Weblog & Podcast von Volker Strübing

Liquid Conspiracy

Datum: 29.08.14
Kategorien: Sonst so

In der Sueddeutschen von heute steht in einem Artikel über E-Zigaretten folgender Absatz:

(…) Das Brisante: Diese Jugendlichen hatten nie geraucht, über die E-Zigarette kamen sie also erstmals in Kontakt mit Nikotin. Rund 44 Prozent der jungen Dampfer gaben an, bald auch konventionelle Zigaretten ausprobieren zu wollen. Jugendliche, die keine Erfahrungen mit E-Zigaretten hatten, wollten das nur halb so häufig tun.

Süddeutsche Zeitung, 29,8.2014

Dass ein solcher Quatsch unwidersprochen weitergegeben wird ist schon traurig. Das hier ein mindestens unbewiesener, wahrscheinlich nicht existenter Kausalzusammenhang herbeifabuliert wird, sollte einem Journalisten schon auffallen. Wahrscheinlich haben Jugendliche, die eine E-Zigarette ausprobieren im Vergleich zu denen die das nicht tun (vorrausgesetzt, sie haben alle die selben Möglichkeiten dies zu tun) einfach generell mehr Lust auf Experimente sind leichtsinniger, risikiofreudiger etc. Wahrscheinlich ließe sich auch zeigen, dass Jugendliche, die Fahrradhelme tragen, auf die (ohnehin schwachsinnige) Frage, ob sie denn vorhätten, in Zukunft zu rauchen, öfter mit Nein antworten, als Jugendliche ohne Fahrradhelm – zack, damit wäre bewiesen, dass Fahrradhelme vor Nikotinsucht schützen – Fahrradhelmpflicht für Jugendliche jetzt! Und zwar rund um die Uhr!

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Die E-Zigarette ist überraschend oft das Opfer falscher Berichterstattung geworden. Leider muss man sagen, dass diesbei vielen Lesern Wirkung zeigte. Wie oft hat mir jemand von im Mund explodierenden E-Zigaretten berichtet (das passierte wirklich mal, lag aber an den Bastelarbeiten des Besitzers) und dass man krebserregende Nitrosamine in der Flüssigkeit gefunden hätte. Das stimmt. Gefunden hat sie die FDA, die Food an Drugs Administration in den USA. In zwei chinisesischen Liquids. In einer Dosis (wie die FDA erst unter Druck zugab), die der Menge in einer Tomate entsprach. Nitrosamine finden sich auch in Babynahrung.

Studien, die die Un- oder Minderschädlichkeit der E-Zigaretten belegten, wurden hingegen ignoriert – oder wie im Fall der FDA-Studie absichtlich falsch interpretiert. (Hier gibt es einen schönen Überblick über diverse Studien zum Thema.)

Da könnte man wirklich an eine Verschwörung von Tabakbösewichtern und Nichtraucherfundamentalisten glauben. Ich selbst gehe  eher von Lobbyarbeit und journalistischer Inkompetenz, Faulheit und Sensationslüsternheit reden. Die E-Zigarette hat sehr mächtige Gegner: Die Zigarettenindustrie hat Angst vor der Konkurrenz (und für sie selbst ist der Markt vielleicht nicht interessant, weil sich viel weniger als mit richtigen Zigaretten verdienen lässt) und die Anti-Raucher-Lobby ist gegen alles, was die strikten Nichtraucherregelungen aufweichen könnte. Dazu kommen die Apotheken, die die E-Zigarette als Medikament eingestuft sehen wollen, um ein Verkaufsmonopol zu erhalten, und natürlich Finanzminister, die die Verluste bei der Tabaksteuer irgendwie ausgleichen wollen.

Dass in fast allen Medien diese Propaganda unwidersprochen nachgeplappert wird, ist ein Armutszeugnis. Ich habe bisher kaum ausgewogene Artikel in großen Zeitschrift gelesen oder gar entsprechende Berichte im öffenltich-rechtlichen Fernsehen gesehen.

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(Selten Thema in der Presse: Der grandiose Fotoquatsch, den man mit E-Zigaretten machen kann!)

Wie gesagt: Ich denke, das ist eine Mischung aus Inkompetenz, Faulheit und dem Willen zur schlechten Nachricht. Vielleicht spielt manchmal auch Ideologie eine Rolle, vielleicht hat der Chefredaktuer die Parole ausgegeben, die Scheuklappen aufzusetzen und nur negativ über E-Zigaretten zu berichten. Ich weiß es nicht. Zahlungen der oben erwähnten Gegner der E-Zigarette an Journalisten halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Warum mich das so aufregt? Weil das Thema „Glaubwürdigkeit der Medien“ mich derzeit in verschiedenen Zusammenhängen sehr beschäftigt und ich deshalb sehr auf derartiges achte (eigentlich sollte dieser Artikel noch zwei Beispiele aus den Bereichen Wirtschaft und Politik (Ukraine) behandeln, aber er wird sowieso viel zu lang). Und weil ich mich viel mit E-Zigaretten beschäftigt habe.

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Es ist mir nicht gelungen, normale Zigarette durch das Dampfen zu ersetzen oder auch nur maßgeblich einzuschränken. Ich kenne aber einige Menschen, die es geschafft haben. Und mir hat es sehr geholfen, nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört habe: In den ersten Wochen nach dem Rauchstop war es sehr schön, nikotinfreies Liquid zu dampfen, wenn ich in Raucher-Backstage-Räumen etc. mit Rauchern zusammensaß. Das wurde nach ein, zwei Monaten immer weniger, jetzt habe ich sie meistens gar nicht mehr dabei. Ab und zu ist es trotzdem ganz prima, ein bisschen mitzupaffen – ohne Angst haben zu müssen, wieder in die Nikotinfalle zu treten

Ein paar Zitate zum Thema aus dem Wikipedia-Artikel (ja, ich bin auch ein bisschen recherchefaul):

Einstiegsdroge:

Studien zeigen auf, dass E-Zigaretten von Nichtrauchern eher selten benutzt werden und dass es bisher keinen dokumentierten Fall gegeben hat, bei dem ein Nichtraucher durch die E-Zigarette zum Tabakkonsumenten geworden ist. Das Aufkommen der E-Zigarette ging bisher mit einer zahlenmäßigen Abnahme der Rauchanfänger bei Kindern einher

( P. Hajek, J-F. Etter, N. Benowitz et al.: Electronic cigarettes: review of use, content, safety, effects on smokers and potential for harm and benefit. In: Addiction, 2014, doi:10.1111/add.12659)

Zitiert nach Wikipedia

Passivrauchen:

5 E-Zigarettenkonsumenten, welche 5 Stunden lang in einem kleinen Raum ohne Raumlufterneuerung E-Zigaretten konsumieren, produzieren keine nachweisbaren Nikotinkonzentrationen in der Luft.“

„auf Basis der ARPA-Daten über die Luftverschmutzung in Städten sagen kann, dass es ungesünder sein kann, in einer großen Stadt zu atmen, als sich im selben Raum mit einem konsumierenden E-Zigarettennutzer zu befinden.“

Stefano Zauli Sajani et al.: Urban Air Pollution Monitoring and Correlation Properties between Fixed-Site Stations. In: J Air & Waste Manage Assoc, 2004; 54:1-6 (PDF; 484 kB)

G.Romagna et al.: Characterization of chemicals released to the environment by electronic cigarettes use. (PDF; 3,2 MB) September 2012, ohne verfügbare Quellenangabe

Zitiert nach Wikipedia

PS: Hier gibt es doch einen relativ ausgewogenen Beitrag auf sueddeutsche.de, in dem unter anderem steht, dass die Tabakindustrie gerade E-Zigarettenhersteller aufkauft, was meiner These zu widersprechen scheint, dass sie Gegener der E-Zigarette seien. Vielleicht ist es aber auch pure Angst oder der Versuch, sie auf diesem Weg unter Kontrolle zu bringen.

 

2 thoughts on “Liquid Conspiracy

  1. Die Themen Medienglaubwürdigkeit und -einfluss beschäftigen mich nun auch schon seit einiger Zeit, insofern fand ich es sehr interessant, in deinem Text mal anderes über die E-Zigarette zu lesen. Die Wirtschafts- und Politikbeispiele hätten mich jetzt aber auch noch interessiert, insofern: Weiter so! (und das von einer Nichtraucherfundamentalistin…^^)
    Schöner Fotoquatsch übrigens :)

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