Zumindest reden sie wieder miteinander. Ein kleiner Hoffnungsschimmer im Ukraine-Konflikt. Und ich wäre gern dabei gewesen, bei diesen Gesprächen. Oder noch lieber: bei den Gesprächen, die die vier Außenminister vorher mit ihren Beratern und Präsidenten/Ministerpräsidenten/Kanzlerinnen geführt haben. Vielleicht würde ich dann ein bisschen klarer sehen?
Mitten in Europa brennt es und alles was man sieht ist Rauch und was man hört ist Geschrei.
Es ist unfassbar: Da droht in unmittelbarer Nachbarschaft eine direkte Konfrontation eines vom Westen unterstützten Staates mit Russland und selbst wenn niemand daran ein Interesse haben sollte, reicht ein kleines Missverständnis oder der Alleingang eines Idioten und nicht einmal ein Krieg zwischen Nato und Russland ist mehr auszuschließen und das mediale Echo entspricht ungefähr dem eines Vorrundenspiels der Fußball-WM. Ach, nicht einmal! Vor und nach jedem Spiel wurde stundenlang analysiert und diskutiert, jedes Foul, jede Torchance wurde seziert, als 3D-Animation aufbereitet und von verschiedenen Kamerastandpunkten gezeigt. Wo sind diese tiefgehenden Analysen jetzt, wo sind die verschiedenen Standpunkte, wer bemüht sich, beide Seiten des Konfliktes darzustellen, wer versucht jenseits der „Stoppt Putin“- bzw. „Amerika will den Weltkrieg“-Hysterie die Dinge ein bisschen zu ordnen, Fakten von Propaganda und Gerüchten zu trennen? Ich erwarte ja keine objektive Wahrheit, jeder hat eine Meinung und neimand kann ganz untendenziös berichten. Aber in einem Land mit Pressefreiheit sollten sich linke und rechte, prorussische und prowestliche Medien halbwegs ausgleichen.
Stattdessen scheinen die meisten großen Zeitungen, die meisten Fernseh- und Radiosender sich für die Seite des Westens entschieden zu haben, während sich im Internet ein (wohl eher antiwestlicher als) prorussischer Volkszorn entlädt.
(Wo ist hier bitteschön die Analyse?)
Ich halte all das Gerede von den „Systemmedien“, die aufgrund von Zensur oder Korruption die antirussische Hetze von EU und USA verbreiten, um die finsteren Machenschaften derselben in der Urkaine zu verschleiern für ausgemachten Blödsinn. Es gibt eine freie Presse in der BRD, das ist für mich ein Fakt und schon die Tatsache, dass sich abseits des Mainstreams eben auch komplett andere Meinungen finden – als Beispiele seien und Neues Deutschland und telepolis genannt (auf der rechten Seite gibt es sicher auch Beispiele) – ist Beweis dafür.
Allerdings gibt es tatsächlich einen Mainstream. Und das ist gerade im Falle der Ukrainekrise ein großes Problem – im Gegensatz etwa zum Gazakrieg, wo sich die großen Medien in ihren Standpunkten stärker voneinander unterscheiden und auch innerhalb einer einzigen Zeitschrift oft ein größeres Meinungsspektrum zu Wort kommt. Doch was die Ukraine angeht fehlen mir sachliche Kritik und konstruktiver Streit.
Der Spiegel und andere Medien lesen sich, als wären wir bereits im Krieg mit Russland und sie würden es als ihre Pflicht erachten, nur Jubelmeldungen zu bringen („Sanktionen schaden schon jetzt Russlands Wirtschaft“, „Russland schießt sich mit Gegensanktionen selbst ins Knie“). (Edit: Gestern berichtete Spiegel-Online von militärischen Problemen der ukrainischen Streitkräfte.)
Dennoch ist mir sogar der Spiegel lieber als all die seltsamen, sich selbst unabhängig nennenden Nachrichtenseiten oder Nachrichtenkanäle, die in Foren und bei Facebook so gerne verlinkt werden. Denn er lässt bei aller Stimmungsmache dennoch Platz für andere Berichte und Interpretationen. So wird er denn auch von den Leuten, die ihn beschimpfen gern verlinkt: Entweder – wenn er gegen Russland Stellung bezieht – als Beleg dafür, dass die „System- bzw. Lügenpresse“ von den Nato-Kriegstreibern gelenkt wird, oder – etwa wenn er über ukrainische Angriffe auf von Zivilisten bewohnte Stadtviertel berichtet – als Beleg eben dafür, dass die Ukraine von Zivilisten bewohnte Stadtviertel angreift.
Ich verstehe das Misstrauen in die etablierten Medien, ich selbst bin manchmal vielleicht zu blauäugig, aber ich verstehe nicht, wie man stattdessen einfach der erstbesten Quelle aus dem Internet oder Russland glauben kann, nur weil die einen im Misstrauen bestärken. Ehrlich, ich bin fassungslos, wenn Leute, wie schon geschehen, bei Facebook Russia Today verlinken oder zitieren, um „unsere“ Medien der Lüge zu überführen. Selbst unter der Voraussetzungen, dass wir von vorn bis hinten belogen werden, würde man so nur den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
(Kann man dieser Schlagzeile noch trauen?)
Ich wünsche mir mehr Journalismus statt Meinung und Propaganda. Berichte mit Hintergründen, mit halbwegs neutralen Analysen beider Positionen und dazu eine Kontroverse, die nicht einfach schwarz-weiß ist. Einseitigkeit lässt sich nicht durch dadurch aufheben, dass man genauso stur die andere Position einnimmt.
Es gibt Fragen zum Euromaidan, zu Svoboda, zur ukrainischen „Antiterroraktion“, zur MH17-Untersuchung. Und auch wenn es auf viele dieser Fragen vielleicht keine endgültige und objektive Antwort gibt, so würde ich mir doch wünschen, dass sie auch von den etablierten Medien recherchiert und diskutiert und den Politikern immer wieder gestellt werden.
(Es ist im Übrigen nicht so, dass diese Sachen nicht berichtet würden, sie werden bloß einfach schnell wieder vergessen und in der Regel nicht so verfolgt, wie ich es erwarten würde. Der Beschuss ziviler Wohngegenden zum Beispiel wird im Spiegel gemeldet, ebenso, dass die Nato daraufhin die Ukraine ermahnt hat – und das war es dann.)
Verdammt, es ist doch wohl noch nichts so weit, dass man die Reihen fest schließen und „die oder wir“ brüllen müsste?!
PS: Es gibt ein paar Dinge in diesem Zusammenhang, zu denen ich mir trotz aller Schwierigkeiten eine Meinung gebildet habe. Aber darum soll es in einem anderen Artikel gehen. Oder auch nicht.
PPS: Zum Thema „Systempresse“ etc., habe ich hier schon einmal etwas geschrieben.
PPPS: Alle Schnipsel stammen aus der FAS vom 17.8.. Ich weiß nicht, ob ich sie richtig zusammengesetzt habe, aber so erschien es mir sinnvoll.
Volker, auch ich wünsche mir, schon seit Monaten, “mehr Journalismus statt Meinung und Propaganda. Berichte mit Hintergründen, mit halbwegs neutralen Analysen beider Positionen und dazu eine Kontroverse, die nicht einfach schwarz-weiß ist.” Manchmal ist ja sowas auch zu finden. Aber weit eher auf Telepolis (als im Spiegel). Ich fürchte, du bist ein wenig autoritätsfixiert, wenn du diese Quellen als “erstbeste” bezeichnest und russische völlig ausklammerst. Für mich betreiben die russichen Agenturen genauso durchsichtige Propaganda wie Zeit oder Spon. In der abwertenden Art, die bei “erstbeste Quellen” mitklingt, steht für mich Spon vornan. Dass die russischen Journalisten Zensur ausgesetzt sind, ist immerhin bekannt. Sobald bei Spon oder der ARD/ZDF-Blase aber mal echter Journalismus durchscheint, greift sofort danach eine übergeordnete Redaktionsinstanz ein und duckt den/die Recherschierenden. Diese Wellenbewegung kann man richtig nachweisen. Nur, dass es nie nach Zensur, sondern immer nach Zufall aussehen wird. “Erstbest” im Wortsinn ist dagegen jeder Bericht, der Fakten weitergibt – für mich, jenseits aller ‘Lager’, an erster Stelle die kargen Beschreibungen des ORF-Korrespondenten Wehrschütz. Und dass Du den nicht erwähnt hast – ‘tschuldige, lässt mich ein bisschen vermuten, dass Du eigentlich uns angebliche ‘Putin-Freunde’ treffen wolltest mit dem, was Du geschrieben hast. Da kommentiert nämlich jemand ganz ohne Ideologie und Geschrei das verheerende Tagesgeschehen in Donezk und Luhansk, die Miesheit der ‘Rebellen’ und den Verrat einer Regierung an ihrem Volk. Das passt nicht ins Bild von ‘Enteder oder’, das Du am Ende entwirfst und in dem Du letztlich gern bei denen wärst, die Du für vernünftiger hälst – ich halte sie nur für skrupelloser. Vielleicht spiegelt sich also im Ukraine-Krieg hier bei uns auch unser Herkommen und kann nicht außer Acht gelassen werden: Ich bin Nato- gebrannt, Du sowjetgebrannt. Man kann auch beidseitig geschädigt dazu sagen. Gebrannte Kinder kennen das Feuer.
Lieber Manfred, es stimmt, mein Artikel ist nicht sehr neutral, sondern bei aller Kritik eben auch eine Verteidigung der “Systemmedien” gegen etwas, was ich als eine Verachtung gegen den Westen empfinde, die ich so nicht teile, eine undifferenzierte, oft an Hass grenzende Verachtung der Presse und der Journalisten und einen selbstgefäligen Zynismus, der überall in den Kommentaren tobt – gegen eine Haltung, die dazu beitragen kann, dass das Mantra vom Ende der Demokratie zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.
Ich weiß: ich pauschalisiere da genauso und beispielsweise Dir die oben genannten Sachen vorzuwerfen, wäre absurd. Aber die extremen Stimmen bestimmen eben die Atmosphäre. Wahrscheinlich sollte ich grundsätzlich keine Kommentare bei Spon oder Telepolis mehr lesen …
Wehrschütz kannte ich bisher nicht – danke für den Hinweis, vielleicht ist er ja ein Vertreter dessen, was ich suche.
Ich würde mich übrigens nicht sowjetgebrannt nennen, eher im Gegenteil: Als ich mich richtig für Politik zu interessieren begann, war die Perestroika unsere große Hoffnung und Gorbatschow unser großer Held. Aber ich bin natürlich mit Medien aufgewachsen, die wirklich die Bezeichnung “Systempresse” verdient haben, also sage wir: einfach ostgebrannt ;)
“Wahrscheinlich sollte ich grundsätzlich keine Kommentare bei Spon oder Telepolis mehr lesen …”
Stimmt, sollte man nicht. Oder nur, wenn man sich mal wieder richtig gruseln will. Aber man darf das (und den ganzen traurigen Rest wie Facebook etc.) nicht mit der Realität verwechseln. Was sich da austobt, ist nicht representativ und kann auch einfach ignoriert werden.
Ich kann Deine Kritik auch nur zum Teil nachvollziehen. Zum Beispiel der Vergleich mit einem WM-Vorrundenspiel. Na klar geht danach erstmal das Interesse nach oben, flacht aber auch sehr schnell wieder ab, ist also pressetechnisch gesehen nur ein willkommenes Strohfeuer (selbst der WM-Titel konnte sich gerade zwei Tage in den Nachrichten halten), während die Ukrainekrise nun leider schon ein paar Monate vor sich hinglimmt. In dieser Zeit hab ich viele Berichte und Diskussionen zu diesem Thema gehört. Und das ist ja auch nicht der einzige Konfliktherd derzeit.
Du hast den Vergleich zum Gaza-Krieg gezogen, wo Du die Berichterstattung als ausgewogener erlebst. Ja, Du hast das ja selbst beschrieben, dass man bei diesem Konflikt, wenn man sich näher damit beschäftigt, sich gar nicht auf die eine oder andere Seite schlagen kann. Beim Ukrainekrieg (das ist er nun wohl) vermisst Du aber diese Ausgewogenheit. Du schreibst: “Aber in einem Land mit Pressefreiheit sollten sich linke und rechte, prorussische und prowestliche Medien halbwegs ausgleichen.” Gut, dann wenden wir das mal auf den Islamischen Staat (IS) an. Wo sind denn die Medien und Journalisten, die argumentativ für die IS in die Bresche springen? Vielleicht sind die ja gar nicht so schlimm? Lösung: Sind sie doch! Es sind sich eben alle einig, dass der IS eine große Gefahr darstellt und bekämpft werden muss. Selbst in einem Land mit Pressefreiheit muss sich nicht alles ausgleichen, denn in jeder Gesellschaft bildet sich auch ein Moral- und Rechtsempfinden aus. Und was diesem zuwieder läuft, kann nur kritisiert werden. Vielleicht verhält es sich bei der Ukrainekrise ähnlich. Und wer mit jetzt vorhält, ich würde Russland mit dem Islamischen Staat vergleichen, dem werf ich auch gleich noch einen Hitler-Vergleich hinterher.
Übrigens zum Mitschreiben: Wenn man Russland kritisiert, heißt das nicht, dass man die ukrainische Regierung toll findet. Die ukrainische Regierung wird durchaus auch kritisiert, z.B. dafür, dass sie völlig unangemessen mit Panzern auf die anfängliche Besetzung von Rathäusern reagiert hat, statt den politischen Dialog zu suchen.
Aber wenn ich schreibe, dass ich “Deine Kritik nur zum Teil nachvollziehen kann”, heißt das natürlich auch, dass ich “Deine Kritik zum Teil nachvollziehen kann”.
>> “Was sich da austobt, ist nicht representativ und kann auch einfach ignoriert werden.”
Mit ersterem hast Du sicher recht. Bei zweiterem bin ich mir nicht so sicher, zumindest fällt es mir schwer. Es ist ein bisschen wie eine NPD-Demo, die auch nicht repräsentativ, aber werden besser auch nicht ignoriert … nein, nein, das ist kein Hitlervergleich ;)
>> “Na klar geht danach erstmal das Interesse nach oben, flacht aber auch sehr schnell wieder ab, ist also pressetechnisch gesehen nur ein willkommenes Strohfeuer (selbst der WM-Titel konnte sich gerade zwei Tage in den Nachrichten halten)”
Da hast Du vollkommen Recht, insofern war der Vergleich etwas unglücklich – zumal ich ganz sicher auch nicht zu den Leuten gehöre, die sagen, man dürfe über nichts anderes berichten, solange noch irgendwo auf der Welt Krieg oder Not herrschen.
>> “Wo sind denn die Medien und Journalisten, die argumentativ für die IS in die Bresche springen?”
Okay, das ist zugegebener maßen ein schönes Beispiel. Und, um auf die WM zurückzukommen, auch da war die Presse gleichgeschaltet wie zu Hitlers Zeiten (huch!), in der ganzen Systempresse suchte man vergeblich die Stimmen, die für ein Ausscheiden der deutschen Mannschaft waren ;)
Allerdings: Im Fall des Ukrainekrieges und der Konfrontation zwischen EU und Russland finde ich die Sache doch nicht ganz so klar. Und auch wenn die ukrainische Regierung für einzelne Dinge kritisiert wird, hat man doch die Reihen recht fest hinter ihr geschlossen. Und das ist aufgrund einiger Sachen doch zumindest diskussionswürdig.