(Klassenfahrt 1988. Meine Fresse, sah ick scheiße aus! Die Jacke! Die “Frisur”!)
Im Nachhinein scheint alles ganz folgerichtig: Montagsdemos, Prager Botschaft, Rücktritt Honneckers, peng! Mauer auf! Das liegt doch auf der Hand!
Ich fuhr am Nachmittag des 9.11.1989 mit der S-Bahn von Springpfuhl zum Alexanderplatz, lief an Markthalle und Gastmahl des Meeres vorbei zum Palasthotel, ging in den Intershop und kaufte dort von meinem gesparten Westgeld einen Panasonic-Radiorecorder. Besser kann ich nicht illustrieren, wie sehr uns der Mauerfall überraschte, obwohl doch alles schon im Umbruch war.
(Klassenfahrt 1988. Keine Ahnung, ob ich verdeckt werde oder das Foto gemacht habe. Es gewinnt jedenfalls deutlich durch meine Abwesenheit …)
Eine kleine Begriffserklärung (ich weißnicht mehr, wieviel Wissen man vorraussetzen kann): Intershops waren Läden in der DDR, in denen die Glücklichen, die Westgeld hatten, Produkte aus dem NSW, dem „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ einkaufen konnte. Die Auswahl war begrenzt, die Preise waren sicher höher als in Westdeutschland, dafür gab es in Intershops diesen ganz besonderen Intershopduft, eine der wenigen Sachen, um die es wirklich schade ist, denn seltsamerweise war er in der BRD nirgends anzutreffen. Mein Opa war Mitte der 80er Jahre als Rentner nach Westberlin übergesiedelt (Rentner hatten Reisefreiheit), was unsere Famile in den Kreis der Privilegierten katapultierte, die Westpakete und gelegentliche Geldgeschenke bekamen.
(1988 oder 89. Ich, unser schöner Wohnzimmerwandteppich und das Beste und Aufregendste, was mein Opa mir aus dem Westen rübergeschmuggelt hat. Schon vor der Wende Douglas Adams zu lesen war das größte Glück und Privileg!)
Einen Tag später hätte ich mit den 299,- DM, die der Recorder kostete, sämtliche Elektrogeschäfte Westberlins abklappern und unter hunderten Geräten wählen können! (Vielleicht sollte ich froh sein, dass mir das erspart blieb, das wäre vielleicht ein zu großer Konsumschock gewesen.) Niemals jedenfalls hätte ich das wertvolle Westgeld in den Intershop getragen, wenn ich auch nur im Mindesten damit gerechnet hätte, in absehbarere Zeit, die Grenze zu überqueren.
Am Abend lag ich im Bett meines Zimmers in unserer Wohnung im 10. Stock unserer Platte und hörte auf dem neuen Recorder Musik (vermutlich Joy Division). Irgendwann, ich war chon halb eingeschlafen, klopfte meine Mutter, kam rein und sagte: „Volker, die Mauer ist offen!“ Ich sagte irgendwas wie: „Häh?“ und wusste nicht, was zum Teufel sie von mir wollte. Bis ich mich aufraffte und ins Wohnzimmer kam, wo der Fernseher lief.
(Blick aus meinen Zimmer, c.a.1980)
Zwei Stunden später überquerte ich die Grenze am Grenzübergang Invalidenstraße, lief zum Lehrter Stadtbahnhof, der inzwischen dem Hauptbahnhof gewichen ist, fuhr zum Bahnhof Zoo und aß einen Hamburger Royal TS. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte …
(25 Jahre später: Hier habe ich das erste Mal die Grenze überquert.)
Danke für diesen tollen Bericht aus der Steinzeit dieses Landes. Ich bewundere deinen Mut – das Foto mit dem Anhalter hat ja das Glück, dass der Buchtitel ein wenig von deinem .. sagen wir mal.. interessanten Outfit ablenkt ;)