Weblog & Podcast von Volker Strübing

Lieber ein dicker Gogo-Dancer als Kassel-Wilhelmshöhe

Datum: 31.10.06
Kategorien: Nachrichten aus der Scheinwelt, Unterwegs, Weltall, Erde, Mensch

(Geschrieben am Freitag, dem 27.10.06)

 

Neulich habe ich das erste Mal für Geld in einer Bar getanzt. Man darf ja keine zumutbare Arbeit ablehnen. Die Bezahlung war beschissen – knapp 0,03 € pro Stunde, aber dafür war es auch kein Problem, beim Tanzen Pizza zu essen, Emails zu schreiben und ein Paket abzuholen, weil mein Second-Life-Avatar das Rumgehüpfe für mich übernommen hat.

Second Life (SL) ist, kurzgesagt, eine Mischung aus Chatroom und 3D-Simulation; der Avatar ist die Spielfigur, die man darin steuert, und deren Aussehen man selbst bestimmen kann. Eine schöne Einführung gibt es hier, eine Selbstbejubelung des Entwicklers Linden Labs hier.

In dieser virtuellen Welt gibt es auch eine virtuelle Währung. Einerseits ist es irgendwie schade, dass das „zweite Leben“ nach den selben ökonomischen Regeln wie das erste funktionieren soll, andererseits ist eine virtuelle Welt mit virtuellem Geld natürlich sinnvoller, als eine reale Welt mit virtuellem Geld. (Gegen die Wahnvorstellung, das Geld im echten Leben sei real, hilft zum Beispiel „Das Wesen des Geldes“ von Egon W. Kreutzer)

Das Geld in Second Life heißt Lindendollars. Die bekommt man, in dem man Geld von seinem Konto im ersten Leben an sein Second-Life-Konto überweist, indem man Dinge innerhalb von Second Life an andere Spieler verkauft (z.Bsp. virtuelle T-Shirts für die Spielfiguren) oder indem man dort … arbeitet. Letzteres ist der denkbar schechteste Weg, um es zu einem zweiten Leben in Reichtum zu bringen, zumindest, wenn man wie ich keine besonderen Qualifikationen vorweisen kann (noch so eine Analogie zur echten Welt, auch wenn der Edeka-Chef das anderes sieht). Aber wie gesagt, die Arbeit war nicht besonders anstrengend, da ich sie an meinen Avatar deligieren konnte, der auch viel besser tanzen kann als ich. (Dafür sehe ich im echten Leben besser als im zweiten aus. Bei all den Idealkörpern, die in SL rumlaufen, dürfte das nicht auf alle Mitspieler zutreffen.)

dancing.jpg

In irgendwelchen Clubs stehen Tanzplattformen, da klickt man drauf, und schon fängt der Avatar an zu tanzen. Nach 10 Minuten bekommt er dafür 2 Lindendollars gutgeschrieben. Die Besitzer dieser Clubs haben diese Plattformen wahrscheinlich installiert, um Leute in ihren Club zu locken, die dann auch Lindendollars dort ausgeben für … was weiß ich.

Interessant ist, dass man das Second-Life-Geld zu ständig schwankenden Kursen in First-Life-Geld umwandeln kann – spätestens jetzt wird klar, dass wir es auch im Alltag nur mit Spielgeld zu tun haben. Leider ist der Wechselkurs bisher so ungünstig, dass man das Problem der Armut in der realen Welt noch nicht durch die Tanzplattformen in SL lösen kann.

Einer der wichtigsten Aspekte bei SL ist der Chat mit den anderen Mitspielern. Aber damit habe ich noch so meine Probleme: Meinen ersten Second-Life-Chat (den zweiten Chat meines Lebens überhaupt) hatte ich kurz nach dem Einstieg in die Spielewelt mit zwei Avataren, deren menschliche Besitzer/Steuerleute/Entpsrechungen (ich nenn sie der Einfachheit halber mal Real-Life-Avatare ;-) auch aus Deutschland kamen. Nach wenigen Minuten fand ich mich in ein Gespräch über den Braunschweiger Hauptbahnhof verwickelt. Also, wenn das mein zweites Leben sein soll … Ich musste an ein Lied von (ich glaube) Goethes Erben DEine Lakaien (danke an Tube, für den Hinweis) denken: „Reincarnation / the torture never ends / Reincarnation / our bloody faith“. Naja. Wenigstens ging es nicht um den Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe, den allerallerhässlichsten Bahnhof Deutschlands.

Im echten Leben bin ich vorhin durch den Braunschweiger Hauptbahnhof gefahren und später (leider) in Kassel-Wilhelmshöhe umgestiegen. Bin gerade unterwegs nach Marburg zum Dead or Alive Poetry Slam. (Nachtrag, Dienstag, 31.10.: Bin längst zurück. War toll! Hab gewonnen!) Jetzt sitze ich in einem Regionalexpress und der Akku ist gleich alle, darum: Genug für heute. Warum ich mich überhaupt mit Second Life beschäftigt habe, schreibe ich ein andermal. Oder auch nicht.

(Volker Strübing)

7 thoughts on “Lieber ein dicker Gogo-Dancer als Kassel-Wilhelmshöhe

  1. Glückwunsch zum Sieg!!!

    Sl werd ich mir vlt mal anschaun, wenn mir gaaaaanz dolle langweilig ist – und da mir (fast) nie langweilig ist .. aber mal schaun, vlt kann ja dein Erfahrungsbericht die eine oder andere Skepsis beseitigen ;)

    grüße!

  2. Ja, ja, Braunschweig. Der Blick aus dem Zugfenster, wenn der Zug hält, ist ein grausamer, denn die Stadt ist von dort aus gesehen hässlich. Wenn Menschen in Halle-Neustadt ganz schlimme Alpträume haben, träumen sie von Braunschweig. Oder von dem unansehnlichsten Bahnhof dieses Landes, Kassel-Wilhelmshöhe. Dagegen ist selbst der Duisburger Hauptbahnhof eine Sehenswürdigkeit. Und der ist schon hässlich.

    Eine Frage: wie kommt es, dass du im Zug deinen Blog bestücken kannst? Gehst du übers Handy ins Internet? Glückwunsch zum Sieg übrigens, bis nächste Woche in München!
    Alles wohnen im selben Hostel, oh je!

  3. Hey Nils,

    die Frage mit dem wie-das-aus-dem-Zug-schreiben funktioniert, kann ich ja mal beantworten, vielleicht ist es sogar richtig.
    Der Punkt ist einfach, dass Volker die Texte zwar im Zug schreibt (daher auch die Datums- und Zeitangabe in KLammern am Anfang des Textes), ihn dann aber erst später ins Netz stelle, wie wir an dem “richtigen” Datum (dass natürlich auch verändert werden kann) erkennen können, welches zum einen in der über-derÜberschrift-Leiste zu sehen ist (Datum) und zum anderen in der unter-der-Überschrift-Zeile (Zeit)…

    So, ich hoffe, Deine Frage zufriedenstellend und richtig beantwortet zu haben!!:-)

  4. Lieber Nils, Anika hat vollkommen recht! Ich bin sehr froh, dass es im Zug noch kein Internet gibt und ich dort mal ein paar Stunden habe, in denen ich nicht alle paar Minuten nach Mails gucke.
    Stattdessen beantworte ich dann allerdings im Zug offline die Mails, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben … es gibt kein Entrinnen …

  5. Aha, danke.
    Offline arbeiten ist praktisch, das merke ich als zwangs DSL-loser Mensch gerade. Man nimmt sich mehr Zeit für Blog-Einträge und auch Mails, was dazu führt, dass man sich die Sachen nochmal vorm wegschicken durchliest und nicht schnell gedankenlos rausfeuert.

  6. Bin gespannt, wann du deine erste Lesung in Second Life veranstaltest, damit kannst du bestimmt ein paar L$ mehr verdienen als mit Tanzen. Ich würde jedenfalls kommen :)

  7. Hallo Peter, hab mich vorerst aus dem zweiten Leben zurückgezogen (und das erste auch weitgehend eingeschränkt). Im dritten klappt es dann bestimmt mit einer Lesung auf dem Mond oder auf einer Wolke oder in einem Vulkan …

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