Am Freitag war ich wieder in Hamburg. Pauline Füg und ich waren als Featured Poets zum Pony-Slam im Haus 73 eingeladen. Es war sehr schön. Nachdem ich letzte Woche mit Micha beim Slam in den Zeise-Hallen war und nun diesen völlig anderen, aber ebenso großen und guten Slam erlebt habe, kann ich die Hamburger nur zu ihrer Slam-Szene beglückwünschen.
Während der Show stand ich – wenn ich nicht gerade auf der Bühne war – meist an der Seite und lehnte mich an die Wand. Ich sitze nicht gerne mittendrin. Irgendwann kam ein Grüppchen verspäteter Zuschauer. Sie schauten sich ein bisschen um, dann kamen sie in meine Richtung und stellten sich direkt vor mich. Sie sahen mich nicht einmal kurz an, ich existierte nicht, zumindest nicht als Mensch, wahrscheinlich musste ich schon froh sein, dass sie zumindest akzeptiert haben, dass dort irgendein längliches Ding an die Wand gelehnt war, und sie mich nicht einfach beiseite geschoben haben. Ein Mädchen stand keine 30 Zentimeter vor mir.
Klar: Wo auch immer sie sich hingestellt hätten, hätten sie jemandem gestört, aber das mindeste ist doch, diese Menschen wahrzunehmen, ihnen einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen und zu versuchen, die Belästigung soweit möglich in Grenzen zu halten. Oder?
Ich hab überlegt, ob ich sie höflich anspreche und darum bitte, doch wenigstens einen Schritt nach vorn zu machen, statt mir mit dem Pelzkragen der Kapuze die Nase zu kitzeln, aber für höfliches Ansprechen war ich zu wütend. Die nächste Idee war, sie unhöflich anzusprechen, aber dann hatte ich eine noch bessere: Ich verließ meinen (eigentlich sehr gemütlichen) Platz an der Wand und stellte mich direkt und ganz dicht vor sie :) Die Entscheidung, wie es weitergehen sollte, lag nun bei ihnen. Wenn sie mich anspechen wollten, bitte schön, dann würden sie was zu hören kriegen!
Merkwürdigerweise passierte gar nichts. Sie nahmen es hin. Blieben stehen und guckten an mir vorbei. Was ich als Missachtung und grobe Unhöflichkeit empfunden habe, war für sie einfach ganz normal. Sie behandelten andere so und ließen sich klaglos so behandeln. Irgendwie ist das fast noch beunruhigender, als wenn das einfach nur Arschlöcher gewesen wären. Aber vielleicht interpretiere ich das auch alles falsch.
Gerade fuhr ich auf dem Fahrradweg die Schönhauser Allee hinunter. Auf der falschen, dafür aber sonnenbeschienen Straßenseite. Ich strengte mich nicht an, war seeeehr langsam; man könnte sagen, ich schlenderte auf dem Fahrrad durch einen schönen Frühlingssontagnachmittag. Kurz vor dem U-Bahnhof Senefelder Platz geht es ziemlich steil bergab, trotzdem zeigte mein Fahrradcomputer gerade mal 12 km/h. Von unten kam mir jemand mit mindestens der doppelten Geschwindigkeit entgegen, ein Typ um die dreißig, Zopf, fette Kopfhörer, Jackett über Kapuzen-Shirt. Er strampelte sich im Stehen ab. Ich wich, da ich auf der falschen Straßenseite war, auf den Fußgängerweg aus. Er dagegen dachte sich, weil doch Rechtsverkehr herrscht in Deutschland müsse er auch die rechte Spur benutzen – sprich: den Fußgängerweg. So kamen wir uns in dem Bemühen, uns auszuweichen, erst recht in die Quere. Normalerweise ist sowas ein prima Grund, sich kurz anzulächeln. So kann aus einem kleinen Missgeschick ein schöner Augenblick, ein klitzekleines Stückchen Freude und Wärme werden. (Entschuldigung, falls das ein bisschen schwülstig klingt. Mir ist eben gerade so.)
Der Typ auf dem Fahrrad brüllte mich mit vor Anstrengung oder Hass verzerrtem Gesicht an. Und ich wünschte mir, dass ihn an der nächsten Kreuzung ein LKW mitnimmt. Es ist schon erstaunlich, wie schwer wir uns manchmal gegenseitig das Leben machen. Warum laufen eigentlich sowenig Leute Amok? Weil es verboten ist?
Jetzt sitze ich in einem Kaffee und tippe mit der Sonne im Gesicht. Gerade habe ich einen Erdbeer-Michshake und einen Latte Machiato getrunken. Die beiden Gläser standen schon einige Zeit leer auf dem Tisch, als ich beschloss, noch einen Kaffee zu trinken. Bin aufgestanden und mit den beiden Gläsern zur Bar gegangen, um zu bestellen. Die Barfrau sah mich böse an und sagte: „Die leeren Gläser mal bitte auf dem Tisch stehen lassen, ja?!“ Ich: „Okay. Sorry.“ „Das nutzt mir nämlich gar nichts. Das bringt bloß alles durcheinander!“ Ich: „Okay, okay!“ Sie: „Also einen Kaffee, ja?!“ Ich: „Vergiss es, ich will euren Scheißkaffee nicht mehr, und außerdem bist du total hässlich, wenn du so verkniffen guckst, du blöde Kuh!“ Ich: „Ja, danke.“
(Volker Strübing)
Nachtrag, 19.2.07: Nette Menschen, nette, nette Menschen …
Oh. Ich behaupte ja immer standhaft, daß der Berliner netter sei, als sein Ruf. Scheint nicht zu stimmen.
Obwohl, Bedienungen sind hier wirklich manchmal schlimm. Das schärfste ist mir mal in dem ehemaligen Schnellimbiß im Volkspark Fhain passiert (ist es schlimm, wenn der Kommentar etwas länger wird?):
Die Terasse voller dreißigjähriger Hedonisten, in der Kuchenvitrine nur noch 5 Stück, aber sehr gutaussehnder Kuchen. Wir nehmen Platz. Nach einer langen Zeit kommt eine Kellnerin an den Nachbartisch: „Seid Ihr noch glücklich?“ (ich finde ja schon dieses ungefragte Duzen etwas anstrengend). Waren die Herrschaften auch. Ich: „Aber wir würden gern bestellen.“ Sie war aber für unseren Tisch nicht zuständig, wollte bescheidsagen. Nach einer weiteren Viertelstunde war der Kuchentresen leer und die Kellnerin von eben kam nochmal und fragte, ob wir immer noch nicht bedient wurden.
Anscheinend hat sie dann etwas strenger bescheidgesagt – kurz darauf kam dann die für uns Zuständige und nahm die Bestellung auf. Sehr ungeduldig. Ich bestellte also zackig „Zwei Cappuccino und jeweils ein Glas Leitungswasser, also zwei“.
Diese Zusammenfassung löste dann bei ihr die Reaktion aus: „Bist Du jetzt zickig, oder was?“
Leider ist man dann in solchen Situationen nicht schlagfertig genug.
Ja, KellnerInnen können schon unfreundlich sein. Allerdings sind die Kuden meist noch viel schlimmer. Solche, die denken, sie seien die einzig wichtigen Personen dort und nur weil man nicht sofort alles stehen und liegen und alle anderen Kunden warten lässt und auf sie zustürmt, werden siesofort unfreundlicht. Und brüllen schon mal “Durst” durch den Raum. Oder nennen Dich “Puppe” oder “Kleine” und geben mit wahnsinnig gönnerhaftem Blick 10 cent Trinkgeld. Und dann lächel mal.
Mh. Stimmt schon.
Und während man als Gast ja die Wahl hat, beim nächsten Mal woanders hinzugehen, hat man das als Kellnerin eher nicht.
Ich würde zu dem oberen (also dem in Hamburg) noch gerne etwas sagen:
Nicht, dass ich jemanden verteidigen möchte, weil ein Blickkontakt hat noch nie jemanden ins Grab gebracht und ein freundliches Wort ist hin und wieder auch ganz nett. Aber ich möchte zu denken geben, dass die fehlende Reaktion auf Scham zurückzuführen sein könnte. Ich meine ja nur: Da stellt sich einer vor einen, dem man gerade eben die Sicht weggenommen hat. Egal, was man jetzt sagt, es ist immer falsch, denn man hat sich vorher Scheiße benommen; man kriegt es nun eben mit gleicher Münze zurückgezahlt. Und da dachten sich besagte Personen vielleicht: Nehmen wir es hin, schließlich haben wir uns diese Reaktion selber zuzuschreiben.
Zumindest würde es mir so gehen. Wobei ich aber doch hoffe, dass ich vorher mit der sichtbehinderten Person einen Kompromiss geschlossen oder zumindest durch Blickkontakt sein Einverständnis geholt hätte. Aber dennoch: In vergleichbarer Situation wäre es mir schlicht zu peinlich, dazu auch noch etwas zu sagen.
Kunden sind nicht per se bessere Menschen und wahrscheinlich hat es die Kellnerin als Vorwurf aufgefasst, dass ich die Gläser mit vor gebracht habe, dabei hätte sie sie eigentlich schon längst abgeräumt und gefragt, ob ich noch was will, wollte mich aber nicht stören, weil ich so konzentriert getippt habe … ist ja meistens so. Und in Hamburg war es wahrscheinlich genauso, wie Muschi Gonzales vermutet.
Aber der auf dem Fahrrad, der war ein Arsch. Das lass ich mir nicht nehmen!
Am Freitag war ich wieder in Hamburg. Pauline Füg und ich waren als Featured Poets zum Pony-Slam im Haus 73 eingeladen. Es war sehr schön.
Schade, da habe ich wirklich was verpasst! – Ich wäre sicher zum Ponyslam gekommen, aber ich hatte just an diesem Tag eine eigene Lesung mit meiner Literaturgruppe.