Weblog & Podcast von Volker Strübing

Alter Sack im Teenieschlüpfer

Datum: 8.05.07
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam, Zumutungen

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Hab ich Geburtstag gehabt, bin ich 36 geworden, so alt musste erst mal werden, Alter, 36, aber noch voll peinlich „Alter“ sagen, Alter, verstehste?! Graue Haare, aber bei New Yorker Schlüpper kaufen, so siehts aus! Ich bin jetzt schon mein halbes Leben lang erwachsen, naja … volljährig; erwachsen werd ich morgen, gleich morgen, nach dem Aufstehen oder übermorgen, wird jedenfalls langsam Zeit. Darf ich jetzt schon mein halbes Leben lang Autofahren und Schnaps kaufen, mach ich aber nicht. Das Autofahren nicht, weil ich nicht weiß, wie’s geht, naja gut, im Grunde genommen schon. Lenkrad, Gaspedal, Bremspedal und ab und zu auf diese ominöse Kupplung treten und auf andere Autofahrer schimpfen. Aber diese ganzen Verkehrsschilder und Ampeln und Leute mit Fahrradhelmen, die man aus ästhetischen Gründen gerne umkacheln möchte, was man aber nicht darf, nee, nee, nee, das wär mir nichts. Und Schnaps kauf ich nich, weil ich den als Autor an der Bar kostenlos bekomme, was aber, wie ich betonen will, nur einer von mehreren Gründen war, mit dem Schreiben anzufangen, damals vor 10 Jahren, als ich 26 war, süße 26, als ich noch glaubte, alle 36jährigen seien alte Säcke, was ich aus Gründen der Selbstachtung heute so nicht mehr sagen würde.

26 war ich, als ich mit Schreiben angefangen habe, 26! Neulich habe ich ein Buch von Wolfgang Borchert gelesen, der hatte mit 26 schon die Ostfront und ein Todesurteil wegen Wehrkraftzersetzung hinter sich, hatte sein komplettes Lebenswerk verfasst, war berühmt geworden und in der Schweiz gestorben! Mit 26 war ich noch nicht einmal in der Schweiz gewesen und habe gerade erst angefangen, lustige Geschichtchen und alberne Lieder zu schreiben! Und jetzt bin ich zehn Jahre älter und frage mich, was ich eigentlich erreicht habe. Andere Leute in meinem Alter haben schon drei Kinder und 100.000 Euro auf dem Konto – ob nun mit ‘nem Plus oder ‘nem Minus davor – egal, das hole ich doch nie mehr ein! Ich bin 36, schreibe Geschichten und lese die vor, und wenn mich jemand auf einer Party oder so fragt: „Und, was machst Du so?“, dann weiß ich schon, wie die nächste Frage lautet: „Kann man denn davon leben?“
Ich hatte nur einen Wunsch zum Geburtstag, ein T-Shirt nämlich, eins mit der Aufschrift: „Ja, man kann davon leben.“ Der Wunsch ist mir allerdings erst 2 Tage nach meinem Geburtstag eingefallen … und außerdem: leben müsste eigentlich in Anführungsstrichen stehen; existieren wäre passender, ich meine, ich bin 36 und wohne in einer 1-Raum-Wohnung, die für einen 26jährigen Studenten angemessen wäre, herrjeh, nach aberhunderten Geschichten und Liedern, einem Roman und 1500 Auftritten sollte doch wohl ein Penthouse am Potsdamer Platz sowie Wochenendhäuschen auf Hiddensee und Mallorka drin sein, aber mindestens, also jetze echt ma!

So.
Genug gejammert.
Obwohl …
Wieso eigentlich? Bin grad 36 geworden, da kann man ja wohl mal ein bisschen jammern, oder? In 36 Jahen sammelt sich einiges an und außerdem werde ich jetzt alt! Mann, ich bekomme Falten! Was ist ein faltiger Mensch heutzutage noch wert, zumal auf der Bühne?! Was bleibt ihm noch an sinnvollen Dingen zu tun übrig, außer sich auf organentnahmefreundliche Weise zu entleiben?! Altersvorsorge ist für mich ein Thema, das ich längst unter „verpasste Gelegenheiten“ abgeheftet habe!
Meine Güte, was tue ich überhaupt? Trete auf vor Leuten, die zur Hälfte meine Kinder sein könnten, wenn ich im üblichen Alter mit Geschlechtsverkehr angefangen hätte! Stattdessen zahlen sie an der Kasse mein Taschengeld! Hier geht’s nicht um davon leben können, sondern um damit leben müssen!
Neulich saßen wir nach LSD an der Bar, und fragten uns, warum das Publikum gleich nach der Show verschwunden ist und Tube meinte: „Früher sind die Frauen wegen uns gekommen, heute kommen sie wegen unserer Texte“, und wir wussten, dass er recht hat, wobei man fairerweise sagen muss, dass wir die Texte auch immer mehr um der Texte willen schreiben und nicht, weil wir hoffen, dass nach der Show eine Frau mit zu uns nach Hause kommt, um über die Texte zu reden, knickknack, Sie wissen schon, es muss nicht immer eine Briefmarkensammlung sein …

Gerade sitze ich in einem Biergarten und versuche, diesen Text zu schreiben, während sich am Nachbartisch ein höchstens 26jähriger Theaterregisseur in einem endlosen lautstarken Wortschwall über das blöde Theaterstück auslässt, dass er demnächst zu regieren denkt oder zu regissieren oder wie immer das heißt – manchmal hasse ich Berlin! Ich kann so nicht arbeiten! Wobei manche das, was ich tue auch keineswegs als „arbeiten“ bezeichnen würden – „Kann man denn davon leben?“ – ich könnt’ mich aufregen, könnt ich mich! Und dann schmilzt auch noch das Polareis, und überall explodieren Bomben, und die Stasi wird auf Wunsch der Bevölkerung wieder eingeführt, und mein blöder Computer braucht 10 Minuten um hochzufahren, und bei Half Life Death Match sehe ich keine Pilze, weil ich sofort von irgendwelchen Ärschen abgeschossen werde, die gerade mal ein Drittel so alt sind wie ich, und neulich habe ich mich dabei erwischt, wie ich ganz interessiert die Nasenhaartrimmer bei Rossmann betrachtet habe – so ist das, wenn man 36 ist, wartet’s nur ab!

So. Das tat gut.

Davon abgesehen, und auch wenn man es diesem Text vielleicht nicht anmerkt, bin ich ziemlich glücklich, sehr zufrieden mit meiner Arbeit und habe einen der schönsten Geburtstage meines Lebens hinter mir. Ich meckere halt nur gerne – Entschuldigung.

Seid fröhlich und werdet alt!

(Volker Strübing)

12 thoughts on “Alter Sack im Teenieschlüpfer

  1. Na denn: Alles Gute! Und: Wir sind zwar nicht die Schweiz, aber in Leipzig ist es auch sehr schön, und die freilaufenden Theaterreschissöre so häufig zu finden wie Yetis in der Sahara.

  2. Von mir auch alles Gute.

    Und nicht jammern, so ist’s richtig.

    Guck mich an, ich werde nächsten Monat 32 und trage jetzt schon gerne Stretchcordhosen. Und, jammer ich? Nee.

    Siehste.

  3. Oh, Herzlichen Glückwunsch nachträglich! Man bekommt ja immer nicht mit, wann wer Geburtstag hat, bzw. kann ich es mir nie merken. Wie 36 siehst du übrigens nicht aus, eher wie 63, entschuldigung 32.

  4. Danke euch allen!

    Lars, lass mir doch das Jammern, in meinem Alter hat man doch sonst nicht mehr viel Freude ;)

    Ivo, das mit dem “wie 32 aussehen” liegt daran, dass wir uns immer nur im schummrigen Bassy treffen …

  5. volker, kleenes gaensebluemchen: dann teilen wir uns ja ein sternzeichen! alles gute, und merke dir: frauen werden alt, maenner werden interessant.

  6. Im Namen der Säcke, also der alten, danke ich dir für das posting. Oder blogging oder wie das heute von den ganzen 11 jährigen genannt wird, die nicht mal geradeaus pissen können, weil sie in jeder körperöffnung 7 handys und 28 pda´s haben und einen elektrosmog erzeugen von dem lettland nur träumen kann. Ich bin selber 36 (weiss nicht ob du dich erinnerst, wir haben zu dem Thema im April im Substanz gesprochen, da hat mich so ein halbblinder Alter vor dem Auftritt mit dem Auto angefahren) und mein Gott ist das ein hartes Alter, Alter.
    Im Septmeber werde ich 37 und vielleicht macht es mir dann nix mehr aus, wenn mich 20-jähre Siezen, naja, solange sie mir noch nicht den Platz im Bus anbieten steige ich nicht auf Vodka um.
    Ops, war ein bisschen lang jetzt, ist aber auch ein langes Thema, also in dem Sinne: Happy B-day

  7. naja herstrübinger oder strüber oder wie sie auch immer heißen. das älter werden is tein biologischer und vollkommen natürlicher prozess. ohen das älter werden würde die biologie und die evolution ja garnicht funktionieren und dementsprechend müssen auch sie älter werden. das problem is tdas sie sich auch entwickeln müss(t)en um zum prozess der gesellschaftlichen entwicklung und der weitergabe von informationen, traditionen und wissen beitzutragen. also mal ein buch über das älter werden schreiben oder ein kleines textchen dazu oder sowas am besten am 17. bei der chaussee vortragen, würde ich gern hören

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