Weblog & Podcast von Volker Strübing

Was der Sirene der Gesang, ist dem toten Huhn der Duft

Datum: 14.01.11
Kategorien: Uncategorized

Ich habe es geschafft. Wieder einmal. Ich habe die Hände in den Jackentaschen vergraben, die Zähne zusammengebissen und mich darauf konzentriert, mit jedem dritten Schritt mit der Mitte des Fußes auf die Spalte zwischen zwei Gehwegplatten zu treten und so bin ich an ihr vorbeigekommen: Der Imbissbude “Gaumenschmaus – Die Frischgrillhähnchen”. Seit Sommer letzten Jahres mache ich Kieser-Training und immer auf dem Heimweg muss ich an ihr vorbei. Die ersten Wochen habe ich sicher eher zugenommen als meinem Körper mit dem Training etwas Gutes zu tun, denn ich hatte noch keine Abwehrmechanismen. Und geschafft und hungrig (ich gehe immer am frühen Nachmittag und habe bis dahin nur gefrühstückt), hatte ich den verführerischen Düften nichts entgegenzusetzen.

Ich liebe Broilergeruch; wenn es Wunderbäume mit Broilergeruch gäbe, würde ich doch noch die Fahrerlaubnis machen, denn dann hätte ich endlich einen Grund, mir ein Auto zu kaufen. Andererseits: Was wäre der Geruch, ohne dass man in die knusprige Haut beißt? Nur eine Qual, so wie für mich zweimal die Woche auf dem Weg nach Hause …

Das Problem am Broiler ist die große Enttäuschung, die er mit sich bringt – und hauptsächlioch aus diesem Grund lasse ich mich nur noch sehr selten verführen. Der Moment des größten Glücks ist der Einkauf, wenn man an der Theke steht, umnebelt und des Atems beraubt vom Duft verkokelnder Hühnerhaut, den Blick auf den sich langsam drehenden Reihen geköpfter, entfederter, ausgeweideter und schließlich gepfählter Hähnchen, all diese unglücklichen Tiere, deren schönster Tag der der Schlachtung und damit der Erlösung von einem schrecklichen Leben war und die nun darauf warten, einen Menschen, mich! glücklich zu machen – welches wird der freundliche Mann mit der Gaumenschmaus-Schürze für mich aussuchen?

Dann der restliche Weg nach Hause, der gut verpackte Broiler im Gepäckkorb des Fahrrades, die Vorfreude …

… und schließlich die Enttäuschung, wenn Haut, Schenkel und Flügel abgeknabbert sind, man nur noch einen Haufen langweiliges, trockenes, weißes Fleisch übrig hat, durch den man sich widerwillig hindurchkaut. Und dann läuft auch noch just in diesem Moment ein schrecklicher Bericht über Masssentierhaltung im Fernsehen und man kann nicht umschalten wegen der fettigen Finger. Hinterher ist man voll aber nicht satt und wünscht sich, man hätte an der Bude einfach den Gurkensalat gekauft, den sie als Beilage anbieten. Wenn Broiler eine Fernsehserie wäre dann “24” – man weiß, es ist nichts Gutes, aber man will sie trotzdem unbedingt sehen, die ersten Folgen jeder Staffel sind auch sehr spannend aber spätestestens ab Stunde 5 beginnt die Langeweile …

Ich gestehe, ich schreibe das nur, um mir selbst den Salat schmackhaft zu machen, den ich heute gekauft habe.

8 thoughts on “Was der Sirene der Gesang, ist dem toten Huhn der Duft

  1. ich behelfe mir bei dem trockenen weissen fleisch für gewöhnlich mit ketchup. dann gehts immernoch eine weile gut.

  2. “den Blick auf den sich langsam drehenden Reihen gepfählter, ausgeweideter, entfederter und schließlich geköpfter Hähnchen” – diese Reihenfolge ergäbe einen echten Horrorfraß

  3. Eigentlich ist die Haut ja auch gar nicht so knusprig und toll. Auf der Rückenseite, wo die Haut auf dem beschichteten Papier im Fahrradkorb lag, ist sie immer so durchgeweicht und wabbelig. Und dann all das trockene Weiße Flesch! Wer soll das denn essen? Oder hast du seit neustem eine Katze. Nee. Siehste. Also lass dir den Gurkensalt schmecken.

    … schöner Text übrigens!

  4. WHHHOOOOOOOOHHHHAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!! Dieser Text ist einen handfesten Hühnerritt wert – ehrlich.
    Lieber Volker Strübing, das ist wirklich Poetry (*hust* Literatur *hust*) vom Feinsten: Die Leser gieren nach dem Leckerbissen, alle Zeiger stehen auf “Konsumkritik, Nerdfood und Dioxin-Malaise” – und dann drehen Sie das Ding kurz mal eben auf links von Vegetarismus.
    Hut ab, tiefe Verbeugung, Ehrerbietung: Auf den Punkt. Grandios. (Selber habe ich alle Bücher – ich fange an zu verschenken.)

  5. […] die Zähne zusammengebissen […] mit der Mitte des Fußes auf die Spalte zwischen zwei Gehwegplatten […] so bin ich an ihr vorbeigekommen […] wenn es Wunderbäume mit Broilergeruch gäbe, würde ich doch noch die Fahrerlaubnis machen, denn dann hätte ich endlich einen Grund, mir ein Auto zu kaufen […]

    Nun ja, mit einem Auto könnte man aber dem Grillimbiss und seinem verführerischem Geruch ebenso entgehen, würde dabei aber weniger Fett verbrennen und ebenso an Gewicht zulegen.

    Mit Broilerduftbaum würde man vermutlich auch noch, vor Hunger, trotzdem am besagten Stand halten und sich zusätzlich dick fressen.

    Wieviel kosten eigentlich diese Plastiknasenklammern für Profischwimmer?

  6. Ketchup hilft bei dem weißen Fleisch tatsächlich. Ich vermute bei diesem Broilergeruchsding eine Verschwörung der Befugten zur Verwertung eigentlich ekliger Nahrungsmittel. Das ist wie mit den Quarkkeulchen. Immer denkt man: “Boah, wat riecht dat gut! Mhhhh Fanülle!”, aber dann sind die immer eklig und schmecken vor allem nach ranzigem Fett mit Puderzucker drauf.

  7. Das trockene weiße Brustfleisch kann man ja später in der Küche weiterverarbeiten, oder man isst es zuerst, wenn man noch den größten Hunger hat und die Geschmacksnerven noch nicht von der Würze abgestumpft sind. Die Haut zieh ich immer ab und esse sie zuletzt, durch die Vorfreude schmeckt der Rest auch gleich besser.

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