Weblog & Podcast von Volker Strübing

In jenen finsteren Tagen, als die Kommunisten vor den Kneipen rauchten …

Datum: 31.10.08
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam, Zumutungen

Gerstern Abend: Neukölln wie man es kennt und liebt. Auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz (ja gut, das ist Berlin Mitte, aber nicht zu Unrecht wird  Mitte ja das “Neukölln Venedigs” genannt oder auch “Neuköllsche Schweiz” bzw. “Neukölln der Herzen”), auf dem U-Bahnhof Alex, am Bahnsteig der U8 jedenfalls brabbelt und schimpft ein Betrunkener die Leute an: “Wohßn Heinrich Heine? Muss nach Heinrich-Heine-Straße, ey, scheiße, Wohßndis?” Eine junge Frau auf der Wartebank erklärt ihm, dass er zwei Stationen Richtung Hermannstraße fahren müsse und zeigt ihm das Gleis. “Watt? Will nach Heinrich-Heine-Straße, Alter. Weeßicke wo dis is!” Sie erklärt es ihm noch einmal. “Watt? Da? Die een saren so, die andern so, ehmt sacht noch jemand, musste da fahrn, jetze kommt die und sagt, musste da fahren. ACH LECKT MICH DOCH ALLE AM ARSCH! Wo mussick jetzt lang?” Sie erklärt es ihm nochmal, wird wieder nur angeblafft und erklärt es ihm nochmal, steht auf, geht zu ihm und zeigt es ihm, als die Bahn einfährt, damit er auch wirklich die richtige nimmt, wird dafür von ihm angemault. Bewundernswert. Also nicht, dass der Typ sie anmault, sondern die Geduld und Freundlichkeit, die sie diesem Mann schenkt, ein Geschenk, dass so offensichtlich verschwendet ist.

Ich hätte ihm einmal gesagt, wo er lang muss, er hätte mich vollgenörgelt und ich hätte ihn daraufhin achselzuckend sich selbst überlassen. Soll er doch sehen wie er hinkommt, wo er hin will oder besser noch dahin wo der Pfeffer wächst. Ich gebs nur ungern zu, aber ich habe für sowas nicht mehr viel Geduld und Nerven. Ist das Abstumpfung? Habe ich einfach zuviel davon gesehen? Macht das Leben einen hart? Ich weiß noch, dass mich die ersten Bettler nach der Wende ziemlich schockiert haben – obwohl ich ja durch das Fernsehen darauf vorbereitet war. Heute werfe ich etwas in den Hut und das war’s dann, schnell weiter und bitte, bitte, jetzt keine Musiker oder Obdachlosenzeitungsverkäufer in der Bahn, ich will einfach nur meine Ruhe.

Dank der Frau nimmt der Betrunkene die richtige Bahn, was freilich kein Anlass für ein “Dankeschön” ist. Mit uns steigen zwei Wachschutzleute ein, offenbar vom Fahrer oder Fahrgästen alarmiert, um einen Obdachlosen, der mit vollgekackter Hose bewusslos im Gang der U-Bahn liegt, herauszuschleifen. Ich verziehe mich ganz nach hinten, soweit es geht weg vom Gestank und dem die ganze Zeit weiterschimpfenden und brabbelnden Mann. Stelle schaudernd fest, dass mein Ekel mindestens so groß ist wie mein Mitleid und ich unglaublich erleichtert bin, dass sich andere um den Mann mit der vollen Hose kümmern.

Später, vor der Lesung, vor der Kneipe, rauchen wir eine Zigarette (hallo Peter!), als uns ein Hund mit Mann, naja, mit Männchen entgegenkommt. Der Mann trägt schlabberige Stonewashedjeansklamotten und schlabberige Haare – 10 Euro, dass er einen Kamm in der Gesäßtasche hat! – , er hat den tapsigen Gang eines Alkoholikers im Endstadium; alter deutscher Trinkeradel. Er bleibt bei uns stehen, sieht unsere Zigaretten, seine Augen schlackern zwischen uns umher, dann sagt er: “Ja, ja, dis könnter! Hier in der Kälte stehen und rauchen! Aber mal ‘n Schild an die Tür machen mit der Aufschrift Raucherkneipe, dis könnter nich! Nee, nee, nee, was is nur aus der deutschen Jugend geworden?” Und, an seinen Hund gewandt: “Komm Adolf! Lass die doch stehen. Sieg heil!” Dann tappert das Herrenrassenanschauungsexemplar weiter, dreht sich nach 10 Metern noch einmal um und ruft: “Ihr seid doch Kommunisten! Euch muss man verfolgen! Sieg heil!”

Die Lesung war übrigens sehr schön und hinterher haben wir noch das seltsamste indische Restaurant der ganzen Welt kennengelernt, aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte. Vielleicht schreibt sie ja Uli Hannemann in sein Blök, der hat uns schließlich dorthin hingelotst!

(Volker Strübing)

10 thoughts on “In jenen finsteren Tagen, als die Kommunisten vor den Kneipen rauchten …

  1. Bis zu der Stelle, wo der Mann mit dem Adolf-Hund “Sie Keil!” ruft (oder so ähnlich), hab’ ich Dir ja noch geglaubt, aber das … das ist doch erfunden, oder?

    Großes Lob auch für die Überschrift!

  2. Mist, wollte gestern eigentlich kommen, aber bin dann bei Independance Day am Fernseher verreckt. Und ich dachte diesmal gewinnen wenigstens die Aliens und knallen die Amis ab….Scheiße!

  3. Hallo Lukas, nee, nüscht ausgedacht. Klingt doch auch viel zu ausgedacht, als dass es ausgedacht sein könnte. Vor ein paar Jahren hat es ein Verrückter mal zu einiger Lokalprominenz und einem Gerichtstermin gebracht, der seinen Hund Adolf genannt und darauf trainiert hatte, auf Kommando die rechte Pfote zu heben. Keine Ahnung, ob das gestern der selbe war oder ein Nachahmungsidiot. Der Hund hat jedenfalls nicht die Pfote gehoben.

  4. eins versteh ich nich, was haben komunisten mit rauchen vor ner kneipe zutun?

    naja, die ollen nazis haben eh nix im kopp :)

  5. Wenn Sie schreiben, “Neukölln der Herzen” und “Neuköllsche Schweiz”, meinten Sie dann nicht eigentlich: “Venedig Neuköllns”?
    Ich persönlich finde es immer erschreckend, wenn einem mal in einer Stadt auffällt, dass es da irgendwie gar keine Obdachlosen/Gestrandete gibt. Dann wird einem (mir) oft erst bewusst, dass man diese Menschen sonst gar nicht mehr besonders wahrnimmt und den status quo einfach stillschweigend hinnimmt.
    Und wenn dann keine Obdachlosen am Bahnhof oder in der Fußgängerzone anzutreffen sind, frage ich mich immer, ob die von diesen Stellen durch “freundliches Sicherheitspersonal” ferngehalten werden, weil ihr Anblick doch den “Normalen”, also den “Liquiden”, so aufs Gemüt drückt. Die Münchner und die Hannoveraner Innenstadt wären da nur zwei traurige Beispiele :-/

  6. Deshalb rege mich immer so auf, wenn einer dieser verkackten Ausländerhassern Islamkritikern meint, das Problem in Neukölln wären die Muslime! Tschuldigung, daß ich hier so eine Wortwahl pflege, aber mir geht das so was von auf den Sack, wenn mir sone Schnösel aus der Provinz (aus sei es aus der geistigen) erklären wollen, daß Angehörige einer Religion, die sich nicht betrinken oder einkacken, aus einem Land voller sich einkackender Alkoholiker geworfen werden sollte. Hundescheiße ist auch so ein Thema. Ist auch 100% deutsch. Ärsche.

  7. @Alberto Green

    ja das is leider wahr. die kommen von sonstwo her und meinen direkt den großen “pimp” zu spielen müssen.
    aber ausländerfeindlich keit gibts nich nur auf den straßen, sondern auch in der politik. beispiel:
    damals gabs ein spiel mit dem namen “kanaken raus” und kam von ganz unten, heutzutage gibts ein spiel das sich “islamkritik” nennt und kommt von ganz oben

  8. Lieber Enno, in Hannover ist es tatsächlich so. Im Vorfeld der Expo 2000 haben sie sämtliche ihnen mißliebigen Personen aus der Innenstadt geschafft (mit welchen Mitteln auch immer) und achten seitdem etwas genauer drauf, dass auch ja keiner mehr auftaucht (es sind jedoch immer noch Punks vorm Kaufhof und “unterm Schwanz” am Reiterstandbild vorm Hauptbahnhof). Aber das nur am Rande.

    Habe lange überlegt, ob ich an Volkers Stelle dem Männchen mit seinem Adolf-Hundi abgesehen von der Starre der Perplexheit doch noch irgendwas hätte entgegnen oder wenigstens hinterher rufen können, aber mir fällt partout und auch nach langem Nachdenken nichts ein. Dit Männlein ist einfach sowas von hinüber, dass es fast schon wieder was Anmutiges hat, mit welcher Ignoranz es durch die Welt tapst. Irgendwie. Oder so.

  9. alter deutscher trinkeradel (hallo volker!)! der ausdruck hat mir gefallen! mal sehen wie *** dein buch gefällt. leider hat sies schon gesehen, als sie mich besucht hat. dabei solltes doch für den geburtstag sein. und ich konnts nicht lassen darin zu schmökern… aber den titel fand sie schonmal spitze. gute aussichten, dass se den rest auch mag. wie ich.
    ja und wieso können wir das denn nicht, einfach mal schilder aufhängen, wo draufsteht raucherkneipe, hä, volker, hä, hä,hä????
    peter

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