Sehr gern mag ich die Serie “Erklär mir die Welt” aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die heute in die 50. Runde geht. Herzlichen Glückwunsch! Im Wirtschaftsbereich ist es meine liebste Satirereihe. Unvergessen die 7. Folge mit dem Titel “Warum ist Reichtum keine Sünde?”, in der das herzzerreißend traurige Schicksal der Reichen in Deutschland beweint und die Behauptung aufgestellt wurde, reiche Menschen seien bescheidener als arme, da sie ja einen viel kleineren Prozentsatz ihres Einkommens für Konsum ausgäben.
Da ich kein Spielverderber sein will, tue ich gelegentlich so, als sei das alles ernst gemeint und schreibe eine Kritik dazu.
Bevor ich mir für die nachher anstehende Bahnfahrt nach Jena die heutige Ausgabe kaufe und mit vorfreudigem Schmunzeln den Geld&Mehr-Teil aufschlage (laut Ankündigung lautet das Thema heute “Warum ist Ungleichheit prima?”), will ich noch was zur letzten Folge schreiben:
“Warum gibt es arme Länder?” (zum Artikel auf Faz.net)
Reich sind Länder, deren Bürger fleißig Geschäfte machen. Sie verkaufen mit Gewinn etwas, das jemand anderes haben möchte. Wenn alle Gewinn machen, dann wird das Land reicher.
Ich war mal in dem reichen Land Indonesien. Indonesien ist deshalb so reich, weil die Bürger dort fleißig Geschäfte machen. Fleißiger als wir, weshalb das Land auch viel reicher ist als Deutschland. Wer von uns würde schon den ganzen Tag in vermüllten, stinkenden Kanälen nach Plasteflaschen fischen, die er mit Gewinn an eine Recyclingfabrik verkaufen kann?
In armen Ländern haben es die Bürger schwer, Gewinn mit ihren Geschäften zu erzielen. Deshalb verlieren sie die Lust daran.
Das ist nur zu verständlich. Aber warum haben es die Menschen in den armen Ländern so schwer, Gewinn mit ihren Geschäften zu erzielen? Dumme Frage, ich weiß, genauso gut könnte man fragen, was 1+1 ist: Wegen des Verwaltungsaufwandes beim Erwerb des Rechtes an einer Immobilie, denn:
Der Ökonom Hernan de Soto hat herausgefunden, dass genau daran die armen Länder kranken.
Weil zentralafrikanischer Bauer wegen der Bürokratie nicht das Eigentumsrecht an seinem Acker besitzt, borgt ihm die Bank kein Geld. Deshalb kann er sich keinen Mähdrescher kaufen, der Mähdrescherhersteller bleibt auf seinem Mähdrescher sitzen, die Bank auf ihrem Geld und alle verlieren die Lust an dem ganzen Scheiß:
Landwirtschaft, Landmaschinenherstellung und Bankwesen: Drei Branchen sind entmutigt, weil ein Bauer sein Kapital, den Boden, nicht mobilisieren kann.
Sollte unser tapferer kleiner Bauersmann dennoch Geld zusammenkratzen nutzt ihm das herzlich wenig, denn er hat keine formale Adresse, weshalb die Stromgesellschaft ihm keinen Strom liefert (?!), zumal er vergessen hat, die Beamten der Stromgesellschaft zu bestechen. Angenommen, er meistert auch diese Schwierigkeiten und erntet irgendwann tatsächlich mal irgendwas, dann fangen die Probleme erst richtig an: Denn der Bauer lebt ja in einem armen zentralafrikanischen Land und es lohnt sich absolut nicht, das mühselig gepflanzte Grünzeug an die armen Mitbürger zu verscherbeln. Er muss es exportieren, denn im Ausland, im reichen Ausland, kann er höhere Preise erzielen … leider sind die Straßen so schlecht, dass der Transport zu teuer ist. Doch irgendwie löst unser Bäuerchen auch diese Probleme, er verdient Geld und freut sich, doch dann:
Als unser Farmer schließlich nach häufigem Mahnen Geld bekommt, besuchen ihn seine Verwandten und bitten um milde Gaben für Arztrechnungen und Schulgeld. Am Ende eines anstrengenden Jahres mit einer guten Ernte steht der Bauer mit fast leeren Händen da.
Schließlich kommt der Autor zu einem Fazit:
Den armen Ländern fehlen Institutionen. Es mangelt an den Gerichtsvollziehern, die zügig ausstehendes Geld aufgrund klarer vertraglicher Verhältnisse eintreiben, es fehlen Katasterämter, die Eigentumsverhältnisse in Grundbücher eintragen, die Bücher aufbewahren und sie nicht manipulieren. Es fehlt oft ein Eigentumsrecht, das auch durchgesetzt wird. Und es fehlen unbestechliche Beamte. Wie wertvoll eine funktionierende Verwaltung für den Wohlstand ist, merkt man, wenn sie fehlt.
Nun mag das ja unbestreitbar richtig sein. Aber: Ist das wirklich die Antwort auf die Frage: “Warum gibt es arme Länder?”
Ja. Dies ist der Grund, der einzige Grund dafür, dass es arme Länder gibt.
Immerhin ist der Autor so gnädig, den armen Ländern nicht die alleinige Schuld an dieser Misere zuzuweisen. Auch den Kolonialherren sind hier Versäumnisse vorzuwerfen:
Die Franzosen, Engländer und Belgier hatten versäumt, funktionierende Institutionen zu bilden.
Dass die Deutschen hierbei ausgeklammert werden, heißt wahrscheinlich, dass wir das besser gemacht und für den Aufbau funktionierender Institutionen in unseren Kolonien gesorgt haben.
Ohne diese hätte der Völkermord in Ruanda, das bis 1916 deutsche Kolonie war, evtl. nicht so effektiv durchgeführt werden können, weil niemand einen Kedit für den Machetenkauf erhalten hätte.
Entschuldigung, das ist jetzt doch etwas zu zynisch. Zumal die Macheten für den Völkermord tatsächlich auf Pump gekauft wurden – bezahlt mit französischen und Weltbank-Krediten.
So müssen sich heute die bettelarmen Bauern in Ruanda und die wenigen Überlebenden des Völkermordes abrackern, um Monat für Monat den ausländischen Mächten, die das Massaker finanziert haben, die Summen zurückzuzahlen.
11 Jahre nach dem Völkermord gab es 2005 schließlich einen ersten Schuldenerlass …
Zurück zur Sonntagsfaz:
Am Ende hat Autor Winand von Petersdorf auch noch ein Statement zur Entwicklungshilfe. Sie …
lindert die Not
Huch, das habe ich jetzt aus Versehen sinnentstellend zitiert. Der ganze Satz lautet: Sie …
lindert die Not, die Verhältnisse so einzurichten, dass der arme Bauer gut wirtschaften und sogar Steuern bezahlen kann.
Also: Schluss mit dem Scheiß, das ist wie mit Sozialhilfe, das macht die Menschen nur zu faulen Schmarotzern. Wir können höchstens mal ein paar Beamte in die Wüste schicken. Am besten diese komischen Kiezpatroullien vom Ordnungsamt, damit wäre allen gedient …
(Volker Strübing)
die Kritik an dem Erklärungsversuch der Armut von Staaten mag ja richtig und treffend sein… , aber zumindest IST es ein Erklärungsversuch. Wo bleibt der konstruktive Gegenvorschlag? Schließlich ist es doch wichtiger, Wege aus der Armut zu finden, als sich über deren Herkunft zu streiten.
jaja, die reichen können einem richtig leid tun. die sind ja soo arm dran.
schau mal in ein drittewelt land und versuch mal jemanden, der nur in armut lebt und eine lebenserwartung von 50 jahren (maximal) hat.
ein gegenvorschlag, warum es reiche besser haben als ein armer ist ja wohl unsagbar dämlich, lieber erik…
Au ja! Erklär mir “Erklär mir die Welt”! – das hat was. Können wir das nicht öfter haben? Nur für den Fall, dass vielleicht einer zuviel glaubt, das ist wirklich alles ernst gemeint.
Volxfront gegen die aufklärende Verdummung! ;-)
P.S. Ich hoffe, Jena war fein und erfolgreich. Ich habe dort einstens glückliche Studentenzeiten erlebt…
ups hab doch glatt nen paar worte vergessen zu schreiben :) also zwischen dem “hat” und dem punkt reiche ich hiermit “die zu erklären” nach ^^
ja volker, bis morgen beim LSD. freue mich über neue geschichten :)
ich bekomme hier noch ne macke bei dem rechner, verzeiht diesen unsäglichen spam. das nachreichen war wiederum unvollständig. es muss natürlich heissen “dies zu erklären” .
komme mir vor, wie im wartehöschen oder so. naja wie gesagt sex in der ehe davor kann ich auch nur warnen hat ja der papst schon gesagt ^^
bin also nicht der einzige, der die wegstaben verbuchtelt.
TSE TSE, zynismus pur. ich denke einen wirklichen “gegenvorschlagmäßigen”, hintergründigen Sinn hatte der Volker bei der Aktion nicht. Eher sone Art “Da kann man was drauß machen “Einstellung” … Wirklich geholfne ist den armen Bauern durch unsere Diskusion hier nicht!
Hallo HevoB, bei nochmaligem Lesen finde ich meinen Beitrag nicht mehr zynisch, höchstens nach Bierce’ Definition es Zynikers: “ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung die Dinge sieht, wie sie sind, anstatt wie sie sein sollten. Daher rührt der phrygische Brauch, einem Zyniker die Augen auszustechen,um seine Wahrnehmung zu verbessern” … naja, das klingt jetzt ziemlich selbstgerecht. Ich sehe das Problem der Armut und seine Ursachen leider auch nicht, wie sie sind, sondern nur durch den Zerrspiegel der Wahrnehmung und Interpretation durch andere.
Es stimmt schon, Erik, einen “Gegenvorschlag” habe ich nicht gemacht (zumal im Artikel auch kein Vorschlag gemacht wurde), aber ich glaube, dass man Dinge auch kritisieren darf wenn man sie nicht besser machen kann – hey, wenn ich das Wetter scheiße finde, dann soll mir keiner mit “ja, schon, aber haste besseres?” kommen! Außerdem ist es für die Suche nach Wegen aus einem Problem duchaus sinnvoll, erstmal über die Ursachen nachzudenken.
Hallo Penticrack, kein Problem…
Gute Nacht!
mhhh jetzt ist auch noch der Begriff des Zynikers Definitionssache geworden. Langsam aber sicher bricht die Welt um mich herum nur noch zu Variablen zusammen, welche durch die Sicht des Betrachters immer andere Weltbilder zulassen. In Gedanken eines Mathematikers ausgedrückt gibt es offenbar im Leben keine linearen Gleichungen, schon grauenhaft …
Zum Problem des Bauerns, oder der Bauern ist meines Erachtens noch zu erwähnen das eine einfache naja nicht richtig Faire aber auch keine Unfaire( liegt wohl im Auge des Betrachters wie Fair das ist oder auch nicht ;-). Ich schweife ab.)
Also zu der Problemlösung!, Wenn der europäische und der amerikanische landwirtschaftliche Markt sich einfach zu den “armen Ländern” hin öffnet haben die Armen ihren Absatzmarkt und die Chance auf selbsttragenden Wirtschaftswachstum. Kleiner Hacken die landwirtschaftlichen Betriebe in Europa und Amerika gehen (fast) alle Pleite.
Für uns EU-Bürger würde das aber auch heißen billigere Ware zur gleichen Qualität! (Die Qualität würde sich angleichen)
hey volker kurze frage gibt es eine audio version von deinem und michas text : deutschland?
danke und liebe grüsse
Die schönsten Satiren schreibt immer noch die Realität und die allerschönsten kommen aus Frankfurt! Danke für dieses wertvolle Wissensvermehrung.