Toni Erdmann
Ich verstehe die Begeisterung um Toni Erdmann nicht. Klar, für einen deutschen Film ist er gar nicht mal sooo schlimm (was in etwa der Aussage „für einen Kopfschmerz ist dieser Kopfschmerz eigentlich ganz nett“ entspricht) und, wenn ich ehrlich bin und die aufmerksamkeitsheischenden Übertreibungen beiseite lasse, muss ich auch zugeben, dass er in Wirklichkeit gar nicht schlecht ist, sondern sich das Prädikat „geht so“ verdient hat. Wobei das fast schon wieder zu enthusiastisch klingt und – wenn ich noch mal in Ruhe darüber nachdenke – auch nur für die ersten anderthalb Stunden gilt.
(Die Hoffnung auf ein Abenteuer lauert überall. Genauso wie die Enttäuschung.)
Es fängt ganz nett an, ein bisschen lustig, ein bisschen tragisch, ein bisschen grotesk, ein bisschen realistisch, ein bisschen Fisch, ein bisschen Fleisch, mit langen Szenen, die im Nichts enden, aber „ihre Momente“ haben, mit Komik, die an fehlendem Timing scheitert aber einem doch ab und zu ein Schmunzeln wegen der ganz hübschen Idee entlockt und natürlich mit gefälliger Kapitalismus- und Selbstoptimierungskritik, die hier einen etwas brackigen Beigeschmack von „Frauen in Führungspositionen sind einsam und gestört“ hat. Dazu eine Story, die auf einer tollen Idee beruht, an die der Film dann selbst nicht richtig glaubt oder die er nicht zu fassen kriegt. Ganz nett, wie gesagt, sehr deutsch, auch in dem Bemühen es nicht zu sein, aber doch, doch ganz nett, wenn man sich nur nicht das Geld für einen Editor gespart hätte, der das ganze um zwei Drittel hätte kürzen können, ohne das irgendwas verloren gegangen wäre, aber ansonsten wirklich gar nicht mal so schlecht, zumal man ja immer schon glücklich ist, wenn nicht die ganzen beknackten Schranzen mitspielen, die in jedem deutschen Film mitspielen. Wie gesagt, ganz nett, der Toni Erdmann. Weil aber „ganz nett“ ein Todesurteil für einen Film mit Anspruch ist, bemühte man sich in der letzten halben Stunde des Films erfolgreich, das Ruder herumzureißen und einen richtig miesen Film daraus zu machen.
(Okay, wenn das recyclete Batterien sind, ist olle Erdmann ein guter Film.)
Man kann vielleicht noch sagen, dass der Film über weite Strecken wie das Leben ist: ohne Pointen, ohne Spannung, ohne Sinn für Timing und immer ein bisschen peinlich. Aber da hätte ich die zwei Stunden auch einfach vor die Tür gehen können.
Ich habe die große Hoffnung, dass der Stoff noch nach egal wohin verkauft und noch einmal (mit komplett neuem Drehbuch) verfilmt wird.
Ascheland
Zum Ausgleich bin ich durch Zufall auf ein sehr gutes Buch gestoßen. Wobei der Zufall in Wirklichkeit der „Kunden die X kauften, kauften auch Y“-Algorithmus von Amazon war. Ich habe mich wirklich das allererste Mal davon beeinflussen lassen, na gut, dass elfundfünfzigtse Mal, aber immerhin habe ich mir dort nur ein paar Rezensionen durchgelesen und das Buch dann wie immer als epub beim Landbuchhändler gekauft (Hashtag Ätschebätsche).
(Prä-Apokalypse: Wenn die Sofas Trauer tragen)
Ascheland klang nach echtem Trash: Die Geschichte eines Mannes, der nach der obligatorischen Apokalypse durch ein zerstörtes entvölkertes Deutschland wandert und überall für große Aufregung sorgt, da er der letzte zeugungsfähige Mann ist und allerorten gegen ein bisschen Essen und eine Nacht am Feuer junge Frauen befruchtet. Da ich mich selbst zum illustren Kreis der Verfasser deutscher Postapokalypsen-Trash-Romane, zählen darf (wobei es sich bei meinem Worstseller Das Paradies am Rande der Stadt selbstverständlich um anspruchsvollen Edel-Trash für Damen und Herren mit Anspruch handelt), verfolge ich gelegentlich, was sich sonst noch so in diesem Bereich tut, immer in der heimlichen Hoffnung, nach der Lektüre entrüstet schnauben und „so’n Scheiß kaufen die Leute also“ brummen zu können. Das hat diesmal so gar nicht funktioniert.
(Prä-Apokalypse: Beim Arzt liegt das neue Tod-Magazin aus.)
Ascheland ist sehr sehr schön. Das ist eine komische Aussage über einen dystopischen Roman, aber manchmal passt das (Children of men beispielsweise war ein schöner dystopischer Film). Ascheland ist langsam, melancholisch, manchmal fast poetisch und voller … vielleicht nicht Liebe, aber doch Mitgefühl für die Menschen, diese schrecklichen, unschuldigen Monster. Ein Buch über Kinder. Ein Buch über die Zukunt und damit über die Gegenwart. Und trotz aller Poesie und obwohl es wenig Action und null Zombies gibt, sehr sehr spannend. Ziemlich genau das Gegenteil von Walking Dead etc. (wozu ich eines Tages, hoffentlich noch vor der Apokalypse, spätestens aber eine Woche danach noch mal extra etwas schreiben werde, versprochen!).
(Prä-Apokalypse: Alles halb tot!)
Zugabe (der eine oder andere hat’s vielleicht schon bei Facebook gelesen):
Lang lebe das Zementwerk Berlin!
Man soll sich über die kleinen Dinge freuen. Manchmal gelingt es mir. Obwohl. So klein war das Ding gar nicht: Ich hab mich heute über einen Betonmischfahrzeug gefreut. Eigentlich habe ich mich über den Firmennamen auf der Betonmischtrommel gefreut: „Zementwerk Berlin“ – schlicht, informativ, ohne eitles Wortgeklingel, das kreativ oder nach einem weltumspannenden Unternehmen klingen soll oder gar – Ogottogott! – nach einer Philosophie (Unternehmen haben ja heutzutage alle eine Philosophie, und wenn Leichen tatsächlich in ihren Gräbern rotieren könnten, ließen sich aus Aristoteles, Kant und Co. prima Vortriebswerkszeuge für den Bergbau fertigen) . Kein „International Concrete Solutions“, kein „Zemento – ein Unternehmen der Schlibrowski Gruppe“ oder gar „Deutsche Beton“ (habe ich jemals erwähnt, dass „Deutsche Pop“ der albernste Name für irgendwas überhaupt ever der Welt ist?), kein „Wir leben Beton“ oder „Zement neu denken“. Das Logo zeugt ebenfalls von Geschmack, ehrlichem Kommunikationswillen und Bescheidenheit: Ein großes Z und ein Berliner Bär, alles andere wäre Firlefanz.
Leute, kauft Zement vom Zementwerk Berlin! Lang lebe das Zementwerk Berlin, der Fels (oder Betonblock) in der Brandung des Zeitgeists! Hurra!
Ich fand den Trailer zu “Toni Erdmann” schon so fürchterlich, dass ich ihn nicht angesehen habe. Ich scheine nichts verpasst zu haben. :) Aber allgemein fand ich die Filme, die für den Oscar nominiert werden, oft nicht herausragend. (Und die Gewinner sind ja bekanntermaßen nicht die herausragendsten, sondern die, auf die sich der Großteil der Jury einigen konnte, also eher mittelgut.) Welcher deutsche Film mich überaus positiv überrascht hat, war “Mein Blind Date mit dem Leben”. Schön gemacht, bewegend, mal lustig, mal traurig, etwas Spannung, etwas Romantik, schönes Bild, gute Schauspieler, absolut sehenswert.