Beim ersten mal waren wir fünfzig, damals vor vier Jahren. Natürlich durften wir auf der Schönhauser Allee demonstrieren, ein hohes Gut der Demokratie immerhin, aber nur auf dem Bürgersteig. Die nagelneuen Motorräder der Polizei rollten traurig nach Hause, vier Beamte begleiteten den Demonstrationszug, der an jeder roten Ampel hielt und skandierte: „Wir haben Zeit!“ Ein Jahr später, am 2. Mai 2006, waren wir so viele, dass die Fahrbahn für uns gesperrt wurde, und letztes Jahr waren wir hundertfünfzig. Mal sehen, wie er dieses Jahr wird, der internationale Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen. Als solchen melden wir sie jedes Jahr an, die Kundgebung am 2. Mai. Wir, das ist die Liga für Kampf und Freizeit. Menschen aus dem Umfeld der Surfpoeten und der Reformbühne Heim und Welt, um nur einige zu nennen. Wenn der 1. Mai der Kampf- und Feiertag der Werktätigen ist, dann ist der 2. der, der Arbeitslosen. Man muss nur einen Schritt weiter denken. Der 2. Mai gehört dem Kampf gegen den Zwang zur Lohnarbeit. Arbeit ist nützlich und unumgänglich – aber nicht für alle vorhanden. Man kann das schlimm finden, oder es begrüßen, aber man sollte nicht die Augen davor verschließen, das Arbeitslose ein Problem haben und dass sie als Problem angesehen werden. Und bisher hat noch jede Maßnahme, die die Arbeitslosigkeit bekämpfen sollte, lediglich die Arbeitslosen schikaniert. Wir sind gegen die Spaltung der Arbeitslosen in Arbeitswillige und Arbeitsscheue. Schließlich haben beide die selben Probleme: wenig Geld auf dem Konto, viel Gängelei auf den Ämtern, mieses Image in der Öffentlichkeit. Sollte man nicht einfach akzeptieren, dass es Arbeitslose gibt, und diese großzügig mit Geld ausstatten, egal, ob sie eigentlich arbeiten wollen, oder nicht? Ist es nicht sogar gut, wenn die Automatisierung immer mehr menschliche Arbeit überflüssig macht? Haben sich unsere Mütter geärgert, damals als die Waschmaschinen aufkamen, und mehr Hausarbeit für sich gefordert? Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, die Geschäfte sind voll, Wohnungen stehen leer. Es gibt keinen Mangel, wohl aber Armut. Alles, was sich eine Arbeitslose kaufen möchte, gibt es in Hülle und Fülle, allein ihr fehlt es an Geld. Gegen dieses Paradox engagiert sich, bis auf uns am 2. Mai, niemand. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: wenn die Senkung der Arbeitslosigkeit gewollt wird, warum nicht? Mag man es versuchen, möge es gelingen oder nicht. Aber die real existierenden Arbeitslosen, die schließlich am wenigsten für ihre Situation können, dürfen nicht unter Armut und Schikane leiden, wenn gleichzeitig Wirtschaft und Politik dabei versagen, ihnen Arbeit anzubieten. Wir sind auch gegen die Spaltung der Menschen in Berufstätige und Arbeitslose. Sind nicht die Arbeiter von heute die Arbeitslosen von morgen – und umgekehrt? Ist es nicht das dümmste, was sie tun können, sie gegenseitig das Einkommen zu missgönnen? Ist es nicht überhaupt abstoßend, irgend jemandem sein Ein- und Auskommen zu missgönnen? Leben ist kein Lohn! Das alles sind Themen, um die es auch am 1. Mai gehen könnte. Aber es geht jeden 1. Mai bloß um die DGB-Demo und um Krawalle in Kreuzberg, in der Berichterstattung jedenfalls. Darum sind wir auf den 2. Mai gekommen, einen Tag, den wir mit niemandem teilen müssen. Eines Tages, wenn es viel mehr Arbeitslose geben wird als Arbeiter, wird der 2. Mai den 1. Mai aus dem Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit verdrängt haben. Apropos internationale Öffentlichkeit: obwohl es seit 4 Jahren immer wieder angekündigt wird, hat es noch keine Demonstration anlässlich des Tages der Arbeitslosen außerhalb Berlins gegeben. Aber vielleicht klappt es ja dieses mal. Ich bin sowieso gespannt, wie es wird. Beim ersten mal hatten wir nur ein paar winzige Pappschilder. Ein Wahnsinniger hatte ein riesiges Transparent angeschleppt, „Gitarren statt Knarren“, stand darauf. Beim zweiten mal gab es schon ein großes Spruchband, das die Demo an der Spitze vor sich her trug – samt Rechtschreibfehler. Letztes Jahr tauchten Sympathisanten auf, die über ihren Köpfen große Comic-Sprechblasen aus Quietschpappe trugen: „Gegen den Zwang zur Lohnarbeit“, „Mein Freund ist Roboter“, „Kein Schweiß für Geld!“ Mal sehen, wie es dieses Jahr wird. Kommt alle! Gegen den Zwang zur Lohnarbeit! Wir treffen uns morgen, wie jedes Jahr, um 13 Uhr am Senefelder Platz.
(Andreas Krenzke)
P.S. Hier ein altes Propagandavideo aus dem Sympathisantenkreis:
[googlevideo=http://video.google.de/videoplay?docid=-2218865251173458897]
hallo , ich wolte fragen ob nächstes jahr (2009) geht weiter mit dem Tag der Arbeitslos demo? wir würden gerne mit tollen kostümen und guter laune mitmachen!
super video!
schöne Grüße
Coost
ex “Fleischerei” Siebdruckwerkstatt (jetzt “Centrifuga” am Mariannenplatz 21 )