Weblog & Podcast von Volker Strübing

Karamell-Meersalz oder: Schade um die Schweiz!

Datum: 29.06.17
Kategorien: Uncategorized

Plötzlich ist alles Karamell-Meersalz. Wo du hinguckst: Karamell-Meersalz. Wo du reinbeißt: Karamell-Meersalz. Karamell-Meersalz-Eis, Karamell-Meersalz-Joghurt, -Milchkaffee, -Kuchen, -Massageöl, -Brotaufstrich, -Bonbons, -Wurst, -Gurken; bei Netflix läuft die zweite Staffel von „Caramel Sea Salt Is The New Vanilla“ und in den neuen Bundesländern ist Karamell-Meersalz inzwischen der häufigste Babyvorname.

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(Symbolbild Karamell-Meersalzification)

In 10 Jahren werden Soziologen von einer Phase der ungebremsten Karamell-Meersalzification sprechen, während wir gewöhnlichen Menschen uns an die Karamell-Meersalzplage in den Zehner Jahren erinnern und dabei kopfschüttelnd an unserem Vanille-Karpfen-Macchiato nuckeln. Aber vielleicht haben wir auch Glück und die Welt geht vorher unter.

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(Hurra!)

Es fing alles ganz harmlos an. Ich entdeckte vor vielleicht fünf Jahren bei einem Slam-Ausflug in die Schweiz das erste Mal die damals noch exotisch und verheißungsvoll klingende Wortkombination auf einer Schokoladentafel. Andächtig kostete ich das erste Stück, machte ein erst staunendes, dann beglücktes Gesicht, als ich auf einen großen Salzkristall biss und dachte: Na Mensch, gucke mal, die Schweizer, diese Füchse! Ich kaufte einige Tafeln, um dieses besondere besondere Erlebnis mit einigen besonderer Menschen zu teilen und freute mich schon Wochen vorher auf die nächste Schweiz-Reise, auf der ich endlich wieder Karamell-Meersalz-Schokolade essen und einige Tafeln für die Daheim gebliebenen würde kaufen können.

 

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(Man beachte die karamell-meersalz-farbene Hose des Bootsführers.)

Vorbei. Heut werden wir von früh bis spät, von Aachen bis Zittau, von der Babymilch bis zum letzten Infusionsbeutel mit Karamell-Meersalz abgefüllt, es gibt einen Grund weniger, sich auf einen Schweizausflug zu freuen und ein bisschen Glanz ist aus der Welt verschwunden. Der Kapitalismus ist ein gieriges Tier, das Perlen frisst und Schweinefutter ausscheidet, eine gigantische Banalisierungsmaschine, der Topf aus dem Märchen vom süßen Brei. Nichts darf besonders bleiben, alles muss billig sein und überall sofort verfügbar. Die unsichtbare Hand grapscht nach jeder Kartoffel, um sie zu einem ununterscheidbaren Matsch zu zerdrücken und ihr jede Besonderheit zu nehmen und Metaphern gibt’s auch im Dutzend billiger!

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(Alles wird zu Hondenpoep!)

Schaut in die Gesichter der Leute auf einem Flughafen und alles was ihr sehen werdet ist Überdruss. Dicker, fetter Überdruss. Manchmal auch ein bisschen Erschöpfung, Müdigkeit, Genervtheit, Langweile, Aggressivität, aber meistens einfach nur Überdruss. Dabei sind sie drauf und dran zu fliegen! Zu fliegen! Hallo?! Zehn Kilometer hoch! Am Himmel! Irgendwohin wo’s schön ist! Oder nach Frankfurt am Main! Ihr werdet bei niemandem, der älter als 10 ist, Vorfreude, Spannung oder gar Begeisterung gesehen.

Wie auch. Sie warten auf ihren zwölfhundertölfundfünfzigsten Flug an irgendeinen Ort, an den zu jedem beliebigen Zeitpunkt Tausende andere unterwegs sind, werden den ganzen Urlaub damit beschäftigt sein, das Buffet in ihrem griechischen Hotel mit dem vom letzten Jahr auf Mallorca zu vergleichen oder, wenn sie cool und mit dem Rucksack unterwegs sind, die Bananapancakes und Tempel in Kambodscha mit denen in Indonesien.

Und wenn sie zurück kommen, haben sie eine Million Fotos auf der Speicherkarte, die niemand sehen will, weil jeder selbst noch die eigene Million aus dem letzten Urlaub durchsehen muss; und ihre Geschichten erzählen sie lieber niemandem, weil sie wissen, dass es nur zwei mögliche Reaktionen gibt:

1.) „Ah ja, da waren wir vor zwei Jahren auch“ und
2.) „Ja, aber ich hab noch was viel krasseres erlebt.“

Noch trauriger sind die Gesichter der Menschen, die an einem Samstag mit riesigen Tüten oder Pappkartons voller Kameras, Laptops, Spielkonsolen aus den Saturns und Mediamärkten der Republik strömen. Wahrscheinlich kann man von Erwachsenen nicht erwarten, dass sie sich in aller Öffentlichkeit herumfreuen wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum (falls die Kinder das überhaupt noch tun …), aber ein bisschen … weeß icke … naja, eben irgendwas anderes als Überdruss wäre doch okay, oder? Und so leiern sich des Abends die Damen ein Karamell-Meersalz-Likörchen nach dem anderen rein, und die Herren werden Nazis oder gehen zum IS, man kennt das.

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(Ein schönes buntes Trostbild für alle, die sich bis hier durch diesen deprimierenden Artikel gekämpft haben.)

Exzess führt zu Überdruss führt zu Exzess. Das Besondere wird durch das Extreme ersetzt.
Meine Weisheiten hier sind genauso banal wie ein halbgelutschtes Karamell-Meersalz-Bonbon und ändern lässt sich an der ganzen Sache sowieso nichts; im Gegenteil, Geschwindigkeit und Effizienz der Banalisierungsmaschine werden weiter wachsen, es sei denn die Welt oder wenigstens unsere Zivilisation geht unter.

Darüber nachzudenken lohnt sich trotzdem: um nämlich nach Wegen zu suchen, für sich selbst das Besondere zu erhalten, sich öfter zu freuen wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Mir selbst ist gerade etwas sehr Besonderes und karamell-meersalzification-sicheres in die Wiege gefallen (und zwar im Wortsinn). Und ich bin weiter auf der Suche. Aber davon schreibe ich ein andermal.
Schade jedenfalls um Karamell-Meersalz. Schade um die Schweiz.

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