Weblog & Podcast von Volker Strübing

Operation Meniskus – Episode 3: Die ganze Wahrheit über Poetry Slam

Datum: 29.01.14
Kategorien: Sonst so

Was bisher geschah:

Ich reiße mir den Meniskus
Der Arzt verschreibt Reizstrom und Teetrinken

Einer der schlimmsten Auftritte meiner – wenn man es denn so nennen will – Karriere war eine Mixed Show in einem kleinen Theater irgendwo irgendwann mit irgendwem, Kabarettisten und Stand-Up-Comedians auf jeden Fall. Ich machte alles falsch, was man falsch machen konnte: Ich verzichtete auf FDP-Witze, erwähnte weder einparkende Frauen noch die aktuelle Staffel des Dschungelcamps, legte die Finger nicht wie Angela Merkel aneinander, mokierte mich nicht über Menschen, die im Zug Tablets benutzten, stellte keine beifallheischenden rhetorischen Fragen und las zu allem Überfluss meine Geschichten auch noch von einem Blatt ab.

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Einigermaßen zerstört schlich ich nach meinem 7-Minuten-Auftritt in den Backstageraum zurück, wo mir ein Kollege scheinheilig auf die Schulter klopte.  

“Super Story”, sagte er.

“Findest du?”

“Naja, ich hab  jetzt nicht direkt zugehört, aber … Mannmannmann, Hut ab, Kollege!”

“Dem Publikum hat sie nicht gefallen.”

“Doch! Die ham gefeiert!”

“Ich hab sie nicht einmal lachen hören.”

“Die haben eher still gefeiert. Andächtig gelauscht haben die. Die Leute hier gehen nicht so aus sich raus wie in Berlin.”

“Immerhin konnten sie die ganze Zeit Buh! rufen.”

“Die haben Juhu! gerufen.”

“Und was ist das?”, fragte ich und zeigte auf die Tomatenreste in meinen Haaren, an meiner Brille und meinem Oberkörper.

“Frisches Obst!”, rief der Kollege. “Du Glückspilz! Mich bewerfen sie immer nur mit getragenen Damenschlüpfern!”

“Das war nicht frisch”, sagte ich und bot ihm an zu riechen.

“Mannmannmann, ihr Ossis könnt aber auch nur meckern, was?!” Damit ließ er mich stehen und ging zu den anderen. Keine Minute später hörte ich ihn leise sagen: “Den Mist, den der macht, würde ich auch nur vorlesen. Lohnt sich doch nicht, den Scheiß auswendig zu lernen!”

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Wie lobe ich mir da die Poetry Slam Szene! Falsche Freundlichkeit sucht man hier vergebens. Jede andere Form von Freundlichkeit auch. Poetry Slams sind knallharter Konkurrenzkampf, Word Wars, Sozialdarwinismus, Survival of the hippest, die Ausweitung der neoliberalen Kampfzone auf das Gebiet der Literatur, knallharte Fight Clubs für bebrillte Jungs und pferdebezopfte Mädchen.

Doch die eigentlichen Dichterschlachten finden backstage statt: Hier bricht sich die gegenseitige Verachtung Bahn; man haut sich kleinste Text- und Performancefehler um die Ohren und hält den Verlierern wieder und wieder genüsslich ihre miesen Jurywertungen vor. So manches junge Slammerinnen- und Slammerherz wurde schon gebrochen, weil die “lieben Kollegen” einen Text mit angeekeltem Gesichtsausdruck auseinandernahm, als handele es sich um Schweinegedärm, aus dem man die nicht vorhandene schriftstellerische Zukunft der oder des Unglücklichen herauslesen konnte. Der Diss ist die normale Kommunikationsform, es wird gelästert und gehöhnt, was das Zeug hält: “Deine Mudda ist auch ein Anagramm von Glück!”

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Da in der Regel – mit Verlaub und bei aller gebotenenen falschen Bescheidenheit muss dies erwähnt werden – ich derjenige bin, der beim Poetry Slam gewinnt und die anderen verspottet, war es nur natürlich, dass die sich selbstironisch “Slamily” nennende Meute von Egomanen meine Knieverletzung als willkommene Gelegenheit sah, es mir mittels übelster ageistischer und ableistischer Sprüche zurückzuzahlen. “Jaja, wird alles n bisschen brüchig im Alter, was?”, hieß es dann in Hinblick auf mein Geburtsjahr und meinen ehrenvoll beim Bierholen während eines Poetry Slams erlittenen Meniskusriss, mir wurde nahegelegt, mich schonmal beim Alzheimer-Poesie-Projekt des Kollegen Lars Ruppel zu bewerben, nicht als Workshopleiter, sondern als Teilnehmer. Man fragte immer wieder scheinheilig, ob ich nach dem Slam noch mit tanzen käme, nur um sich sodann die Hand vor den Kopf zu hauen und unter dem johlenden Gelächter der anderen Slammer zu brüllen: “Ach nee, Opi hat ja Knie!” Man verschwieg mir das Backstageklo und erklärte mir einen fünfhundert Meter langen und mit vielen Treppen gespickten Weg zu irgendwelchen Toiletten im Keller. In immer mehr Texten der Szene tauchten böse Anspielungen auf defekte Knie auf. Auf mysteriöse Weise verschwanden Trittleitern zur Bühne und stets wurde ich in Jugendherbergen ohne Fahrstuhl im Dachgeschoss im Doppelbett oben untergebracht.

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Kinderkram! Ich ertrug es klaglos und fegte die armen Würstchen zum Ausgleich mit noch mehr Elan von den Slambühnen der Republik. Nach vier Monaten wurde ich des Spielchens langsam überdrüssig; auch war ich des Humpelns und der damit einhergehenden Einschränkungen müde und fragte meinen Orthopäden, ob es außer der Methode “Wird schon wieder” noch andere Therapiemöglichkeiten gäbe.

“Tja”, sagte er. “Operation.”

“Okay”, sagte ich. Operation, das klang nicht schlecht, viel besser als Amputation, Vivisektion, Gnadenschuss.

“Es ist ja eigentlich auch gar keine richtige Operation”, beruhigte mich der Arzt weiter, “Es ist eine Arthroskopie. Kniespiegelung.”

“Spiegelung? Wie in Magen-Spiegelung?”

“Genau. Sie schlucken einen langen Schlauch, den wir über die Arterie ins Knie einführen und …”

Er musste meine großen Augen gesehen haben, denn er winkte ab. “Jetzt hab ich sie ganz schön reingelegt, was?!”, kicherte er und fügte, als ich mich entspannte, mit ernster Mine an: “Nein, nein, das wäre ein viel zu weiter Weg für den Schlauch. Wir gehen vor wie bei einer Darmspiegelung, nehmen dann aber einen anderen Abzweig – haha, schon wieder reingefallen, hä?! So’n Quatsch! Nein, nein, nein, da bohren wir kleine Löcher ins Knie und durch die wird alles erledigt. Minimalinvasiv, saubere Sache.”

“Und das passiert ambulant? Oder muss ich ins Krankenhaus?”

“Ambulant.”

“Unter Narkose.”

“Wenn Sie das wünschen und bezahlen können … bei Kassenpatienten wird das normalerweise …”

“Was?!”

“Ein Sche-herz, herrje! Humor, schon mal was davon gehört?”

(Fortsetzung folgt)