Die Schlagzeilen klangen aber auch gut: “Schlag gegen Kinderpornographie!” 322 Verdächtige seien ermittelt worden, viele von ihnen seien geständig, hurra!
Allerdings sind die Zahlen falsch. Es gab nicht 322 Verdächtige, sondern ca. 22 Millionen: Alle deutschen Kreditkartenbenutzer. Mit Hilfe der “deutschen Kreditkartenwirtschaft” wurden sämtliche Kreditkartenkonten darauf hin überprüft, ob sie einen bestimmten Betrag auf ein bestimmtes Konto überwiesen haben, das eindeutig einer indonesischen Website mit kinderpornographischem Material zugeordnet werden konnte. Diese Überprüfung fand ohne richterlichen Beschluss statt.
Das Besondere hieran ist nicht nur die schiere Menge der Verdächtigen, sondern dass Ermittlungen aufgenommen wurden, ohne dass bekannt war, ob überhaupt eine Straftat stattgefunden hatte. (Natürlich haben sich die indonesischen Betreiber der Website bei der Herstellung des Materials und seinem Upload straffällig gemacht, aber gegen diese richtete sich die Überprüfung der Kreditkarten ja nicht – nur gegen mögliche deutsche Konsumenten.)
Im Prinzip bestand durch das illegale Angebot erst einmal nur die theoretische Möglichkeit, dass deutsche Kreditkartenbesitzer eine Straftat begangen haben. Etwas weitergedacht und übertrieben ist das dasselbe, als würde man sämtliche Berliner einem Drogentest unterziehen, weil in der Stadt illegale Drogen zum Verkauf angeboten werden. Schließlich könnte es sein, dass jemand von diesem Angebot Gebrauch gemacht hat.
Auf Telepolis erschien vor ein paar Tagen ein sehr lesenswertes Interview mit Udo Vetter, der einen Antrag auf gerichtliche Prüfung dieser Praxis gestellt hat.
Zunächst fehlte es an einem Anfangsverdacht im juristischen Sinn. Ein Anfangsverdacht erfordert tatsächliche Anhaltspunkte […]
Erst nach dem Screening aller 22 Millionen Kreditkarten lagen dann konkrete Verdachtsmomente vor. Aber diesen Verdacht haben sich die Ermittler erst einmal selbst produziert, und zwar rechtswidrig. Das Eingreifen war vor diesem Hintergrund jedenfalls grob unverhältnismäßig. Man kann nicht das informationelle Selbstbestimmungsrecht von 22 Millionen Bürgern nur auf die völlig spekulative Aussicht hin verletzen, dass schon einige im Raster hängen bleiben werden.
[…] Dass die Kreditkartenfirmen dies für die Staatsanwaltschaft erledigten, machte die Sache nur noch schlimmer. Hierdurch wurde versucht, den Richtervorbehalt für Rasterfahndungen zu umgehen. Außerdem ist es fast schon ein eigener Skandal, dass solche Ermittlungen in die Hände von Privaten gegeben werden. Wer sagt denn, dass wichtige Kunden oder gar eigene Mitarbeiter nicht aus der Trefferliste gestrichen wurden?
Schwierig wird es bei der Bewertung. Hat nun, trotz aller Zweifel an der Korrektheit der Vorgehensweise, das ganze nicht doch etwas positives gebracht? Udo Vetter verneint dies:
Im Übrigen richtete sich die Maßnahme gegen mutmaßliche Konsumenten von Kinderpornografie. Diese Straftat wiegt nach dem Gesetz ungefähr so schwer wie Sachbeschädigung. In beiden Fällen beträgt die Höchstfreiheitsstrafe zwei Jahre. Der Besitz von Kinderpornografie mag zwar verabscheuungswürdig sein, er gehört aber nicht zur Schwerkriminalität. So schwer es vielleicht auch zu verstehen sein mag, macht der Gesetzgeber einen deutlichen Unterschied zwischen den Menschen, die Kinder tatsächlich missbrauchen, und denen, welche sich derartige Darstellungen ansehen.
Die Fahnder waren bei ihrem Ermittlungen bereits gescheitert, die Hintermänner der Website zu ermitteln. Mit dem Kartenscreening konnten diese Hintermänner auch nicht ermittelt werden. Es ist deshalb völlig übertrieben, hier von einer Maßnahme gegen Schwerkriminelle zu sprechen. Ein Richter hätte die Rasterfahndung mit Sicherheit schon deshalb nicht angeordnet, weil es gar nicht um Straftaten von erheblichem Gewicht ging, wie sie die Vorschrift für die Rasterfahndung erfordert.
Man muss (leider) feststellen, dass trotz der Hurrameldungen seitens der Ermittlungsbehörden mit der Aktion Mikado kein einziges Kind tatsächlich vor Missbrauch bewahrt wird. Die tatsächlichen Kindesmissbraucher, welche die Fotos und Filme herstellen, war zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr im Visier der Fahnder.
Ob es vertretbar ist, dass der Konsum von Kinderpornografie (nicht deren Herstellung) wie Sachbeschädigung geahndet wird, sei dahingestellt. Wahrscheinlich würden höhere Strafen wenig bringen, da für die Erwischten ohnehin die Schande und der Zusammenbruch ihres gesamten sozialen Umfelds schwerer als die eigentliche Strafe wiegen dürften. Wahrscheinlich ist die Selbstmordrate recht hoch.
Dass hier der Kampf gegen die Konsumenten generell als unnütz dargestellt wird, geht mir aber doch zu weit.
Wahrscheinlich entstehen viele Kinderpornos als eine Art Nebenprodukt der sadistisch-pädosexuellen Neigungen des Vergewaltigers – der Missbrauch würde also auch stattfinden, wenn keine Kamera dabei wäre – , aber manche Pornos werden sicher nur produziert, um die Nachfrage zu befriedigen und Geld zu verdienen – dessen muss sich der Konsument bewusst sein. Er stiftet zum Missbrauch an und begeht sozusagen Missbrauch aus zweiter Hand. Ganz davon abgesehen, was es für die Opfer bedeuten mag, ihr Leben lang mit dem Wissen zu leben, dass da vielleicht noch Filmchen in Umlauf sind, und dass fremde Männer sich diese reinziehen, um … na, lassen wir das, der Gedanke ist zu grässlich …
Trotzdem ängstigt mich der Weg, den die Justiz in den letzten Jahren eingeschlagen hat. Und bin ich paranoid, wenn ich manchmal denke, dass im Kampf gegen Kinderpronographie und Terrorismus Methoden ausprobiert und Daten gesammelt werden, die man später, wenn sich alle daran gewöhnt haben, auch gegen jedwede andere “Gefahr für die innere Sicherheit”, unsere “christlichen Grundwerte” oder die Interessen irgendeiner Industrielobby verwenden kann?
In dem Fall würde es natürlich Sinn machen, Kindesmissbrauch als Experimentierfeld zu verwenden – denn wer könnte etwas dagegen haben, dass “diese Schweine” mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gejagt werden? Doch wohl nur jemand, der entweder ein herzloser, verabscheuungswürdiger Paragraphen- und Prinzipienreiter ist, oder jemand der selbst etwas zu verbergen hat, hä?!
(Volker Strübing)
PS: Ich habe einiges zu diesen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle gelesen, weiß aber nicht, ob ich die juristische Seite wirklich durchschaut habe. Falls ich da Fehler gemacht habe, bin ich für Hinweise dankbar. Wie auch immer: Selbst wenn das Vorgehen juristisch korrekt gewesen sein sollte, wäre es moralisch immer noch fragwürdig – und tatsächlich fände ich es sogar noch grusliger, wenn sowas legal wäre.
PPS: Wenn Ihr schonmal auf dem Telepolis-Artikel seid, solltet ihr euch das dazugehörige Diskussionsforum nicht entgehen lassen.
naja … die werden ja nicht WEGEN sachbeschädigung bestraft. und der vergleich zur sachbeschädigung klingt immer so abwertend. aber weisste, die idee hinter § 303 StGB ist: dem deutschen ist eigentum eins der höchsten güter, und es ist genauso zu beschützen wie Leib & Leben. DAS ist tatsächlich absurd!
das andere: ganz sicher wird ein markt bedient, und der konsument ist strafwürdig, weil er die nachfrage schafft. andererseits unterscheidet das StGB bei allen anderen Straftaten auch danach, in welcher Form jemand daran beteiligt ist, so dass zB ein gehilfe weniger hart bestraft wird als ein täter. das halte ich als wertung für richtig.
das dritte schließlich: ich glaub auch nicht, dass das Datensammeln dem zweck dient, unter dem es im augenblick vorgeblich passiert. leider. über die legalität kannste streiten. es gibt da kein klares richtig-oder-falsch, weil die gesetze dazu nichts hergeben. dein drogen-beispiel ist da ziemlich gut. aber soweit ich es verstanden habe, wurden die überprüfungen von den kreditkartenunternehmen selber durchgeführt (zunächst), und ich bin mir nicht sicher, was ich meinem kreditkartenunternehmen alles erlaubt habe, mit meinen daten zu tun, um die kreditkarte zu bekommen …