Weblog & Podcast von Volker Strübing

Slam 2007 (6) – Ich schenke Marc-Uwe vier Worte eines Nazis

Datum: 8.10.07
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam

Bevor ich mich in langen Lobeshymnen ergehe, setze ich lieber auf Understatement und gebe Marc-Uwe, dem alten und neuen National Slam Champ vier Worte mit auf den Weg, die mir mal ein Nazi gesagt hat. Es war im Sommer 2005, ich war nachts mit dem Fahrrad in Lichtenberg unterwegs und habe Musik gehört und wohl auch laut mitgesungen und bin Schlangenlinien gefahren auf den leeren Straßen, weil ich gut gelaunt und angetrunken war. Und dann waren die Battereien alle. Ich hatte damals so einen doofen Disc-Man, bei dem man die CD rausnehmen musste, um ans Batteriefach zu gelangen. Außerdem waren die frischen Batterien irgendwo in meinem Rucksack vergraben. Nur ein paar Meter weiter leuchtete die Bierreklame einer Kneipe und ich hielt es für eine gute Idee, den Batteriewechsel ganz in Ruhe bei einem kleinen Bier vorzunehmen.

Es war keine gute Idee.

Die Kneipe war ein trauriger Laden mit einem hellen Holztresen, der ein bisschen an Billigschrankwände erinnerte. Ein paar Lichterketten hingen herum, es gab den obligatorischen Dartautomaten und aus den Boxen hätte eigentlich Schlagermusik klingen müssen, doch stattdessen war es irgendwelches Gitarrengeschrammel und Gegröle. Ich setzte mich an die Bar, bestellte ein Bier und merkte dann, dass auch das Publikum nicht meinen Erwartungen entsprach: Ich hatte mit graugesichtigen, verbitterten Männern in den Fünfzigern gerechnet, die in einer Endlosschleife Sachen von sich geben wie: “Die da oben”, “Dafür ham se Geld” und “Alles Verbrecher, wenn de mich fragst” … schlimm genug, aber das hätte ich ein kleines Bier lang ausgehalten. Die Belegschaft dieses Ladens allerdings war noch etwas finsterer drauf. Und deutlich jünger. Es waren zwar “nur” drei, aber ich hätte wohl auch gegen einen keine Chance gehabt, schon weil sie wahrscheinlich wesentlich mehr Erfahrung im Leuteverkloppen hatten als ich. Noch bevor ich mein Bier hatte, hatte ich denn auch einen Gesprächspartner, der mich als Zecke bezeichnete, worauf ich empört erklärte, ich sei keine Zecke (was  feige war, aber insgeheim konnte ich mich natürlich damit rechtfertigen, dass ich ja ein Mensch war und kein Gliederfüßer vom Unterstamm der Kieferklauenträger).
“Wie ein Rechter siehtste aber nicht aus”, bemerkte der Typ, ein dicker Skinhead mit Brille. Er trug schwarze Hosen, ein schwarzes T-Shirt und dazu schwarz-weiß-rote Hosenträger.
“Äh … nee, bin ich ja auch nicht. Äh … ich interessier mich nicht so für Politik …”
“Sowas gibts nicht. Entweder Du bist Rechter oder ‘ne Zecke.”
Die Versuchung zu sagen, ich sei ein Rechter, war wirklich groß, das kann ich versichern. Ich hab mich dann doch als Linker geoutet und hinzugefügt, dass das doch alles kein Problem sei und man könne doch auch mit einander reden, blablabla und ich hätte mich leider in der Kneipe geirrt und würde jetzt austrinken und dann einfach hier rausgehen. Und der Typ nickte und sagte: “Genau. Du gehst dann einfach hier raus. Und ich komme mit.” Die anderen beiden grinsten und die Barfrau rollte mit den Augen.

Unangenehme Situation. Ich trank an meinem Bier, versuchte mit ihm über alles mögliche zu reden , was auch gelang, obwohl er gelegentlich darauf hinwies, dass wir uns nachher auf der Straße prügeln würden. Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus der Situation rauskommen sollte. Zu allem Unglück schien er plötzlich auch noch einen Verdacht zu schöpfen:

“Sag mal, Du warst doch an diesem Buttersäureanschlag auf … (irgendein Naziladen – Namen hab ich vergessen) beteiligt, oder?” Keine Ahnung, wie er darauf kam. Ich schüttelte verwirrt den Kopf und versicherte ihm, dass ich das nicht war. Aber ihm schien diese Idee zu gefallen. “Und jetzt biste hier, um den nächsten Laden für ein Attentat auszuspionieren!” Ich schwor Stein und Bein, dass dies nicht der Fall sei, ich hätte noch nie ein Buttersäureattentat gemacht und würde auch nie eins machen und überhaupt. Und schließlich sagte er “Naja. Gut. Wenn Du es sagst, wird’s wohl stimmen.” Mir fiel ein Stein vom Herzen. Und direkt meinen Fuß, denn er fügte achselzuckend hinzu: “Aber egal. Ich komm trotzdem mit raus. Es trifft keinen Falschen.

Und genau dieser Satz fällt mir im Zusammenhang mit Marc-Uwes Sieg im Finale der deutschprachigen Poetry Slam Meisterschaft 2007 im ausverkauften Admiralspalastwieder ein. Und dazu noch ein Dutzend weiterer Sätze voller Superlative. Toll war’s. Herzlichen Glückwunsch. Ich hoffe auf ausführliche Berichte über den Abend in allerlei Poetry Slam Weblogs – ich bin nach der langen Einleitung dieses Artikels zu faul dazu.

Nur noch ein paar Worte zu meinen beiden Auftritten auf der großen Bühne vor 1700 Zuschauern.

Als erstes musste und durfte ich den Teamsieger-Wander-Kranz für das Team LSD an die neuen Champions SMAAT übergeben und auch wenn das jetzt doof klingt: Es war mir eine große Freude; ich tat es ohne Bedauern und gratulierte von ganzem Herzen.

Für meinen Auftritt hatte ich einen Text ausgesucht, der nur unter ganz merkwürdigen Umständen eine Chance auf Wettbewerbserfolg gehabt hätte. Allerdings hat es solche merkwürdigen Umstände durchaus schon gegeben; es war also kein Kamikaze-Unternehmen. Außerdem war ich ziemlich sicher, dass ich keinen volkertypischen Text mit Siegchancen mehr in petto hatte (es sei denn, ich hätte auf ziemlich altes Zeug zurückgegriffen), denn meine beiden erfolgreichsten Slamtexte des letzten Jahres hatte ich bereits in Vorrunde und Halbfinale gemacht. Und bevor ich das machen würde, was alle anderen Slammer von mir kannten und erwarteten, um damit dann doch nur mittelmäßig abzuschneiden, wollte ich sie wenigstens überraschen. Außerdem lag mir der Text, den ich schließlich aussuchte, gerade viel, viel mehr am Herzen, als alle anderen.

Das mit der Überraschung hat zumindest geklappt. Und ich habe hinterher sehr, sehr viel Lob bekommen – von vielen wurde der Mut gelobt, diesen Text gebracht zu haben; einige schienen aber auch den Text selbst gemocht zu haben. Und einigen hat er weh getan. Das Eigentlich sollte ich stolz darauf sein, dass ich nicht immer nur Menschen zum Lachen bringe, Kunst muss ja auch weh tun und verletzen, hört man immer wieder. Aber eigentlich scheiße ich da drauf und freue mich, wenn ich Leute zum Lachen bringe. Aber manchmal geht’s halt nicht.

Marketingtechnisch wäre es natürlich schlauer gewesen, einen sehr, sehr lustigen Text aus meinem neuen Buch vorzulesen. Aber ich glaube, dafür hätte ich mich mindestens für den Rest des Abends gehasst.

(Volker Strübing)

Ach so: Als ich mein Bier ausgetrunken hatte, hat mir die Wirtin freies Geleit gewährt und mich nach draußen begleitet. Der Typ musste mich schmollend in Ruhe lassen, weil sie ihm Kneipenverbot androhte, da sie nicht schon wieder wegen ihm die Polizei im Laden haben wollte.

Ist jetzt natürlich ein ziemlich maues Ende für die Geschichte, aber glaubt mir: Ich fand das Ende schön.

13 thoughts on “Slam 2007 (6) – Ich schenke Marc-Uwe vier Worte eines Nazis

  1. Öhm könntest Du mir bitte verraten wo diese Kneipe ist, ich wohne nämlich in Lichtenberg (zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass es eigentlich schon fast Friedrichshain ist), und will da auf keinen Fall aus Versehen reinstolpern :-/

    Bin nämlich zugezogen und kenne mich daher nicht so mit den no-go-areas aus :-/

  2. Lieber Volker, ich möchte dir eine kleine Anekdote erzählen: Als es nach deinem Text zur Abstimmung kam, wurde eine Sechs hochgehalten. Die Reaktion war neben dem üblich gewordenen und berechtigten “Buh” ein wunderbarer Zwischenruf, vermutlich von Bo, nämlich bezogen auf das vermaledeite Jurymitglied: “Du hast nie geliebt!” Dem möchte ich beipflichten und mich bei dir bedanken für den Spaß, den ich in letzter Zeit bei all den Auftriten von dir hatte.

  3. den versuch war es wert mit dem text, das auf jeden fall.
    ich kannte ihn schon, ich hab ihn gut gefunden, sehr gut und ich tue das noch.
    allerdings hab ich beim finale gedacht, mist, ich komm grad nicht rein in den text.
    sei es, daß eine vorrede oder ein teil des textes fehlte, sei es die finale hektik, irgendwie kam ich da nicht so mit wie beim ersten mal hören bei lsd.
    das fand ich dann sehr bedauerllich.
    aber, wie du schon sagst, der sieg hat ja keinen falschen getroffen… (-;

  4. muss mich hinten anstellen und sagen dass ich es auch ganz toll gefunden habe und mich ganz ganz doll auf ein wiedersehen freue… dann noch die frage ob dein final text irgendwo zu lesen sei… so für die privat person nicht im admiralspalast… :)
    liebe grüsse

  5. War auf jeden fall ein geilder abend und ich muss sagen, dass ichdie befürchtungen, dass jetweilige gute texte n den vorrunden verballert werden nicht wirkich berechtigt werden.

    achja ich war jurymitglied, ich weiß zwar nicht mehr was ich dir gegeben habe julius aber dem volker hatte ich glaube ich ne acht (oder neun) gegeben die schlechteste note war ne 7. wenn man fair benoten will muss man sich an der erdsten note messen und die habe ich relativ weit unten angelegt gehabt … und achja verdient hätte die krone jeder, die meiste nfreunde hatte aber uwe mitgebracht!

  6. Lieber HevoB,
    da bin ich natürlich deinen Vorwürfen nachgegangen und die Ergebnisse sind schockierend… Sowohl meine Freundin als auch alle anderen mir persönlich bekannt und befreundeten Personen, alle beide, haben auf Nachfrage zugegeben nicht völlig unparteiisch applaudiert zu haben. Die signifikante Ergebnisverfälschung, die daraus resultierte, bedauere ich sehr. Wer bissn du und wie bist du mir auf die Schliche gekommen?

    fragt neugierig

    Marc-Uwe

  7. Da muss ich mit meinen anwesend gewesenen (???) Bekannten aber noch mal hart ins Gericht gehen: Sie waren zu fünft und haben mich nur auf den 6. oder 7. Platz geklatscht! Wie hat es Deine Freundin geschafft, wie 1750 begeisterte Zuschauer zu klingen?

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