In einem Monat fliegen Dan, Jochen und ich auf Einladung des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Institutes nach Shanghai. Wir werden einige Lesungen haben – auf Deutsch und mit eingeblendeten oder vorgetragenen Übersetzungen; wenn alles gut geht, gibt es auch zwei Kloß-und-Spinne-Filme mit chinesischen Untertiteln – und ich werde danach noch etwas länger bleiben und mir mal das Land und die Leute angucken. Zumindest ein klitzeklitzekleines Fitzelchen und den einen oder anderen Leut, denn China ist riesengroß und es leben recht viele Menschen dort, auch wenn man Tibet und Taiwan nicht mitzählt …
Ich freue mich seit Monaten auf diese Reise. China stand immer sehr weit oben auf der Liste der Länder, die ich gerne besuchen würde. Die Einladung war für mich ein … hm, “Gottesgeschenk” hätte ich fast geschrieben, aber das wäre doch ein bisschen zu dick aufgetragen … jedenfalls habe ich mich wie blöde gefreut.
Trotzdem gibt es natürlich einen kleinen Störenfried, einen Gedanken, der in meinem Kopf hin- und herhüpft, ab und zu ein bisschen rumkrakeelt, sich aber meist versteckt hält, damit ich ihn nicht erwische und aus meinem Hirn ausweise. Er heißt: “Willst Du wirklich in ein Land fahren, in dem Blogger ins Gefängnis gesteckt werden, in dem Millionen Bürger zwangsumgesiedelt und Tausende jedes Jahr hingerichtet werden?”
Um es kurz zu machen: Ja, ich will. Ich kann nicht anders.
Ich könnte jetzt auf Größenwahn schalten und irgendwas davon faseln, wie wichtig der kulturelle Austausch für die Demokratisierung Chinas sei und dass ich meinen Beitrag dazu leisten wolle, aber damit würde ich mich nur lächerlich machen. Ich könnte sagen, dass ich mir vor Ort ein Bild machen will, um dann im Schnipselfriedhof die Menschheit darüber in Kenntnis zu setzen, was wirklich Sache ist. Auch Schwachsinn. Tatsache ist: Ich bin einfach verdammt neugierig. Und genausowenig wie mein Besuch die Lage der chinesischen (oder gar tibetischen) Bevölkerung verbessern wird, wird er sie verschlechtern – es ist schlicht egal, ob ich da bin oder nicht. Klar … wenn alle das Land boykottieren würden, dann würde sich schon etwas ändern (wahrscheinlich würde das Regime wieder richtig verhärten), aber wer auch nur ein Produkt “Made in China” besitzt, der soll mich bloß in Ruhe lassen.
Ich weiß nicht, wie man mit China umgehen soll. Oft denke ich, dass man China darin unterstützen muss, sich mit kleinen, klitzekleinen Schritten zu verändern (“kritischer Dialog” und so), dass dieser langsame Weg besser ist für China und den Rest der Welt als ein radikaler Bruch wie in der Sowjetunion, dass man die Fortschritte sehen müsse (Zwischenruf des herumhüpfenden Gedankens: “Welche Fortschritte? Dass sie jetzt mit Giftspritze hinrichten?”). Angesichts der Menschen, die jetzt in China wegen kritischer Äßerungen im Gefängnis sitzen oder die in diesem Augenblick nach einem hanebüchenen Verfahren zum Hinrichtungsfahrzeug geführt werden, erscheint das zynisch und kaltherzig, aber was wäre die Alternative?
Keine Ahnung. Vielleicht ist es ja auch garnicht meine Aufgabe. Ich freue mich auf die Reise.
(Volker Strübing)
glückwunsch! und: zumindest kannst du deinen lesern erklären, wie china geht. oder einem oder zwei chinesen europa erklären. das ist doch schon mal was.
Ich hätte letzte Woche mit der deutschen autorenfußballmannschaft nach Saudi-Arabien fahren können. Ich habe mich unter anderen aus ähnlichen Gedanken heraus dagegen entschieden. Dann kamen die Kollegen zurück, brachten Geschichten mit, komische, schreckliche, bestätigende, relativierende.In jedem Fall viele. Ich hab mich über meine Entscheidung geärgert.
Fahr hin.
Wie wärs mit einem Kloß und Spinne zum Thema nach der Reise und am Besten auch mit chinesischen Untertiteln. Irgendwann werden sie YouTube vielleicht ja mal wieder aufmachen? Ansonsten gibt es ja noch die Klassiker wie “Schriftsteller trifft sich mit Systemopposition” oder so, aber das wäre vielleicht eher was für Günther Grass?
Außerdem erhoffe ich mir dann demnächst stylische T-Shirts auf denen chinesische Schriftzeichen stehen, die “Norbert erklärt die Welt” oder “Hihi, Du bist lustig!” bzw. “Nein, bin ich nicht” bedeuten. Ansonsten steht da doch immer nur sowas wie “Glück und Segen” oder so, wie langweilig.
Der Gedanke in meinem Kopf sagt:
Wenn ich ein so toller Sportler wäre, dass ich bei Olympia dabei wär. Ich hätt’ ein schlechtes Gewissen wenn ich nicht jedes kleine Interview, jede Siegesrede usw… für Kritik nutzen würde. Sowas “schadet” China weitaus mehr als jeder Boykott. Von Olympia, Chinesischen Produkten, der Reise dahin oder wasweißichwasnoch.
ähnliche überlegungen zum fast genau gleichen thema gibts grad bei spreeblick:
http://www.spreeblick.com/2008/03/17/minderheitenpolitik-in-china-die-uiguren/
-selbstverständlich musste da hinfahren. was denn sonst?
neulich zufällig tagesschau geguckt, mache ich sonst ganz bewußt nicht. wie dort ein beitrag über chinesisches eingreifen in tibet aus bildern ohne quellenangaben oder aus “dem internet” zusammengebastelt wird, ist skandalös manipulativ. der betrachter sieht bilder von leichen und nimmt sie als beweisbilder, obwohl sogar gesagt wird, daß man selbst nicht weiß, ob die bilder echt sind. ich halte die nachrichtenpräsentation der tagesschau für nicht vertrauenswürdiger als die der aktuellen kamera. man sehe sich mal an, wie damals im westen über die ddr berichtet wurde. wie nah waren denn die kameras der ard aus unserer sicht an unserem leben? wann waren die überhaupt mal da? und hat man sich dann vor ihnen normal benommen? es zählt nur der augenschein, peter handke hat völlig recht. deshalb muß man überall hinfahren. solange man nicht hinterher scholl-latour-mäßig behauptet, alles zu durchschaut zu haben.
Wie, die Vergiften inzwischen ihre Leute? Vielleicht sollte ich meine Meinung zu China doch überdenken…^^
Hey Volker, Du musst auf jeden Fall fahren. Bin seit 3 Jahren regelmäßig dort und dieses Jahr noch viel öfter, da ich im Sommer in Beijing arbeiten werde. Bin nach wie vor jedes Mal geflashed von den Eindrücken und der aktuelle Stress lässt auch bei mir eine Menge Fragen offen. Aber die kleinen Schritte und der Dialog mit der Welt wird es bringen (auch wenn der sich beim allgemeinen English-Verständnis derzeit recht schwierig gestaltet).
Deine Blog-Seite musst Du dort nicht aufrufen, die ist gesperrt. Nicht persönlich nehmen, liegt sicher am WordPress.
…Grüsse von Alex – seit ein paar Wochen stiller Mitleser (Ex-D*tec, you remember?)
Natürlich muss ich da hinfahren! Nein, nein, ein Boykott stand nie zur Debatte – großes Aufatmen im Nationalen Volkskongress – aber es gibt halt doch einen gewissen Rechtfertigungsdruck mir selbst und meinem Umfeld gegenüber. Insbesondere jetzt wo allerorten von Olympiaboykott die Rede ist. (Was meiner Meinung nach die größte Schwachsinnsidee überhaupt ist.)
Hallo Jochen, egal, wie die bei der Tagesschau rumschlampern oder sogar bewusst manipulieren, ich glaube nicht, dass das das selbe ist, wie die schreckliche Jubelpropaganda der Aktuellen Kamera. Und wenn die Tagesschau so manipulativ wie die AK sein sollte, dann muss man ihr zumindest zugestehen, dass sie das auf viel clevere Weise ist.
Hallo Alex, klar erinnere ich mich! Viele Grüße auch an Dich nach wohin auch immer!
Olympiaboykott – 1936 hat auch niemand die Olympischen Spiele in Berlin boykottiert, obwohl der Grund dort auch mehr als überdeutlich bestanden hätte. So viel dazu. Klar ist es schlimm was zur Zeit “dort unten” vor sich geht aber ich denke man sollte sich das mit eigenen Augen ansehen, wie man es selber empfindet, die Spannung und Stimmung im Land und so und sich dann erst ein entsprechendes Urteil bilden anstatt von ominösen Medienagenturen aufbereitete Schreckensmeldungen als gegeben anzunehmen. Alleine das wäre schon ein Grund dort hinzufahren. Es wäre falsch sich wegen den herrschenden Zuständen in China schuldig zu fühlen nur weil man das Land besuchen möchte. Ich meine, du hast ja nichts mit dem Regime da unten zu tun und mit der miesen Lage der Menschen. Leute die 2007 nach Thailand geflogen sind, haben sich sicher auch nur zu einem sehr geringen Teil über die unmenschlichen Umstände einer Militärdiktatur gemacht, stattdessen haben sie einfach die Zeit genossen und die Sonne auf den Arsch scheinen lassen. Und genau das solltest du machen: Die Möglichkeit nutzen und dort hin fahren bzw. fliegen. Klar sind die Leute unter dem Regime echt beschissen (eigentlich gibt es kein Adjektiv dass die Situation beschreibt) dran und klar darf man mit den Leuten die unter diesen Umständen vegetieren müssen Mitleid haben, aber schuldig für ihre Situation ist man in aller Konsequenz nicht.
Ja natürlich hinfahren!
(Und gefälligst Klappe halten, wenn andere in die USA fahren und sich das ganze dumme “aber der böse Irakkrieg”-Gewäsch sparen, aber das gilt jetzt eher für andere als für Dich.)
Viele Grüße,
Heiko
(Mensch, was es da an spannenden Reptilien gibt! Eigentlich eine Schande, Leute wie Euch da runter fahren zu lassen, die mit den wesentlichen Dingen ohnehin nichts anzufangen wissen.)
Servus Volker,
meine Meinung zu China und Olympia und Boykott und Tibet und so weiter kennst du. Ich wünsche dir viel Spaß da “drüben” und eine Menge Impressionen, die du dann bestimmt in eine unbestimmte Anzahl von Texten widergeben wirst.
Darauf freue ich mich schon …
xīn xiǎng shì chéng und yīlù shùnfēng
Der Tobi
PS: Ich habe ein neues Lieblingsbuch … (kleiner Insider)
;o)
Transrapid fahren ist nur halb so spannend, wie alle sagen.
Und gebloggt hab ich von dort durch emails an meinen Bruder, der das das online gestellt hat.
Du hast ganz recht – ob Du fährst oder nicht macht keinen Unterschied für all das Unrecht und die Unterdrückten. Du wirst auch keinem Chinesen erklären können, daß Du nicht gutfindest, was in seinem Land geschieht. Du wirst Dir kein Bild machen können über Unterdrückung, denn Du bist in einer Großstadt, die für chinesische Verhältnisse schon immer sehr westlich orientiert war (manchmal könnte man fast das Gefühl haben, durch Paris zu spazieren) und damit vom Rest Chinas hundertmal so weit entfernt ist wie der Kudamm vom niederbayrischen Dorf.
Aber Du wirst soviel unglaubliche Dinge sehen und erleben, daß das schon reicht für eine ordentliche visuelle Überfütterung. Den Rest machste dann einfach nächstes Mal.
Viel Spaß!
PS: Was nicht schaden könnte: Magentropfen mitnehmen – jedenfalls wenn Du nicht nur im Hotel essen willst…
Moin Volker! Glückwunsch zur Einladung nach Shanghai. Ich war letztes Jahr im Juni dort. Ist ganz faszinierend. Aber mich persönlich hat die Stadt schnell genervt. Nicht weil sie voll ist oder so – diese Bilder Typ Ameisenhaufengewimmel, die sie immer im Fernsehen bringen, wenn irgendwas im Zusammenhang mit asiatischen Metropolen berichtet wird, treffen höchstens auf die Einkaufsmeile zu – sondern weil sie stadtteilweise auch ziemlich fad ist. Ewig Protzbauten glänzender und weniger glänzender Hochhäuser und dazwischen die viel niedrigeren Reste historischer und anonymer älterer Stadtteile. Und weil überall Verkäufer mit so Krams (Trend sind gerade so Blinke-Skate-Rollen für zum-unter-die-Schuhe-machen-und-losrollen) rumlaufen und ihn dir massenweise andrehen wollen; die können extrem nerven. Interessant sind die fast kitschige Altstadt, der Stadtpark daneben, in dem nachts Leute auf den Plätzen tanzen, das (abends proppevolle) Bund-Ufer und der bollerige Funkturm, zu dem man vom Bund-Ufer aus mit einer total albernen Erlebnis-Lightshow-U-Bahn fahren kann.
Solltest du die Möglichkeit haben, schau dir auch Hangzhou an. Da gibt es ganz viel zu sehen. Alles aufzählen mach ich jetzt aber nicht.
china wird sich reformieren muessen.
internet, globalisierung, etc zwingen das land dazu.
klar, sind es bis jetzt nur kleine schritte gewesen. aber veraenderungen mit kleinen schritten sind dauerhaft und setzen eine entwicklung in den gang.
der schritt sich zu oeffen und die olympia auszutragen.
der schritt bei der exekution der todesstrafe eine giftspritze einzusetzen
etc
gehen gott sei dank in die richtige richtung, auch wenn noch viele benoetigt werden um das “ziel” zu erreichen!
http://blr-news.blogspot.com/2009/06/die-todesstrafe-in-china-wird-humaner.html