Weblog & Podcast von Volker Strübing

Rabenbaby (Vater sein dagegen … Teil 5)

Datum: 22.09.17
Kategorien: Best of Schnipselfriedhof, Vater sein dagegen ...

Okay, vielleicht war ich zu voreilig, als ich schrieb, dass das Vatersein überhaupt kein Problem sei, das bisschen Müdigkeit, das bisschen Gekümmere und Saubergemache und Liebgehabe etc.
Inzwischen bin ich auch durch einige der schattigeren Täler der Vaterschaft gewandert und musste feststellen …

(Der Vater meiner Tochter, ungefähr im Alter meiner Tochter)

… dass so ein Kind nicht nur immer schwerer wird, sondern es einem auch immer schwerer macht. Ich hatte doch eine ziemlich dicke rosa Brille auf, doch seit die Tochter nichts lieber tut, als mir die Brille vom Gesicht zu reißen (ein Exemplar zerschellte bereits auf dem Bürgersteig), sehe ich klarer. Darum nach der ganzen Fortpflanzungslobgehudelei heute auf dem Schnipselfriedhof:

Berliner Rabenbaby – Jetzt spricht der Vater!

So. Und jetzt weiß ich schon nicht mehr weiter. Den ersten Absatz habe ich gestern Morgen nach einer fast schlaflosen Nacht geschrieben, während ich vergangene Nacht wieder ein paar Stunden auf das Schlafkonto einzahlen konnte – nicht genug, um das Soll abzubauen, aber genug, um mit der Tochter, der Vaterschaft und der ganzen Welt … nein, soviel kann man gar nicht schlafen, um mit der ganzen bekloppten Welt versöhnt zu sein, aber ihr versteht schon.

Die Sonne scheint, die Tochter strahlt und das Gehirnareal, in dem ich die Minuspunkte gespeichert habe, wurde mit den neuen Geräuschen, die sie gerade erfunden hat („dädä!“, was soviel wie „Papa ist der Beste“ auf babysch heißt), überspielt.

Aber ich probiere es. Also …

Nein, mir fällt nichts ein. Ich schreib heute einfach ein paar schöne Sachen auf und warte auf einen regnerischen Tag, an dem ich sehr viel zu tun habe, aber zu nichts komme, weil die Tochter rundum bespaßt werden will (hach, was war sie doch pflegeleicht in den ersten Monaten, in der, ich sag mal: Raupenphase …) und sich keine 5 Minuten mit einer Sache zufriedengibt, bevor das Gequengel wieder los geht und an dem das Mittagessen einem Geschicklichkeitsspiel aus der Frühzeit der Computerspiele ähnelt, mit klassischer Löffelstruktur, schlecht austarierter Spielmechanik und hohem Frustrationspotential: Löffel 1, 2 und 3 sind noch ganz easy, aber ab Löffel 8 oder 9 steigt der Schwierigkeitsgrad exponentiell an, und irgendwann in den höheren Löffels muss ich den Brei auf immer komplizierteren Bahnen und mit immer seltsameren Geräuschen Richtung Ziel fliegen lassen, bis schließlich nur noch der Einsatz von Extrawaffen hilft – bewährt hat sich zum Beispiel meine inzwischen neugekaufte Brille: Wenn die Tochter auf dem Bügel rumkaut, was neben auf-dem-Handy-Rumkauen so ziemlich das einzige ist, was niemals langweilig wird, kann ich den einen oder anderen Happen an den „7 Guardians“ (vier oben, drei unten) vorbei ins Zielgebiet schummeln – aber am Ende siegt doch „Endgegni“, wie ich meine Tochter liebevoll nenne, …

… und der Boden in der Küche ist knöcheltief mit Dingen bedeckt, von denen ich gar nicht bemerkt habe, dass wir sie damit gefüttert habe, er ist jedoch nicht auf so künstlerisch wertvolle Weise bekleckert, wie an den guten Tagen, und dann hole ich sie aus dem Babystuhl und trage sie auf dem Arm zum Wickeltisch, während sie mir glühende Schaschlikspieße ins linke Ohr rammt – ach nein! sie schreit einfach nur mit einer Frequenz und Lautstärke, dass wir nach den G20-Krawallen überlegt haben, sie als „less lethal weapon“ zur Aufstandsbekämpfung zu vermieten, um das Elterngeld aufzubessern, und kaum habe ich die beinahe leere Windel gewechselt, setzt sie ihr Mount-Ätna-Gesicht auf und produziert … aber das geht jetzt vielleicht zu sehr in die Details … und wenn ich sie dann …

…. samt Kinderwagen die 4 Etagen nach unten getragen habe (der Fahrstuhl ist seit einem Monat kaputt und ratet mal, wer drin stand, als er kaputt ging) und sie plötzlich wieder gute Laune hat und ich Passanten aller Geschlechter, Alterstufen und Formen wie Fliegen verscheuchen muss, weil sie ihre verdörrten Seelen im sonnengleichen Lächeln meiner Tochter baden und an ihren Füßen und Wangen und Händchen tüddeln wollen, und wenn dann, wenn ich sie und den Kinderwagen und den hauptsächlich von ihr verschuldeten Riesen-Einkauf die vier Etagen wieder hochschleppe, das Geschrei wieder losgeht, und wenn dann, am Nachmittag eines solchen Tages,  endlich die Freundin die Tochter übernimmt, …

(Nein, das ist nicht die Freundin mit der Tochter, sondern der Vater mit seiner Oma, Mensch! Und übrigens: von wegen “Im Osten war alles grau”!)

… setze ich mich an meinen Schreibtisch und schreibe einen Text über die Schattenseiten des Vaterseins.

Falls ich das in den 10 Sekunden, bevor mein Kopf auf der Tastatur aufschlägt, schaffe.

Denn zu einem solchen Tag gehört natürlich auch eine vorausgegangene Nacht, in der ich je 3 mal „Mädchen von Piräus“, „Katjuscha“ und „These boots are made for walking“ gesungen, 5 mal „Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab“ vorgelesen, 10 mal die Sandmännchen-Spieluhr neu aufgezogen, und 20 mal zugeschaut habe, wie der Nuckel im Mund anfing, wie ein Schmetterling zu flattern (danke für dieses schöne Bild an Jochen Schmidt und sein großartiges Buch Zuckersand), wie die Pupillen nach oben rollten und die Lider herunterklappten, nur um im nächsten Moment all meine Hoffnungen auf baldigen Schlaf zerstieben zu sehen wie den Traumsand des Sandmännchens, wenn sie im letzten Moment die Augen weit aufriss, den Nuckel ausspuckte und mich breit angrinste oder mittels Schreien versuchte, das Jugendamt zu informieren, und ich über das Bestseller-Potential von „Weißt du eigentlich, wie fertig du mich machst?“ nachdachte und froh sein konnte, wenn ich irgendwann zwischen 3 und 4 ein halbes Stündchen schlafen konnte, mit einer Arschbacke über dem Fußboden, weil das Töchterchen mittels fortwährender Rotation um die eigene Achse  (Helikopter-Eltern!? Und wer spricht über Propeller-Babys?) 98% der Bettbreite für sich reklamiert hatte.

So, ich hab keine Ahnung, wie dieser Absatz anfing und ob ich ihn halbwegs sinnvoll zu Ende gebracht habe.
Selbst an guten Tagen wie heute, sollte ich mich nicht mit zu komplexen Sätzen und Sachverhalten überfordern.
Gestern Vormittag habe ich eine (zum Glück abgelehnte) Einreichung zum Darwin-Award gemacht, indem ich versuchte, mit einer Metallgabel ein feststeckendes Stück Brot aus einem eingeschalteten Toaster zu fischen – die Lichtshow war spektakulär und meine Hand hat noch Stunden später gekribbelt.

Mein eigentlich ziemlich cleverer Versuch, der Freundin zu erklären, dass ich einfach nur der Tochter die Gefahren der Elektrizität nach dem „show, don’t tell“-Prinzip veranschaulichen wollte, wurde durch den Umstand zunichte gemacht, dass die Tochter vor Begeisterung gequietscht und „häwäwä“ (babysch für „ich auch, ich auch“) rief.

Gute Nacht.

 

 

 

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