Weblog & Podcast von Volker Strübing

Notizen an der Schwelle zum chinesischen Zeitalter

Datum: 20.05.08
Kategorien: Schnipsel, Unterwegs

Schlafgemangel

Scheisse. Auf meine alten Tage fange ich mir jetzt auch noch einen Jetlag ein. Hatte schon die ersten Tage in China arge Schlafprobleme und jetzt geht das schon wieder los. Bin nach 3 Stunden aufgewacht und nach 4 aufgestanden, dabei war ich gestern schon wegen Uebermuedung auf Zombiemodus. Ich uebernehme daher auch ausdruecklich keine Verantwortung fuer das, was ich hier schreibe, hoffe aber, dass es nicht so schlimm wird. Nur so ein paar Notizen und erste Eindruecke nach meiner Rueckkehr. Tut mir leid wegen der fehlenden Umlaute. Sitze im Cafe, weil ich zuhause keinen Kaffee mehr hatte und tippe auf meinem chinesischen Laptop. Muss mir fuer den jetzt dringend eine deutsche Tastatur besorgen und herausfinden, ob und wie ich ein deutsches Sprach-Paket fuer ein chinesisches Windows Vista installieren kann.

Unpassend

Die Haeuser in Berlin und die ganze Stadt sind so unfassbar winzig verglichen mit Shanghai. Da gleichzeitig die Menschen und die Hunde viel groesser sind, wirkt alles hier vollkommen disproportioniert.

Ueberholen ohne Einzuholen

Praktisch alles ist in China besser als hier oder zumindest genauso gut. Sie haben besseres Essen (nein, das meine ich nicht), sie haben viel eindrucksvollere Neubauten, coolere und schnellere ICEs mit tollen Toiletten (extra Kabinen mit Pissbecken fuer Maenner!), bessere Chinesisch-Kenntnisse, mehr Universitaeten mit schoeneren Campuessen, staerkeren und ungebrocheneren Fortschrittsglauben, schoenere Haare (wenn sie sie nicht gerade komisch faerben oder verlocken oder wie immer das heissen mag, wenn man da Locken rein macht) und sie essen mit Staebchen, was zwar extrem unpraktisch, aber irgendwie …. eleganter ist und kulturvoller als das effiziente Wegschaufeln der Nahrung hierzulande. Und bessere Delphinstatuen haben sie auch. Bzw. ueberhaupt welche.

Bei ein paar Sachen haben wir noch die Nase vorn. Es folgt eine vollstaendige Liste*:
Kaffee, Wurst, Brot, Rechtsstaatlichkeit, buergerliche Freiheiten (noch), allgemeine Gesundheitsversorgung (noch), Ironie, alte Haeuser, alleine sein, Fussball, Lesebuehnen, Kaese, Deutschkenntnisse … ich glaube das war’s. Ergaenzungen bitte in den Kommentaren.

Wenn die Chinesen irgendwann mal aufhoeren, dem Westen nachzulaufen und ihn nachzumachen, dann werden wir bald die Rollen tauschen und dann werden wir sie nachahmen. Dann bieten die Schoenheitschirurgen in Europa das Wegoperieren der Lidfalte an und Nasenverkleinerungen und -verbreiterungen und eine Korrektur der Wangenknochen, damit wir asiatischer aussehen. Und die Rolexwerke werden diese ulkigen Uhren faelschen bei denen eine Maofigur im Sekundentakt mit dem Arm winkt.

Nuescht fuer’s Auge

Apropos: Die Menschen in Deutschland sind im Durchschnitt viel haesslicher als in China. Das liegt vor allem daran, dass sie mehr Zeit und Geld haben, um sich selbst zu verhaesslichen. Gestern zum Beispiel sah ich einen Mann, den ich genauso fasziniert bestaunt habe wie beispielsweise die Skorpione auf dem Markt von Qingdao (mit dem Unterschied, dass ich den Mann weder gefilmt noch gegessen habe). Der Mann war ein einziges Festival des schlechten Geschmacks. Atemberaubend. Ein vom Bodymissbuilding zur Karikatur eines Superhelden aufgeblaehter Koerper, langen Haare zu einem Zopf gebunden, eine Brille mit dickem, grellbunten Rahmen und schmalen viereckigen Glaesern, ein zu einem Muster gestutzter Backenbart, ein knallenges Shirt mit diversen funktionslosen Taeschchen und Knoepfen und Flicken besetzt, auf der weissen Jeans grossflaechige knallbunte Blumenmuster, die Fuesse steckten in haesslichen Schluepfern, Arme und Finger in einer ganzen Batterie von blitzenden Ringen. Wieviel Energie und Geld dieser Mann in sein Aeusseres investiert hat! Und mit welchem Ergebnis!
Abgesehen von solchen Extremen habe ich generell den Eindruck, dass die Leute hier mehr an sich rummachen und versuchen, sich durch Kleidung auszudruecken oder was weiss ich. Oft nicht gerade zu ihrem eigenen Vorteil. Und selbst wo es gut aussieht bleibt – zumindest fuer die von einer Asienreise frischgeputzten (wenn auch uebermuedeten) Augen – der Eindruck, dass das irgendwie nicht stimmt, dass das Image, welches die Kleidung vermittelt, nicht zu dem Menschen passt, der sie traegt. Ein Trottel mit Pornobrille ist in Wirklichkeit gar nicht cool, sondern einfach ein Trottel mit Pornobrille. Alles eine einzige Maskerade, ein 24-7-Fasching.
Es steht zu befuerchten, dass das mit steigendem Wohlstand auch in China immer staerker wird. In den Shoppingcentern der gut verdienenden Mittelschicht kann man das schon beobachten.

(Volker Struebing)

* Soweit ich das um diese Uhrzeit ueberblicken kann

15 thoughts on “Notizen an der Schwelle zum chinesischen Zeitalter

  1. Und? Essen sie nun in China Hunde oder nicht? Und wenn ja, wie werden sie zubereitet? Kannst ja erst mal ne Nacht drüber schlafen … Schönes Ankommen !

  2. Herrlich! Das Video hat mir echt gefallen, habe mich hier im Buero auf deine Kosten schoen rumgekugelt. (sorry!)
    Aber du hast schon recht, noch ist der Westen das Mass der Dinge. In ein paar Jahren wird sich das aendern, nur hoffentlich wird nicht China das Vorbild!

    Mach deinen naechsten Trip mal ein Stueck weiter und ich zeig dir mal Singapur. Da bekommste wenigstens ne Zange und Anleitung wie man den Krebs knackt.

    beste Gruesse,
    Benjamin

  3. Wer musste bei dem Wort “Schluepfer” auch erst an Unterhosen denken?
    Ein chinesischer Laptop? Warst Du beim Werksverkauf? ;-)

    Nun, ist doch eigentlich völlig schnuppe,
    ob wir hier nun den Amis oder den Chinesen nacheifern.

  4. erstmal ein welcome back =)
    und dann eine kleine nachfrage… also es soll ja nicht aufdringlich wirken.. aber gibts ein kalenderblat für mai? ;) wenigstens für die letzten paar tage? =)

  5. Und wahrscheinlich ist alles, was der Trottel trägt “made in China” ;)

    Jetlag.. ? oder wars doch der Vollmond, der dich nicht schlafen lies?

  6. Fortsetzung der Liste.

    Wir haben:
    Generatoren für chinesische Staudämme, Schwebebahnen für chinesische Vororts-flughafen-züge, PET-Flaschen für chinesische Fleecepullover, die hier verkauft werden und die Gewissheit, dass wir nicht dran schuld sind.

  7. und wir haben Blogs, die nicht gesperrt sind. Wiegt allerdings auch nicht so richtig auf, dass sie dafür ganz tolle Zeichen malen und lesen können, vor denen wir wie Kinder vorm Weihnachtsmann stehen.

  8. “Nuescht fuer’s Auge” -> Ja! Herrlich! Noch nie hat es jemand so gut geschafft, meine Erfahrung mit der lächerlichen Maskierung der bundesrepublikanischen Bevölkerung direkt nach meinem Grenzübertritt 1989 so auf den Punkt zu bringen. Danke, danke, danke.

  9. @Sysout: Wobei die stonewashedjeansuniformierten Massen, die da ploetzlich aus Richtung Osten kommend die Woolworth- und Pennymaerkte ueeberrollten sicher, sicher auch kein schoener Anblick waren ….

  10. Ich danke dir auch für das in Wortefassen des verabscheuenswürdigen Kleidungskults. Man merkt auch schon große Unterschiede, wenn man z B von Hannover nach Hamburg fährt. Ist aber wahrscheinlich eher auf das niedrigere Durchschnittseinkommen der NiedersachsInnen zurückzuführen als auf größere Charakterstärke. :-) Von China hätt ich es jetzt andersrum gedachtt. Also rausgeputzter als wir. Komisch.

    PS: Warum wird dein Buch zum Verkauf auf eine böse Datenkrake verlinkt, und warum haben die nur noch drei Stück vorrätig?

  11. Warum sind denn bei den folgenden Einträgen die Kommentare schon wieder off?
    Jetzt hab ich doch glatt vergessen, was ich sagen wollte…
    Ach ja, war eher ne Frage:
    Wie spricht man “bequackeln”?
    Ich kenne einen ähnlichen Ausdruck, jedoch nur in mündlicher Form, aber den hätte ich “bekakeln” geschrieben… (-;

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