Ein längerer Aufenthalt fern von zuhaus lässt einen auch die eigene Heimat mit anderen Augen sehen. Mir ging es jedenfalls so, als ich letztes Wochenende das erste Mal nach mehr als zwei Monaten nach Berlin fuhr. Ich war wirklich überrascht, wie laut und wie hektisch mir alles vorkam. Und vor allem: wie schrabbelig. Des weiteren war ich überrascht, dass ich so überrascht war; ich kenne das doch alles! Die Baustellen, den Müll, die dicken Schichten aus zerfetzten Plakaten oder „Hund entlaufen/Wohnung gesucht/Erleuchtung garantiert“-Zetteln an Häuserwänden und Straßenlaternen. Ein Bekannter antwortete einmal auf die Frage, was für ihn typisch Berlinerisch sei: „Die ‘Gehwegschäden’-Schilder“. Als Berliner nimmt man sie kaum noch wahr, eher würde einem ihr Fehlen auffallen.
(Berlin-Neulinge benötigen meist etwas Zeit und mehrere Stolperunfälle, bis sie aus mehreren halb überklebten Schildern das Wort “Gehwegschäden” zusammengesetzt haben.)
Ich glaube, Berliner Ampeln, Laternen und Straßenschilder werden schon ab Werk standardmäßig mit einem „Gehwegschäden“-Schild ausgeliefert, als Sonderausstattung kommt dann gerne noch der große Bruder „Straßenschäden“ dazu. Bei wirklich schlimmen Gehwegschäden schmeißt man zusätzlich noch einen rotweiß gestreiften Warnömmel ins Loch und fertig ist der Lack.
Das ist allemal billiger als die Behebung der Schäden, und ich frage mich ernsthaft, warum man nicht beim BER auch nach dieser Methode vorgegangen ist: Einfach ein paar Brandschutzmängel-, Gepäckrückgabeunterkapazitäts- und Rollbahnschädenschilder gedruckt und er hätte termingerecht eröffnet werden können!
Bayreuth scheint meine Schmutz- und Lärmtoleranz etwas gesenkt zu haben; ich hatte nicht erwartet, dass mir das so sehr auffallen würde, zumal ja Bayreuth auch keine klinisch-sterile Stadt ist und ich in Berlin nicht einmal in den berühmten Problembezirken unterwegs war, sondern nur im beschaulichen Pankow und der Yuppie-Hipster-Parallelgesellschaft Prenzlauer Berg.
Wenn ich sonst nach längerer Abwesenheit nach Berlin heimkehrte, kam ich meist aus Orten, gegen die Berlin eine Oase der Ruhe ist, in der alles perfekt funktioniert; ja, die Wahrnehmung der Heimatstadt variiert deutlich, je nachdem, ob man aus Bayreuth oder Beirut zurück kommt.
Ich glaube und hoffe aber nicht, dass ich jetzt dauerhaft für die Großstadt verdorben bin. Man ist ja sehr anpassungsfähig. So wie ich mich in Bayreuth doch recht schnell an das Glockenläuten der Stadtkirche und den morgendlichen Lieferverkehr in der Sophienstraße gewöhnt habe.
Am meisten schockiert hat mich in Berlin eigentlich das Verschwinden der Baustelle auf der Kreuzung Stargader / Greifenhagener Straße, der Ecke, an der auch eins meiner liebsten Schreib-Cafés. Diese Baustelle war doch höchsten zwei oder Jahre alt! Die einzige Erklärung ist, dass man sie abgebaut hat, um sie auf irgendeiner Tourismusmesse in Abu Dhabi oder so als ein Stück „echtes Berlin“ zu präsentieren.
Wenn ich im Juli zurückkomme, ist sie sicher wieder da. Es war doch auch eine Win-Win-Situation: Den Bauarbeitern ging die Arbeit sicher viel angenehmer von der Hand, wenn sie dabei einem faulen Kaffeehausliteraten die Ruhe rauben konnten, und ich hatte stets eine Ausrede zur Hand, wenn mir nichts eingefallen ist.