Weblog & Podcast von Volker Strübing

Warum ich keine Entertainmentgröße bin

Datum: 5.11.06
Kategorien: Literatur / Lesebühne / Poetry Slam, Zumutungen

Donnerstag, Chaussee der Enthusiasten, 2. Pause: Gerade haben Micha und ich einen unserer Teamtexte für den SLAM2006 vorgelesen, ich bin auf dem Weg nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen, sehe unterwegs Anika und will Hallo sagen, komme aber nicht dazu, weil mich eine kleine Frau um die 50 (vielleicht auch jünger … oder älter – ich kann sowas nicht schätzen) anspringt und hektisch auf mich einzureden beginnt: “Das war ja ganz toll, was sie da eben gemacht haben, ich bin vom WDR, ich bin nur durch Zufall hier, und wo Sie doch amtierender deutscher Poetry-Slam-Meister sind” – (ich hatte unglücklicherweise selbst drauf hingewiesen, um noch ein letztes Mal damit anzugeben) -“können wir da bestimmt einen kleinen Beitrag über Sie und Ihren Text machen. Den fand ich ja ganz wunderbar. Das muss aber alles ganz schnell gehen, ich bin nur noch bis Sonnabend in Berlin und hab dichtes Programm. Wir machen das morgen Abend, zwischen 10 und 11 müsste ich Zeit haben. Wie? Da können Sie nicht? Ein anderer Auftritt? LSD-Buchrelease-Party? Na und? Dann komme ich einfach dorthin, sie werden ja wohl ein paar Minuten erübrigen können! Sie bauen das einfach mit ins Programm ein! Wie, das geht nicht, herrjeh, na dann lesen Sie das in irgendner Ecke und ich fange dann noch ein paar O-Töne von der Atmo ein. Wie, sie wollen das nicht? Wie, keine Zeit, zuviel Stress? Hören Sie mal, ich bin beim WDR, wissen Sie was für eine Reichweite wir haben? Das kann Ihnen eine Menge bringen, das sage ich Ihnen! Ach nun hören Sie doch auf mit dieser Party! Andere würden sich die Finger danach lecken, ins Radio zu kommen und ich biete Ihnen hier diese Chance und Sie lassen mich hier so auflaufen, wissen Sie, ich will Ihnen mal was sagen, ja?! Ich habe oft mit Entertainmentgrößen zu tun, und wenn ich da nach einem Interview frage, dann wird das eben einfach möglich gemacht, egal, was sonst noch ist! Das ist professionelles Arbeiten, da müssen Sie aber noch ne ganze Menge lernen, mit Verlaub! Also, ich bring die ganze Ausrüstung mit und Sie … Wie, das geht morgen nicht? Hören Sie mal, ich bin vom WDR, wissen Sie eigentlich, was Sie für ein Glück haben, dass ich zufällig hier im Publikum saß?” Und so weiter und so weiter. Dies ist eine stark verkürzte Wiedergabe des sehr einseitigen Gespräches. Die Frau wurde immer lauter und entrüsteter und impertinenter; ich ließ sie schließlich einfach stehen und ging raus. Schade, dass ich sie nicht vorher noch beleidigt habe, das hätte mir gut getan. Für Personen wie sie wurde die Weblogrubrik “Zumutungen” erfunden.

Die WDR-Furie ist daraufhin zu Jochen gegangen, der gerade an der Kasse saß und hat sich bei ihm über mich beschwert. Was sich dieser “sogenannte” deutsche Meister einbilde! Wir betrieben das hier doch schließlich “halbprofessionell”, da hätte sie gedacht, wir würden mit unserem Kram auch gerne mal an die Öffentlichkeit kommen … gut, dass sie die Telefonnummer meiner Mutter nicht hatte, sonst hätte sie dort auch noch angerufen.

Und gut, dass beim WDR nicht alle Menschen so sind. Im Januar war ich zu Gast bei Jess Jochimsens “Die Vorleser” im Pantheon in Bonn, einer Lesung, die vom WDR produziert, mitgeschnitten und ausgestrahlt wird. Das war sehr schön und niemand schien verrückt zu sein. Im November probiere ich dann mal das WDR-Fernsehen aus, aber dazu später mehr. (Oder auch nicht.)

(Volker Strübing)

Montag 13.11.06: Hier gibt’s einen Nachtrag.

9 thoughts on “Warum ich keine Entertainmentgröße bin

  1. Richtig reagiert – und Glück gehabt, dass die Dame nicht geplatz ist. Womöglich war das eine freie Mitarbeiterin, die den Beitrag hätte erstmal anbieten müssen, um ihn irgendwo unterzubringen. Dann bleibt nicht mehr viel von der Reichweite übrig, wenn er nachts auf WDR2 läuft.

  2. Ja das habe ich ja dirket mitbekommen, wie Du von der Dame wie von einem kleinen, aber ziemlich anhänglichem Hund angesprungen wurdest und sie sich quasi in Dein Hosenbein verbissen hat. Auch von mir herzliches Beileid, dass Du Deine Pause so unerfreulich verbringen musstest (kann mensch gar nicht glauben,d ass es solchen Menschen tatsächlich gibt, vüber die mensch eigentlich immer nur in lustigen Texten liest…wie gruselig!). Aber immerhin hast Du so Stoff zum Drüber-Schreiben gehabt (hu…kläglicher Trost, ich weiß…).

    Ja, schade, dass das mit dem Hallo sagen nicht wirklich geklappt hat, dann hätte ich nämlich sagen können, dass euer Text absolute Spitze war und total beeindruckt war und ich euch ganz feste die Daumen für den Slam wünsche, bei dem es nicht mit rechten Dingen zugehen würde, wenn ihr da nicht mindestens Sieger werden würdet:-)

  3. ohne das ich jetzt auf namen geachtet hätte, lief gerade in der zweiten sendestunde von “eins live kunst” ein beitrag über poetry-slams mit o-tönen.

    zweite sendestunde heißt: wiederholung bis morgen nachmittag ab 20h15, 0h15, 4h15, 8h15 und 12h15

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