Seit dreieinhalb Wochen bin ich nun 40 Jahre alt, somit ins zweite Lebensdrittel eingetreten und fühle mich gut damit. 39 sein ist doof, 40 sein ist gut. Zumal ich es geschafft habe, meinen großen Vorsatz für das 41. Lebensjahr zu erfüllen: Ich hatte beschlossen, endlich erwachsen zu werden. Also jetzt nicht gleich esstisch-erwachsen, aber doch immerhin brieftaschen-erwachsen.
Ja, ich habe mir eine Brieftasche gekauft, ein Portjuchhe, wie wir es früher genannt haben. Meine letzte hatte ich soweit ich mich erinnere in der Schule, mit 12 oder 13 vielleicht, und darin habe ich Kaugummibilder gesammelt. Das mache ich nicht mehr, sondern ich verwende die Brieftasche, um darin Münzen, Scheine, Kassenbons und Karten (und – als kleine Reminiszenz ans Kaugummibildersammeln – ein Passbild von Renato Kaiser) aufzubewahren. Falls ihr noch nie eine Brieftasche benutzt habt, kann ich das nur empfehlen: Man kommt sich unfassbar seriös vor, wenn man sie hervorzieht und dann weltmännisch im Münzfach kramt.
Außerdem habe ich festgestellt, dass es eine verdammt praktische Angelegenheit ist. Das hätte mir ruhig schon früher mal jemand sagen können. Ich hielt mich immer für clever, weil ich dachte: Bevor ich in die Hosentasche greife, das Portemonnaie herausziehe, dann das Portemonnaie öffne, dort in diversen Fächern das Geld zusammensuche, dann das Wechselgeld nach Scheinen und Münzen sortiert in den entsprechenden Fächern verstaue, die Brieftasche zuklappe und sie in die Hose zurückbugsiere, bin ich doch viel schneller, wenn ich das Geld direkt aus der Gesäßtasche fördere. Allerdings hatte diese Technik den kleinen Nachteil, dass ich oftmals Kleingeld, alte Kassenzettel und vergessene Pfandbons großzügig auf dem Boden des Kassenbereichs verteilte (fragt mich nicht, wie oft ich den Spruch “Na, Sie müssen’s ja ham, wenn ses einfach so wegschmeißen könn!” gehört habe). Ganz zu Schweigen von dem allabendlichen Münzregen in meiner Wohnung, wenn ich meine Hose ausgezogen habe.
Meistens habe ich an der Kasse dann nur nach einem Schein gefischt, weil ich keine Lust darauf hatte, den Schaufelhandbagger einzusetzen und zu riskieren, das wieder die Hälfte des Hosentascheninhalts dem Ruf der Schwerkraft folgt. Das hatte natürlich zur Folge, dass der Anteil an kleinen Münzen im Laufe des Tages ständig wuchs und damit von Abend zu Abend auch die Schicht aus Kupfermünzen, durch die ich in meiner Wohnung waten muss.
In den letzten Wochen kam es gelegentlich vor, dass ich jemandem mit strahlenden Augen und stolzgeschwellter Brust meine Brieftasche zeigte und sie mich ungläubig anguckten: Wie ich denn die ganzen Jahren ohne Brieftasche ausgekommen sei? Ich erklärte dann mein (doch nicht ganz so) geniales Hosenbrieftaschenkonzept. Und die Karten? Was ich denn mit den Karten gemacht hätte? Die fanden selbstverständlich im perfekten Notizbuch Platz.
(Symbolbild: Brieftasche / Münzregen / Schweiz)
Das Leben mit einer Brieftasche bringt auch ganz neue Abentuer und Erfahrungen mit sich: Vor Kurzem war ich zu einem Poetry Slam im Schiffbau in Zürich und leider war deutlich mehr Alkohol im Spiel, als für mich (und einige andere) gut gewesen wäre – in der Schweiz passiert das irgendwie immer, das muss an der absinth- und whiskygesättigten Schweizer Luft, vor allem der im Großraum Zürich liegen. Nach dem Slam standen F. (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt), ein paar andere Leute, der Siegerschnaps, den F. gewonnen hatte, und ich an der Bar herum. Schließlich beschloss F. noch einen Abstecher nach Winterthur zu machen, wo ebenfalls ein Slam stattgefunden hatte und einige gute Freunde und Kollegen den Abend in einer Karaoke-Bar ausklingen lassen wollten. Ich wollte ins Bett und machte mich ein paar Minuten, nachdem er aufgebrochen war, auf den Weg zum Hotel.
Am nächsten Morgen zog ich mich an und stellte fest, dass meine Hose ziemliche Steuerbordschlagseite und meine Brieftasche offensichtlich über Nacht deutlich an Umfang gewonnen hatte. Schnell stellte sich heruas, das sie schlank wie eh und je war – allerdings war eine zweite Brieftasche hinzugekommen. Beide sahen identisch aus, aus der einen grinsten mich wie gewohnt ich selbst und Renato an, aus der anderen der Kollege F. …
Genau lässt sich nicht mehr rekonstruieren, was geschehen war: Entweder hatte er seine Brieftasche auf die Bar gelegt und ich hatte sie während er daneben stand in der Annahme eingesteckt, es sei meine. Oder er hatte sie selbst vergessen und ich hatte sie erst nach seinem Aufbruch eingesackt, ohne zu merken, dass da schon was in meiner Hosentasche steckte.
Ich rief ihn natürlich sofort an – und erwischte ihn direkt auf der Polizeiwache, wo er gerade eine Anzeige wegen Taschendiebstahls machte. Er war glücklich, von mir zu hören, flüsterte aber, er könne jetzt nicht reden, er müsse das jetzt durchziehen, er könne doch jetzt nich sagen, April, April, ein Kumpel hat sie besoffen eingesteckt …
Später trafen wir uns zur Übergabe und er erzählte mir, dass er den Verlust bemerkt habe, als er in die Bahn nach Winterthur einstieg und am Automaten eine Fahrkarte ziehen wollte. Und weil der Schreck über die vermeintlich geklaute Brieftasche nicht reichte, kam prompt auch noch eine Fahrkartenkontrolle. Ich bin sicher, F. hatte schon entspanntere Partynächte.
Ich wüsste zu gern, ob ich ihm die Brieftasche quasi gemopst oder sie im Gegenteil unbewusst gerettet habe, nachdem er schon aufgebrochen war. Aber das wird sich wohl nie klären lassen. Ersteres ist mir durchaus zuzutrauen, Letzteres halte ich aber auch nicht für ausgeschlossen, wenn ich daran denke, dass F., nachdem er die Anzeige erstattet hatte, seine Notizbücher auf der Polizeiwache liegen ließ …
(VS)
Natürlich glauben wir jetzt alle an die zweite Variante und verleihen dir als erste Amtshandlung, den Brieftaschenrettungsorden den es nur für 40 jährige gibt.
Als mein Vater 40 wurde schenkten wir ihm ein T-Shirt auf dem stand: ich bin über 40, bitte helfen Sie mir über die Straße … so weit ich weiß hat er es nie getragen…
Tja tolle Geschichte der einzige Makel ist das “heruas” im Absatz mit dem nächsten Morgen ;-) .
Alles Gute nachträglichstens wünscht der Martin
Ich habe Zeit meines Lebens eine Brieftasche, zumindest, seit ich Geld mit mir herumtrage, wobei ich jetzt mal nachgucken müsste, woher der Begriff eigentlich kommt, denn Briefe hab ich dort niemals aufbewahrt. Dass Kollegen ihr Geld aus verschwitzten und möglicherweise verwichsten Hosentaschen zückten, hab ich auch oft erlebt. Ich empfand das immer als unhygienisch, ganz abgesehen davon, dass häufig am nächsten Morgen die Frage auftauchte “Ich hatte doch noch 50 Euro einstecken, wo sind die?” Egal. Portmonais sind in jedem Fall praktisch und nur zu empehlen.
Also ich kenn nur Teilverweigerer von Geldscheintaschen. Diese lassen ihre nur zu Anlässen wie Club,Konzert und anzunehmend ausufernden Kneipenbesuchen zu Hause. Dabei kommt es auch immer wieder zu der Frage: wo ist mein Geld geblieben. Die nicht mit genommene Börse hilft meistens nur gegen die traurige Warheit das man alles ausgegeben hat.
Ich glaub nicht das dein Unterbewußtsein die Börse gemopst hat, war bestümpt Fürsorge.
Mich hat der Artikel an eine alte Pseudo Weisheit erinnert: Wenn jeder jedem was klaut, kommt keinem was weg.
Aha wieder was gelernt. Ich dachte, ich hätte n Portemonaie, oder wie das Teil geschrieben wird. In Wirklichkeit habe ich ne Brieftasche. Interessant! Und was sind dann diese Riesenteile, mit denen die Herren in den 80er Jahren rumgelaufen sind? Die so ne Schlaufe haben fürs Handgelenk, A 5 groß, oder etwas kleiner?
Zweites Lebensdrittel find ich gut – du rechnest also mit einem Alter von 120 Jahren. Sehr optimistisch, aber ich wünsch dir das vom Herzen ;-)
Eine sehr interessante Transformation von Haftbefehl zu Volker Strübing ;)
http://www.youtube.com/watch?v=PnbvVXo9VBc
Man, man, man müssen einige Leute langweile haben.