Weblog & Podcast von Volker Strübing

Den Fahrplan und die Polizei im Nacken

Datum: 7.03.07
Kategorien: Unterwegs

Also, das war so. Am Sonntag wollte und sollte ich beim Poetry Slam in Leipzig mitmachen. Ich hatte mir einen späten Zug rausgesucht, weil ich am Nachmittag noch irgendwelche Dinge zu erledigen hatte, ich weiß gar nicht mehr, was, wahrscheinlich rumsitzen und so; die Steuererklärung habe ich jedenfalls nicht gemacht. Das hat mich so in Anspruch genommen, dass ich darüber die Zeit vergessen habe und viel zu spät losgehetzt bin. Mit dem Fahrrad zur U-Bahn, eine U-Bahn knapp verpasst, weitere Minuten auf dem Bahnsteig vertrödelt, mit der nächsten Bahn über Rosa-Luxemburg-Platz (wo ich kurz überlegte, in ein Taxi umzusteigen) zum Alexanderplatz, wo mir die S-Bahn vor der Nase wegfuhr und ich mich angesichts des in 12 Minuten abfahrenden Zuges entschloss, in ein Taxi umzusteigen: “Puh, das wird knapp!”, meinte der Taxifahrer. “Na mal sehen, was wir machen können.” Und er drückte aufs Gas und bald waren wir wieder am Rosa-Luxemburg-Platz, wo ich mir wünschte, ich wäre vorhin schon hier ausgestiegen, und der Fahrer huschte gerade noch so bei einem schon leicht rötlich schimmernden Gelb über die Ampel, es war gerade noch so okay, und ich sagte, “Puh, cool, danke”, aber ein paar Ampeln später war es dann nicht mehr okay, da war einfach nur Rot, eine gute Sekunde schon, das war sehr nett gemeint, ging mir aber doch zu weit, aber beschweren wollte ich mich auch nicht. Zum Glück hatten wir jetzt kaum noch Ampeln vor uns, und im Übrigen hielt uns auch schon ein Polizeiauto mit Blaulicht an.

Das war nun freilich sehr doof. Scheiß auf den Zug, den ich nun verpassen würde – vor allem hatte der Taxifahrer nun ein Problem. 3 (oder4?) Punkte und wohl mindestens 50 Euro, eher 125 Euro Strafe. Die Polizisten bemühten sich, die Angelegenheit schnell abzuwickeln – dass sie kein Auge zudrücken konnten war klar, zumal wir, wie sich herausstellte, direkt an ihnen vorbeigebrettert waren. Sie hatten ganz vorn auf der Rechtsabbiegerspur gestanden.

Als wir weiterfuhren, erklärte mir der Taxifahrer, dass das ärgerlich, aber halb so schlimm sei, er dürfe sich nur die nächsten 2 Jahre nichts erlauben, weil sein Punktekonto wegen eines ähnlichen Falls nun voll sei und wenn er nicht mehr fahren dürfe, dann würde er sich eben arbeitslos melden, da würde er auch nicht weniger Geld kriegen, und er sei ja nun auch schon über 60 und die Kollegen fragten ihn oft, wieso er sich das überhaupt noch antue. Und ich sagte, ich wolle mich an den Kosten beteiligen, und er sagte: “Ach wo, lassen Sie mal. Das war mein Fehler. Und für seine Fehler muss man auch bezahlen.”
Wir kamen 4 Minuten nach der Abfahrtszeit meines Zuges am Hauptbahnhof an . Das Taxameter zeigte 9,80 Euro, ein Betrag, der sicher nicht dazu angetan war, den Fahrer zu trösten. Ich habe ihm 20 Euro gegeben, er schien sich darüber ehrlich zu freuen, dann flitzte ich zum Bahnsteig und stellte fest, dass es sich bei meinem Zug um DEN Zug handelte, den Einen, der nicht “vorraussichtlich 5 Minuten später” fuhr ;)

So hatte ich eine Stunde Zeit, in einem hässlichen Café im Hauptbahnhof darüber nachzudenken, ob ich

a) Dem Fahrer wenigstens die Hälfte der zu erwartenden Strafe hätte geben sollen (schließlich steckte er jetzt in Schwierigkeiten, weil er, um mir zu helfen, dieses Risiko auf sich genommen hatte, und außerdem hatte ich ihm beim Gelbüberfahren sogar noch für sein Engagement gedankt)

oder ob ich

b) Dem Fahrer einen 10er geben und mir 20 Cent hätte rausgeben lassen sollen, weil ich ja durch seine Unfähigkeit den Zug verpasst habe, er solle sich mal freuen, dass ich ihm überhaupt Geld gebe und mich nicht bei seinen Vorgesetzten beschwere, wie es überhaupt sein könne, dass man so jemanden wie ihn ans Steuer lasse, ist ja gemeingefährlich, also wirklich, dafür bin ich 89 nich auf die Straße gegangen etc.

oder

c) ob ich alles richtig gemacht habe.

(Volker Strübing)

6 thoughts on “Den Fahrplan und die Polizei im Nacken

  1. Naja, solange jetzt nicht in jedem Taxi ein Bildchen von Dir klebt, mit einem dicken roten Kreuz drauf, is doch alles soweit ok.

    Aber, hej, der Taxifahrer war wohl von der netten Sorte. Jedenfalls vermute ich, hier in HD hätte ich in Deiner Situation voll eine auf den Deckel gekriegt.

    Ok, zu den Optionen:
    b) -> nene, das hört sich doch echt assozial an.
    a) -> politisch korrekt. Aber etwas übertrieben. Was glaubst Du, wie oft Taxifahrer mit den Bullen in Konflikt geraten! Das gehört halt gewissermaßen zum Berufsrisiko. Würdest Du Deinem Krankenwagenfahrer die Hälfte seiner Strafe fürs Rotlichtüberfahren zahlen? (Und, ja, die müssen auch blechen, Martinshorn ist nicht automatisch ein Freischein.)

    Fazit: Hast schon richtig gemacht. Hätte ich auch so gemacht. (Was natürlich gar nix heißt, bin keine moralische Instanz, ne, ganz sicher nicht…*hahaha*)

    LG vom Alien.

  2. Hallo Volker,

    es wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen, den Kaffee bei dir zu Hause zu trinken, um dann einfach mit dem nächsten Zug zu fahren.
    Du hättest dein Leben an roten Ampeln in Gefahr gebracht, der Taxifahrer würde seinen Job behalten, die Polizisten könnten in Ruhe abbiegen, um vielleicht an der nächsten Ecke schon einer Oma das Leben zu retten und du müsstest nicht eine Stunde lang in irgendeiner hässlichen Bahnhofshalle herumlungern und ekligen Kaffee trinken.
    Allerdings gäbe es dann diese kleine Geschichte nicht und das wäre schade. Also hast du alles richtig gemacht, egal wie viel Trinkgeld du dem Fahrer gegeben hast.

    LG Matthias

  3. Danke für die Antworten. Ein befreundeter Taxifahrer meinte auch, ich hätte alles richtig gemacht. Aber einzig richtig wäre natürlich nur die von Matthias vorgeschlagene Vorgehensweise – Kaffee zu hause – gewesen. Da hätte er auch besser geschmeckt!
    Im Nachhinein kommt mir der Weblogeintrag wie eine Bitte um Online-Absolution vor ;)

  4. ich finde, du hast das gut gemacht. wegen dieser geste, zu der du nicht verpflichtet warst, wird sich der mann vielleicht etwas weniger ärgern. er ist natürlich schuld, aber wollte dir halt helfen. und letztendlich biste hier ja auch rechtzeitig eingetroffen und hast dann noch gewonnen!

    absolution also erteilt ;-)

  5. Kaffee zuhause ist immer eine gute Option! :D
    Ansonsten: Daumen hoch dafür daß Du ihm gutwillig etwas Kohle gegeben hast obwohl er abgelehnt hat.
    Schönen Tag noch und in Zukunft entspanntes Taxifahrten. :-)

  6. Ich spiele grade mit dem Gedanken dir nicht zu verzeihen, Volker ;)

    Also wirklich! Pöhser Volker.

    Aber letzten Endes kannst du ja nichts dafür… das ist alles Murphys Schuld! Jedenfalls kommt es mir so vor ;)

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