„Now I am become Death, the destroyer of worlds“ – Robert Oppenheimer zitierte 1965 in Bezug auf den ersten Atombombentest am 16.7.1945 aus dem Bhagavad Gita. Ziemlich pathetisch und (bis jetzt) glücklicherweise übertrieben. Destroyer of worlds ist auch der Titel der aktuellen Episode von Hardcore History, einem (englischsprachigen) Geschichts-Podcast von Dan Carlin. Wobei der Begriff Podcast vielleicht etwas in die Irre führt, wenn man an die in Deutschland so verbreiteten Talk-Podcasts denkt. Es sind Hörbücher. Die +ersten Folgen von Hardcore History waren noch unter einer Stunde lang, doch in den letzten Jahren ist Dan Carlin zu mehrteiligen Features mit einer Gesamtlänge von manchmal weit über 20 Stunden übergegangen. Zwischendurch schiebt er einteilige, sogenannte „Blitz“-Episoden ein, die dann nur irgendwas zwischen drei und sechs Stunden dauern.
(Die Fotos haben wie so oft nichts mit dem Text zu tun, stammen aus Amsterdam und aus meiner neuen Vollformatkamera)
Seit ich die ersten Folgen hörte, bin ich Fan und empfehle die Sendungen aus vollem Herzen. Einsteigen könnte man zum Beispiel mit Prophets of Doom, einer lumpige 4:13h langen Sendung über die Wiedertäufer von Münster (was bei Carlin immer ein bisschen wie „Monster“ klingt), einem tiefen Einblick in religiösen Wahn und besonders im Reformationsjahr sehr interessant. Wer viel Zeit und starke Nerven hat, kann sich an die fünf Teile von Blueprint for Armageddon wagen, eine oft bis an die Grenzen des Erträglichen gehende, extrem fesselnde und umfassende Serie über den 1. Weltkrieg. Wie man an den Titeln erkennt, teilt Carlin Oppenheimers Hang zum Pathos und zum Apokalyptischen, die Themen, die er behandelt, rechtfertigen dies aber allemal – Hardcore History eben.
Destroyer of worlds handelt von Atomwaffen und der Frage, ob die Menschheit in der Lage ist, auf Dauer mit der Möglichkeit, sich selbst auszulöschen, umzugehen. Er betrachtet – natürlich – die Geschichte der Atomwaffen, ihren Einsatz bzw. dessen Ausbleiben und immer wieder auch die Frage, wie sicher wir uns fühlen können, mit 15.000 einsatzbereiten Nuklearsprengköpfe weltweit. Seine Antwort ist klar.
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Seltsamerweise scheint das Thema kaum jemanden besonders zu interessieren. Ich weiß nicht, ob das Verdrängung ist, oder ob Atomkriegsangst einfach so 80er ist. Auf den ersten Blick scheint es ja auch, als sei das Thema gegessen. Niemand wird ernsthaft annehmen, dass die USA oder Russland einen Atomkrieg gegen den jeweils anderen beginnen wollen, die Vorstellung ist absurd. Man sorgt sich vielleicht um die nordkoreanischen Bomben, vielleicht auch um die in Indien und Pakistan oder befürchtet Nuklearterrorismus, aber einen weltweiten atomaren Konflikt mit hunderten Millionen Toten innerhalb einer Stunde, mit globalem Fallout und einem nuklearen Winter? 2017? 2020? 2030? Undenkbar!
Niemand will einen Atomkrieg. Aber das Problem ist, dass niemand ihn wollen muss. Ein paar Missverständnisse, eine Fehlkommunikation und ein schlechtes Timing können unter Umständen reichen. Bereits einige Male schrammte die Welt knapp an der Katastrophe vorbei, unter anderem 1995, Jahre nach Ende des Kalten Krieges, als die Welt ein paar Minuten lang von Boris Jelzins (Boris Jelzins!) kühlem Kopf abhing. (Norwegian rocket incident – hier bei Wikipedia.de)
Noch viel beängstigender finde ich die Möglichkeit, dass eine Situation außer Kontrolle gerät, die über mehrere Stufen schließlich zum absolut Äußersten führt. In Syrien kann es jederzeit zu direkten Konfrontationen zwischen NATO und Russland kommen, die brüchige Waffenruhe in der Ukraine kann jederzeit wieder in offenen Krieg münden und wer weiß wo und wann das nächste Feuer aufflammt. Im Nahen Osten, im Fernen Osten, in Osteuropa. Gerade hat das autoritär regierte NATO-Mitglied Türkei angekündigt, Truppen in das mit dem Iran befreundete Quatar zu entsenden, das vom NATO-Verbündeten Saudi-Arabien wegen Terrorismusunterstützung isoliert wird, während gleichzeitig die Spannungen zwischen dem Russland verbündeten Iran und Saudi-Arabien eskalieren. Und derartige Krisen brechen derzeit vierteljährlich aus.
Dan Carlin widmet sich ausführlich der Kuba-Krise. 1962 stand die Welt am Abgrund. Nicht, weil jemand ernsthaft vorhatte, einen Atomkrieg zu beginnen, sondern auf Grund eines machtpolitischen Pokerspiels, dass vollkommen aus dem Ruder lief und dessen Eigendynamik beide Seite an einen Punkt trieb, wo der Dritte Weltkrieg ihnen beinahe unausweichlich schien. Und genauso eine nicht mehr überschaubare, nicht mehr beherrschbare Lawine von Ereignissen und Entscheidungen kann jederzeit aufs Neue ins Rollen kommen. 1962 ging alles gut aus. Ich will mir nicht ausmalen, wie die Kuba-Sache ausgegangen wäre, wenn statt eines Kennedy und eines Chrustchow ein Trump und ein Putin an den Knöpfen gesessen hätten. Hätte Trump den Arsch in der Hose, sich gegen gegen den Rat der gesamten Militärführung zu stellen, wissend, dass die ihn als als Schwächling und Verräter ansehen? Würde Putin einen Deal akzeptieren (und öffentlich verkünden), der ihn vor der gesamten Welt als Verlierer, als denjenigen, der beim Hasenfußrennen verloren hat, dastehen ließe?
Es sind zwei Menschen, die das Schicksal der ganzen Menschheit in den Händen halten. Eine Verantwortung, die man auch dem allerklügsten, allerstärksten Menschen nicht anvertrauen sollte.
Man hört manchmal das Argument, dass der Kapitalismus die heutige Welt viel sicherer gemacht habe, da die Mächtigen den Frieden wollen, um ungestört Geschäfte machen zu können. Dabei wird übersehen, dass Nationen und Armeen nicht von irgendwelchen Google-Gründern geführt werden, sondern von Militärs und Menschen mit absolutem Willen zur Macht, die vielleicht nicht die ganze Erde in die Luft jagen wollen, aber im Zweifelsfall lieber das tun als verlieren würden. Auch 1962 hatte kein amerikanischer Geschäftsmann Interesse am Weltuntergang, trotzdem lagen die Pläne bereit und ihre Ausführung war bereits terminiert.
Ich habe keine Ahnung wie groß die Gefahr eines Atomkriegs ist. In den nächsten 5 Jahren, den nächsten 10, den nächsten 50. Aber sie ist definitiv größer als Null, und wenn man bedenkt, was hier auf dem Spiel steht, müssten wir eigentlich alle vor Angst verrückt werden.
Bleibt die Frage, welchen Sinn das hätte. Vielleicht ist Verdrängung das einzig Richtige und Gesunde. Wir haben keinerlei Einfluss. Wir sind alle Geiseln. Am liebsten würde ich es selbst alles vergessen. Als Kind hatte ich Angst vor dem Krieg, nicht so auf die eher akademische Art wie jetzt, sondern echte, körperlich fühlbare Angst. Wem hat das genutzt? Soll man das der nächsten Generation auch zumuten? Nur weil es Grund dazu gibt?
Die Friedensbewegung der 60er bis 80er Jahre hatte es verhältnismäßig gut, weil die Leute glaube konnten, man bräuchte nur den kalten Krieg beenden, um die Gefahr eines heißen zu bannen. Wär schön jewesen.
So, für eine Podcast-Empfehlung ist das ein ziemlich langer und düsterer Beitrag geworden, darum zum Schluss noch mal mein Tip und ein Link: Dan Carlins Harcore History. Für Podcastempfehlungen, insbesondere zu Wissenschafts-, Geschichts- und Wirtschaftsthemen bin ich immer dankbar. Noch ein Tip zu Dan Carlin: Fangt besser mit den neueren, langen Folgen an, die alten sind oft ein wenig zu hemdsärmelig, haben alberne Soundeffekte und sein Erzählstil ist sehr merkwürdig.
“Soll man Angst vor dem Atomkrieg haben? Nur weil es Grund dazu gibt?” – Hat auch irgendwie eine gewisse Komik.
Die Leute haben sowieso meistens Angst vor den falschen Dingen. Seit Jahren sind die Nachrichten voll von Terror, Terror, Terror, aber es muss nur mal jemand die Brandschutzbestimmungen missachten, und schon sterben mehr Menschen als in den Terrorattacken (in England) davor (was natürlich jetzt auch nicht missverstanden werden sollte!). Und das ist immer noch gar nichts gegen einen möglichen Krieg…
Vielen Dank für die Artikel in Deinem Blog, die ich immer mit Gewinn lese. Vielleicht trittst Du ja auch mal wieder bei uns in Westdeutschland auf.