Weblog & Podcast von Volker Strübing

MinSeLeb

Datum: 17.08.07
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam, Verschwörungen, Zumutungen

Mancher schreibende Kollege empfiehlt, morgens nach dem Aufstehen erstmal ein paar Minuten einfach draufloszuschreiben, rauszulassen, was einem gerade durch den Kopf geht. Traumfetzen, Gedanken, sinnlose Geschichten, Hasstiraden, eine Anekdote, an die man sich erinnert – egal. Nicht nachdenken, nicht korrigieren, keine Selbstzensur, einfach nur schreiben, schreiben, schreiben. Hinterher kann man das Geschriebene bedenkenlos wegwerfen; es ging schließlich nur darum, in die Gänge zu kommen, sich warmzuschreiben sozusagen.

Ich habe mit dieser Methode schlechte Erfahrungen gemacht. Das gute Gefühl schon einen Text geschrieben zu haben, löst bei mir wohlige Feierabendstimmung aus. Ein Text pro Tag ist schließlich genug! Ich wäre froh, wenn ich diesen Schnitt halten würde.

Dennoch ist die Versuchung groß jetzt genau das zu tun, einfach schreiben, schreiben, schreiben ohne nachzudenken, ohne zu korrigieren, ohne Selbstzensur. Mit großer Schrift meine Internetklowand beschmieren. Das  Internet mit Gedankenmüll vollmachen, bis es platzt. Unschuldigen Lesern Lebenszeit stehlen.

Und das alles nur, weil ich, solange ich schreibe, eine gute Ausrede habe um nicht bei der Telekom-Rechnungsstelle anzurufen. Ich bin schon gestern in der Telekomfiliale nicht ausgerastet – obwohl ich allen Grund gehabt hätte – ob ich das heute am Telefon nochmal schaffe? Die Telekom ist eines der Hauptwerkzeuge des Ministeriums zur Senkung der Lebensqualität (MinSeLeb), von dessen Existenz viele Bürger ja gar nichts wissen. Durch intensive Nachforschungen Nachdenken Gespräche beim Bier haben Spider und ich zufällig vor einigen Jahren das Geheimnis gelüftet. Leider haben wir die Aufklärungsarbeit sträflich vernachlässigt. Ich gelobe Besserung.

So. In einer Stunde muss ich losfahren. Nach Potsdam, geheimnisvollen Dingen entgegen, von denen ich hoffentlich nachher berichten kann. Eine Stunde, puh, das wird knapp. Ich muss ja auch noch Zähneputzen und Schuhe anziehen, nee, nee, also bei der Telekom anrufen, schaffe ich jetzt nicht mehr, oder?

Außerdem habe ich ja jetzt schon einen text geschrieben und gerade macht sich so ein wohliges Feierabendgefühl breit. Will ich mir das von den Mächten der Finsternis verderben lassen?

Hm. Es führt wohl kein Weg dran vorbei.

 (Volker Strübing)

6 thoughts on “MinSeLeb

  1. Ich finde die Methode ziemlich toll. ich halte das mehr oder weniger strikt seit mehr als zwei Monaten durch, jeden Tag zu schreiben, einfach so (es muss gar nicht mal morgens sein) und erstaunlicherweise finde ich, wenn ich das Geschriebene nach einem Monat wieder lese, kleine Formulierungs- oder Gedankenperlen unter dem ganzen Schreibwirrwarr. Es loht sich also wirklich. Aber besonders morgens nach dem Aufstehen zu schreiben ist toll, weil das dann noch viel lustiger ist, wenn man das später nochmal liest. Morgens ist alles noch so wunderbar ungeordnet!:-)

  2. Danke fürs Beileid. Im Ergebnis der Geschichte brauche ich nun eine Alternative für den Internetzugang zu Hause. Befürchte ja, daß die ganze Branche eine eingeschworene Gemeinde ist, die direkt vom MinSeLeb in ihrer Firmenphilosophie geschult wird. Zudem sind ja bestimmt die entlassenen Telekommitarbeiter zur Konkurrenz gegangen und warten dort nur darauf, mich fertig zu machen. Schluchz! Gibt es eigentlich schon eine Selbsthilfegruppe für physisch und psychisch geschädigte Telekomkunden?
    Kann dein Ablenkungsmanöver ja so gut verstehen. Aber sehe es mal so, bei einem Telefonat kannst du wenigstens nicht handgreiflich werden, brauchst ggf. nur ein neues Telefon und das Strafmaß für verbale Beleidigungen in diesem Land hält sich auch noch in Grenzen. ;o)

    PS: Und übrigens, ich laß mir gerne Lebenszeit stehlen, wenn ich dafür was zum Lachen habe.

  3. Hm … naja, ich weis ja nicht wie es bei euch Schreiberlingen so ist. Aber als kleiner Student, naja sagen wir mal lieber ich bin auf Klo am kreativsten.
    Solltest du vielleicht auch mal ausprobieren, auf den Donnerbalken einfach mal aufschreiben was ein so durch den Kopf geht. Erspart das lästige Schreiben am Morgen und man hat das glückliche gefühl nicht nur Scheiße gebaut zu haben.

    Übrigens auf den besagten Ort der Stille, Zurückgezogenheit und Erprobung neuer Körpergeräusche lernt es sich auch wunderbar … ;)

    Was die Telekom angeht, ich glaube das ist einfach nur eine Einrichtung des Militärs zum Testen von psychologischer Kriegsführung.

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