Vor einer Weile fragte ich bei Facebook nach Empfehlungen für Sachbücher. Vielen Dank an alle, die in den Kommentaren Bücher empfohlen haben – für die nächsten Monate bin ich versorgt!
Wenn ich dazu komme, werde ich hier kurz über die Bücher berichten, die ich bereits gelesen habe. Den Anfang mache ich mit dem dort mehrfach empfohlenen „Selbst denken – Eine Anleitung zum Widerstand“ von Harald Welzer. (Taschenbuch / Ebook beim Landbuchhändler des Vertrauens, dem Amazon der Herzen bestellen)
(Texte: FAZ vom 9.10.14, Bilder: FAS vom 1.10.2014)
Kurz zusammengefasst: Ein sehr empfehlenswertes Buch mit vielen nachdenkenswerten Positionen (auch wenn man sie nicht alle teilen mag), pointiert geschrieben und prima zu lesen.
„Harald Welzer, der vielleicht bekannteste zúnd konsequenteste Vordenker des Landes, lotet schonungslos die Abgründe der vom Konsumvirus und politischer Lähmung befallenen Gesellschaft aus“. So verspricht es der Klappentext und ausgelotet wird auch recht ordentlich. Ob der Autor wirklich ein konsequenter Vordenker ist, weiß ich nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass es sich um einen waschechten Konservativen handelt, aber einen von der netten Sorte. Konservativ, weil er den Grundrechten, der Würde des Menschen und dem Solidaritätsgedanken verpflichtet ist, weil er Utopien nachtrauert und einer Zeit, in der eine Fernreise noch etwas besonderes war und Geräte und Möbel noch für die Ewigeit gebaut wurden. Man könnte sagen, dass er ein Zurück-Vordenker ist, eine Art politischer Steampunk. Oder so. Ich glaube das Bild ist in bisschen schief, aber ich hab meinen Loriot geguckt und werde nicht versuchen, es geradezurücken.
Konservativ bedeutet nicht, dass er gegen das Frauenwahlrecht oder den Sozialstaat wäre oder so. Es gibt da eine große Begriffsverwirrung, weil viele, die sich als konservativ bezeichnen, in Wirklichkeit reaktionär oder neoliberal oder einfach dumm oder alles sind. Gelichzeitig sind auch viele, die sich als Sozialdemokraten bezeichenen Neoliberale, während es viele konservative Grüne und Linke gibt; es ist zum Mäusemelken.
Lest das Buch! Es ist gut! Und hinterher können wir drüber diskutieren!
Das muss an Lob reichen, jetzt kommen zwei Punkte, die ich kritisch fand: Da ist zum Einen die Wachstumskritik. Das superlogisch klingende Argument, dass mit endlichen Ressourcen kein unendliches Wachstum möglich sei. Eine Anklage gegen die Konsum- und Wegwerfgesellschaft, und sicher ist auch irgendwo der Verweis auf den Club of Rome drin, da bin ich aber gerade nicht sicher.
Alles schön und gut, aber dabei wird eine Sache vergessen: Wachstum muss nicht auf Basis materieller Güter stattfinden. Geld lässt sich ohnehin ganz einfach vermehren, ohne dass man es drucken müsste; es ist eine rein virtuelle Sache, und trotzdem ist das Hin und Her dieser Nullen und Einsen die eine Hälfte unserer Wirtschaft (na gut, inzwischen ist es 9/10 unserer Wirtschaft). Nichts spricht dagegen, dass auch die Waren die gehandelt werden, in einem immer größeren Maße virtuell werden. Wir sind auf dem besten Weg. E-Books machen es zum Beispiel möglich, dass der Buchmarkt wächst und wächst und wächst, ohne dass auch nur ein Baum mehr gefällt werden müsste. Die Computerspielindustrie macht Milliardenumsätze – die selbstverständlich in das Wirtschaftswachstum einfließen. In China gibt es schon jetzt Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie Items in World of Warcraft sammeln und für „echtes“ Geld verkaufen. Vor ein paar Jahren sind Leute als Immobilienmakler in Second Life reich geworden. Diese Entwicklung steht noch ganz am Anfang, aber es ist ziemlich kurzsichtig, sie einfach zu ignorieren, wenn man über Wachstumschancen und -risiken in der Zukunft schreibt.Wenn erst alle mit Hardware ausgerüstet sind (und man davon ablässt, jedes Jahr eine neue Gerätegeneration auf den Markt zu werfen), braucht man bloß noch eine gleichbleibende Menge Strom und kann unendliches Wachstum in den unendlichen Weiten des Internets generieren, während die reale Wirtschaft sich um Essen und so Zeugs kümmert und vom Wachstumsdruck befreit wird.
Welzer schreibt natürlich auch über andere Kosten des Wachstumszwanges: darüber, was er aus Menschen und Gesellschaften macht, und da bin ich wieder ganz bei ihm. Aber was den witschaftlichen Aspekt angeht, finde ich ihn etwas kurzsichtig.
Der andere schwierige Punkt ist der Teil des Buches, in dem es darum geht, die Zukunft zu retten. Um den Widerstand, der im Titel schon angesprochen wird. Dieser Teil ist kurz und enttäuschend. Ein paar Beispiele von Unternehmern, die sich dem Trend ur Profitmaximierung widersetzt haben, von engagierten Bürgern und Tauschinitiativen. Alles schön und gut und unterstützenswert und man kann nur hoffen, dass die Beispiele Schule machen und sich ausbreiten. Aber kann man damit die Politik ändern? Den globalen Kapitalismus und die Finanzmärkte in die Schranken weisen?
Ich glaube nicht. Welzer glaubt es. Er schreibt, es brauche nur eine Avantgarde – wohlgemerkt keine Subkultur, sondern eine aus allen Bereichen der Gesellschaft kommende Avantgarde – um die Welt zu ändern: „Es müssen 3 bis 5 Prozent der Unternehmer und Vorstände sein […], 3 bis 5 Prozent der Unterhändler auf den internationalen Klimaverhandlungen sein, 3 bis 5 Prozent der Staatschefs, 3 bis 5 Prozent der Professorenschaft, der Lehrer, der Polizistinnen, der Anwälte, der Journalisten, der Schauspielerinnen, der Hausmeister, der Arbeitslosen usw.“
Einerseits wäre es schön, wenn er recht hätte, andererseits beängstigend: Denn dann bräuchte es beispielsweise auch bloß 3 bis 5 Prozent Nazis unter den oben genannten Gruppen, um das jetzige System zu kippen. Und die sind schnell zusammen.
(Making of, heute morgen im A&O-Hostel Weimar)