Weblog & Podcast von Volker Strübing

Lieber Michael,

Datum: 25.10.07
Kategorien: Sonst so

natürlich ist es jetzt zu spät Dir zu schreiben. Gestern in aller Frühe bist Du gestorben. Unser Hoffen und Dein Kampf waren vergebens – nicht einmal nach Berlin hast Du es mehr geschafft. Nur Deine Leiche wird heimkehren.

Leiche. Was für ein merkwürdiges Wort. Leichen gibt’s nur in Krimis oder schlimmstenfalls in Nachrichtensendungen, aber doch nicht in meinem Bekanntenkreis. (Nebenbei: Warum heißt es eigentlich immer „deine“ oder „seine Leiche“, als sei sie der letzte Besitz und die letzte Verantwortung des Gestorbenen. „Is doch seine Leiche, soll er sich gefälligst selbst drum kümmern, ist schließlich nicht meine Leiche ….“ )

Vielleicht sollte ich keine Witze machen in dieser Situation. Aber bestimmt wäre es Dir recht, oder? Ich hab Dich eigentlich immer nur mit einem Lachen oder mindestens einem verschmitzten oder ironischen Lächeln auf dem Gesicht gesehen. Bestimmt wünschst Du Dir, dass Deine Beerdigung eine große Party wird, bei der wir uns die schönsten und wildesten Episonden aus Deinem Leben erzählen uns fürchterlich betrinken und dann Gebete gegen die Arbeit skandierend durch die Straßen ziehen. Das würde viel besser zu Dir passen als eine stumme Feier, als salbungsvolle Reden und Gesichter, die versteinert sind vor Trauer bzw. weil es auf einer Beerdigung nun einmal so erwartet wird. Hab ich Dir mal erzählt, dass ich auf dem Begräbnis meines Opas einem der gekauften Sargträger, die vor gespielter Trauer und Würde kaum von der Stelle kamen, in die Hacken gelascht bin? Ich konnte einfach nicht so langsam laufen wie die; wahrscheinlich hatten sie das auf der Sargträgerschule gelernt. Mir ist nicht klar, warum man diesen letzten Gang so ausdehnen muss. Ich meine, okay, wenn man zum offenen Grab joggen würden, sähe das so aus, als könne man es nicht erwarten, den Dahingeschiedenen unter die Erde zu bringen, aber da muss es doch einen Mittelweg geben.
Auf ebendieser Beerdigung … ach nee, das schreib ich jetzt nicht hierhin. Schräge Sache jedenfalls, aber ich denke, meinem Opa wäre es Recht gewesen. Für absurde Geschichten war er immer zu haben.
Ich glaube, dass Du Dir eine fröhliche Beerdigung wünschen würdest.. Oder ist das bloß so ein Klischee? Vielleicht wäre es Dir lieber, wir würden alle weinen. Ich fürchte, das kriege ich nicht hin.
Ich kenne Dich seit 12 Jahren. Seit Monaten wusste ich von Deiner Krankheit. Seit einigen Tagen wusste ich, dass es unwiderruflich zu spät war für Dicht. Es waren eine anstrengende Tage für mich. Ich hatte eine Menge Auftritte, musste allen möglichen Krempel erledigen und … und überhaupt. Da blieb nicht viel Zeit, an Dich zu denken. Oder, um ehrlich zu sein, da fiel es mir leicht, alle Gedanken an Dich, an den Tod, an Deinen Tod beiseite zu schieben.
Es ging wohl einigen von uns so. Einmal saß ich mit ein paar anderen beisammen, als das Gespräch auf Dich kam und wir erfuhren, wie schlimm es steht. Wir schüttelten die Köpfe, seufzten, zogen die Luft zwischen den Zähnen ein, murmelten „Oh Mann“ und schwiegen dann. Schließlich sagte einer verschämt: „Entschuldigung, es tut mir sehr leid … ich weiß, dass das jetzt ein doofer Zeitpunkt ist, wir müssen noch was Organisatorisches bereden“. Und wir nickten verstehend, seufzten nocheinmal und dann wandten wir uns wieder anderen Themen zu, wobei wir uns große Mühe gaben, unsere Erleichterung zu verbergen.
Hättest Du das begreifen können, wenn Du uns zugesehen hättest? Aus Deiner Sicht steht immerhin der Untergang, die komplette Auslöschung des Universums unmittelbar bevor und die Menschen tuen so, als gäbe es ein Morgen …
Jochen Schmidt meinte einmal, er könne sich nicht vorstellen, dass das Universum auch nach seinem Tod weiterexistiert und daher wird es das auch nicht tun. Bei mir ist es anders. Ich bin sicher, dass das Universum mich überdauern wird – und ich nehme ihm das verdammt übel!

Eines Tages werde ich auch tot sein und Leute werden auf Partys so Sachen sagen wie: „Was echt? Volker Strübing tot…. schlimm … hm … aber, ich denke er hätte gewollt, dass wir uns heute Abend amüsieren und auf ihn anstoßen, Prost!“

Hätt ich gar nicht gewollt! Die ganze Welt soll weinen, das ist ja wohl das mindeste … Aber was soll ich machen, dann bin ich ja tot und habe nichts mehr zu sagen, das einzige was ich dann noch habe, ist meine Leiche und um die kümmern sich professionelle Leichenkümmerer.

Wir waren uns nie besonders nahe, obwohl wir uns immer gefreut haben, einander zu sehen … und obwohl Du einmal sehr wichtig für mich gewesen bist – wenn auch mehr als … Institution, denn als Mensch … (hm, sorry, wenn das blöd klingt). Wir waren nie zu zweit ein Bier trinken. Komisch eigentlich. Nein, Freunde waren wir nicht. Kollegen. Ich weiß nicht, ob ich das bedauern oder froh darüber sein soll. Wärst Du mein Freund gewesen, hätte ich am Sterbebett Deine Hand halten müssen, dann hätte ich vor dem Gedanken an den Tod nicht einfach in den Alltag flüchten können. Aber es ist ja ohnehin nur eine Flucht auf Zeit. Bisher hat man sich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sehr löblich zurückgehalten, was das Sterben angeht.

Erinnerst du Dich an unser letztes Treffen? Ist vielleicht zwei Monate her, es war vor meinem Haus. Du warst unterwegs zu Deinem besten Freund; zu dem Mann, der die letzten Tage bei Dir am Sterbebett sitzen, Deine Hand halten und fast genauso leiden würde wie Du.
Ich war auf dem Weg zu LIDL. Wir haben uns gegrüßt, angelächelt und – weil wir in unterschiedliche Richtungen unterwegs waren – bedauernd mit den Schultern gezuckt und „Bis dann!“ gesagt. Ich war erleichtert. Was hätte ich Dir sagen sollen, was hätte ich fragen sollen, was hätte ich Dir wünschen sollen?
Vielleicht einfach: Schön, dass ich Dich kenne. Und viel Spaß wo immer Dich der letzte Weg hinführt – hey, Mann, von so ein bisschen Gesterbe lässt Du Dich doch nicht unterkriegen, oder?! Ich glaube, Du hättest gegrinst.

Gestern um 3.00 Uhr morgens starb Michael Stein, Mitbegründer der Reformbühne Heim & Welt und der Surfpoeten.

11 thoughts on “Lieber Michael,

  1. Es wäre schön, wenn sich mehr Leute hinsetzen könnten und so wie du ihre Gedanken zum Tod eines Bekannten formulieren könnten – ohne diese gräßliche Schere im Kopf: “Oh mein Gott, das darf ich doch nicht sagen!”

  2. Pingback: Philologisches Klo
  3. hut ab…..ich finde es unglaublich ehrlich was du schreibst…du fragst dich ob er es verstanden hätte, dass du dich nur oberflächlich mit seinem sterben beschäftigt hast…ich meine, dass du dich schön ablenken hast lassen.. für das, dass du dich doch als so unglaublich oberflächlich empfunden hast, bringst du aber ganz schön viele absolut menschliche gedanken aufs netz ;-) lg hispace

  4. Puuuhh, ein für wahr ungewöhnlicher Nachruf, der aber sehr ehrlich ist. Leider kannte ich Michael bis dato nicht, lerne ihn aber jetzt kennen, weil ich die Suchmaschinen heiß laufen lasse.
    So früh zu sterben ist der pure Wahnsinn. Ich hoffe er hatte bis zum letzten Atemzug gelebt und nichts versäumt!

  5. Lieber Micha,

    ich kann nicht mehr weinen. Könnte statt dessen schreien oder jemanden verprügeln, oder… Es wird nur langsam besser, ganz langsam. Aber Dein Sterben war so teuflischer Mist, dass ich eben auch froh bin, dass das enden kann. Jetzt bist Du unwiderruflich weg. Jetzt kann niemand Dich mehr “vor dem Bösen beschützen”.

    Haben wir alle gern gemacht, aber noch viel mehr hast Du uns beschützt, vor unserer betriebsbedingten Blindheit, unserer geliebten Ignoranz, unserem Stolz.

    Danke Dir und viele Küsse, Umarmungen und….

    Silvia

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