aber gemint ist damit eine pervertierte, seelenlose Freundlichkeit, standardisiert und ergebnisorientiert. In all seiner Scheußlichkeit war das einst bei Burger King zu beobachten, wo man neben die Kassen Schilder gestellt hatte, auf denen stand: „Wenn Ihnen unsere Mitarbeiter keinen Guten Appetit wünschen, erhalten Sie einen 0,2-L-Softdrink gratis“. Welch eine Entwürdigung. Man nahm den Angestellten endgültig die Möglichkeit, ehrlich nett zu sein und dem Kunden die letzte Illusion über die ihm entgegengebrachte Freundlichkeit.

Ich nahm einen großen Schluck aus der Weltschmerztasse, diesem Jakobs Krönung der Seele, als der Mann hinter mir in der Schlange beherzt über den Tresen griff: „Darf ich mal?“ Er nahm einen der größeren Deckel, drehte ihn herum und drückte ihn falsch rum auf meinen kleinen Becher. Er saß perfekt. „So. Passt doch. Darf ich jetzt vielleicht auch bestellen?“

Manchmal wird alles gut. Es ist noch Hoffnung in der Welt und ein Rest guten Kaffees.

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20 thoughts on “Kaffee ohne Hitler

  1. Der umrissene Umstand ist wirklich, nun, seltsam.

    Aber, mit Verlaub, ob nun Eichmann oder Hitler, beide Vergleiche sind geschmacklos ;)

  2. In der gespannten Euphorie des Havel Slam hat der Text sich selbst einen sehr hohen Standard gesetzt, aber auch jetzt beim wiederlesen musste ich herzlich lachen.

  3. Die Ansagen *dürfen* individuell verfasst sein, so lange die von der Bahn vorgegebenen Mindestinformationen (nächster Halt, Ausstiegsseite, Anschlüsse) enthalten sind. Dafür wird keiner gefeuert oder abgemahnt. Wen er vor lauter Ich-kann-die-Ansage-auf-Plattdeutsch-Schwäbisch-Bayrisch-Fränkisch-gleichzeitig natürlich die Ausstiegsseite vergisst, hat er ein Problem. Und ja, die Ausstiegsseite anzusagen ist wichtig, auch bei Zügen, die eine seitenselektive Türfreigabe haben. Es gibt Helden, die die Notentriegelung ziehen, und dann ins Gegengleis plumpsen, statt mal vorher auf die andere Seite zu schauen, ob dort der Bahnsteig sein könnte. Und die bekommen vor Gericht auch noch recht, dass nicht sie zu dumm sind, um ihnen eine weitere Existenz auf diesem Planeten erlauben zu können, sondern dass die Bahn ja nicht alles menschenmögliche getan hat, um ihnen den Ausstieg auf der richtigen Seite zu ermöglichen. Willkommen im Vorsicht-dieser-Becher-enthält-ein-Heißgetränk-Land.

  4. Ich mag den Kaffee der DB auch sehr gern, wobei die Preise echt WUCHER sind :O
    Aber mit wasser verdünnter Espresso bahhh nein, sowas kommt mir nicht unter.
    Einmal und nie wieder, den habe ich dem barista persönlich um die Ohren gehauen!

    Grüße Hellma

  5. Wow! Astrein beobachtet, genial beschrieben – klasse!

    Davon abgesehen sprichst Du mir mit wohlfeilen Worten aus der nicht nur DB-, sondern ganz global betrachtet von Dummheit und Ignoranz geplagten Seele, in welcher Form sie mir auch immer, leider viel zu häufig, in unserer “Servicewüste” begegnen… Ähnliche Dialoge und Beobachtungen sind mir gut bekannt; wenn diese so amüsant verpackt sind kann man spätestens drüber lachen. Wenn auch ich gleichzeitig Deine Disziplin bewundere, mit der Du Begriffen wie “Wagenreihung” und “Klimaanlage” lediglich einen Platz in einem Nebensatz einräumst, anstatt ihnen (mich juckt es in den Fingern…) ganze Kolumnen zu widmen…:-)

    Und – nicht zu vergessen – auch die Fotos gefallen mir ausgesprochen gut; tolles Gesamtkunstwerk! Großes Lob – gefällt mir! :-)

  6. ich könnte die geschichte erzählen von der notdurft, die ich auf der toilette im sassnitzer hafen nicht verrichen durfte, weil ich neben meiner fototasche auch den kickroller auf der schulter mit hineinnehmen wollte. der scheintote pachtrentner sagte einfach: “das kommt hier nicht mit rein.” es drückte aber und ich war ungeduldig und fragte, ob er angst habe, dass ich auf seinen fünf quadratmetern damit fahre. “sie kommen hier nicht rein”, personifizierte er die angelegenheit und ich nannte ihn ein “altes arschl…”
    entschuldigend möchte ich druck und pein anführen. .
    er, empört, suchte zeugen in der schlange hinter mir. “sie sind doch selber schuld, jetzt lassen sie ihn endlich rein..” kam von dort. ich zog vondannen ob so viel des altersstarrsinns und konnte in einem benachbarten café für 50 cent und kurz vor der not doch noch.

    die sassnitzer außenmole ist weit über einen kilometer lang und das hauptfotomotiv steht als leuchtfeuer natürlich am ende. daher der kickroller. der geklappt wirklich sehr klein ist….:-)

  7. Es gibt auch die Variante bei Mäcces: da nehme ich immer einen großen Kaffee und eine Biomilch. Da diese nicht in den großen Kaffee passt, verlange ich meist einen kleinen Becher dazu. Das ist in den Filialen, wo der Kunde selbst zapfen muss, ein Problem, schließlich könnte ich illegalerweise in den kleinen Becher ein Softgetränk einfüllen. Da bekomme ich den Extra-Becher immer nur “ausnahmsweise”.

  8. Ich bestelle auch immer wo es ihn gibt einen Filterkaffee mit kalter Kuh (-milch). Ja, auch ich bekomme oft missverstandene und fragende Blicke. Deswegen muss ich meine Bestellung oft wiederholen: “Bitte einen Kaffee aus dem Mengenbrüher auffgefüllt mit kalter Kuhmilch.” Und wie oft höre ich dann: “Dann muss ich Ihnen aber einen Cafe au lait berechnen!” Worauf ich dann antworte: “Tun Sie das bitte, schließlich habe ich ja auch einen Kaffee mit Milch bekommen.”

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